Читать книгу Zweihundertneunundneunzig - Lorens Tabert - Страница 14
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ОглавлениеSie war in den Raum getreten und hatte gar nicht erst versucht, sich hinter dem Lehrertisch zu verstecken. Sie wollte Entschlossenheit zeigen muss, gerade weil sie unsicher war. Da stand sie nun - ratlos. Zu ihrer Überraschung erhoben sich alle Schüler in einer synchronen Bewegung. So standen sie einander gegenüber, Sekunden, in denen nur das Atmen der Klasse zu hören war; Sekunden, die ihr die Luft abdrückten. Was nun? Hinsetzen? Irgendetwas sagen? Schließlich lösten die Schüler ihr Problem: „Guten Morgen, Frau Schihill!“ wurde sie im Chor begrüßt. „Guten Morgen ...“, entgegnete sie perplex, „und setzt euch doch bitte!“ Die Schüler folgten ihr - wiederum in beängstigender Einheitlichkeit und starrten sie an, sodass die Kriminalrätin nichts als Augen zu sehen glaubte. Ein Mädchen in der letzten Reihe hatte sich wohl schon seit dem Setzen gemeldet, ohne dass die Schill es bemerkt hatte, denn ein anderes Mädchen rief ihr zu: „Die Wiebke meldet sich!“ Frau Schill zuckte: „Was, ich?“ Die Klasse lachte - noch verhalten. Mehrere Schüler, die in der ersten Reihe saßen, zeigten nach hinten auf die Melderin: „Da, die Wiebke!“ Die Kriminalrätin fühlte sich selbst fast wie ein Mädchen, als sie der Klasse eingestand: „Ich heiße doch auch Wiebke, Wiebke Schill, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. - Ja bitte, du andere Wiebke, was möchtest du?“ Lebhafteres Lachen, das laut und herzlich wurde, als die Schülerin Wiebke sagte: „Ich wollte nur fragen, ob Sie sich nicht vorstellen könnten.“ Obwohl die Frage in den Kern ihrer Legende führte, gewann die Polizistin hiermit ihre Sicherheit zurück. Sie sprach von sich, von großen Kindern, die sie unterrichtet hatte und von Politik, die das Leben bestimme und vermochte es schließlich, den Spieß umzukehren. In ungezählten Befragungen geschult, brachte sie die 7.-Klässler dazu, ihrerseits zu sprechen: Berufswünsche, Lieblingsfächer und schließlich sogar Politik: Was war im Unterricht thematisiert worden? Wie hatten die Vorgänger unterrichtet? Wie viele Hausaufgaben waren aufgegeben worden? Wie waren diese kontrolliert worden. Als es laut und unruhig wurde, ließ sie die Hefter öffnen und diktierte einen Text über - was sonst - die Bedeutung des Fachs. Und obwohl sie sich in diesem Augenblick alles ausdachte, obwohl ihr der eigene Gedankengang ungeordnet und die Formulierung holprig erschien, obwohl es nur eine Vertretungsstunde war, schrieben die Schüler widerstandslos mit - bis es klingelte. Erleichtert eilte sie hinaus. Sie hatte es geschafft. Aber immer würde das nicht so gehen.