Читать книгу Zweihundertneunundneunzig - Lorens Tabert - Страница 22
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ОглавлениеNach der Ernüchterung dieses Schultages hatte sie ihr Rad im Slalom durch die Passanten der Fußgängerpassage geführt. Und weil die Februarsonne bereits freundlich ins kommende Frühjahr ausblickte, hatte sie sich am Marktplatz auf eine Bank gesetzt. Die Bänke standen neben einem eingefassten Areal. Darin waren zur Verschönerung des Marktes großen Bruchsteine aufgestellt. Darauf kletterten Kinder, deren Eltern - wie die Schill auch - etwas ausruhen wollten. Unter den Steinen fiel ihr ein kleinerer auf, der sich von den anderen unterschied: Er bestand aus einer roten Grundmasse, die keine Kristalle erkennen ließ. Dafür einige größere dunkelgraue Einsprenglinge auszumachen. Der besondere Stein zog sie in ihre eigene Schulzeit zurück: Vor ihr lag ein Porphyr-Block, den das Gletschereis hergetragen hatte. Das wusste sie noch aus ihrem eigenen Erdkundeunterricht. Sie erschrak, denn ihr wurde noch etwas bewusst: Sie hatte heute eine ihrer eigenen Lehrerinnen kopiert. Sie war nicht nur in deren Duktus verfallen, sondern hatte sogar auf Phrasen zurückgegriffen, die offensichtlich unversehrt in ihrem Gedächtnis überdauert hatten. Hatte sie gar nicht anders können, weil sie nichts Eigenes hatte? Ging es den anderen ebenso? Wen hätte dann Friedrich imitiert? Sie musste lachen und vergaß über dem Erlebten, Streller anzurufen. Stattdessen stürzte sie sich in ihre Vorbereitung für den nächsten Tag: Politik von beiden Enden, ganz grundsätzlich für die Kleinen und ganz filigran für die Großen.