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Fokus: Bedeutung des Hippocampus

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In der Mitte des 20. Jahrhunderts galt die Resektion des medialen Temporallappens als geeigneter neurochirurgischer Eingriff zur Heilung schwerer Epilepsien. Bei diesem Eingriff wurden häufig große Teile des Hippocampus ( Abb. 1.1) mit entfernt. Wie der in der neuropsychologischen Literatur gut dokumentierte Fall des Patienten H.M. zeigt, kann jedoch die Schädigung des Hippocampus dazu führen, dass die Fähigkeit verloren geht, neue Wissensrepräsentationen aufzubauen.

H.M. wurden nach einer über 15-jährigen Krankheitsgeschichte im Jahre 1953 im Alter von 27 Jahren beidseitig große Teile des Hippocampus (sowie der benachbarten Amygdala) entfernt. Die Operation war insoweit erfolgreich, als die Häufigkeit und die Intensität der epileptischen Attacken deutlich nachließen. Allerdings kam es auch zu einem fast vollständigen Verlust der Fähigkeit, neue Informationen ins Langzeitgedächtnis aufzunehmen und zu erinnern. Tests zeigten, dass die überdurchschnittliche Intelligenz und die Arbeitsgedächtniskapazität von H.M. erhalten blieben, aber zu einer Repräsentation neuer Wissensinhalte im Langzeitgedächtnis kam es nicht mehr. Die Zeit blieb für ihn für immer stehen. Daraus lässt sich ableiten, dass den betroffenen Arealen eine zentrale Bedeutung bei der überdauernden Speicherung neuer Informationen zukommt.

Doch in welchem Format ist erworbenes Wissen überhaupt gespeichert? Gibt es ein einheitliches Format für alle Wissensinformationen, oder muss zwischen verbal-abstrakten und eher bildhaft-analogen sowie handlungsnahen Formaten unterschieden werden? Paivio (1971) hat hierzu eine Doppelkode - Theorie vorgeschlagen, wonach das, was wir visuell aufnehmen, bildhaft und das, was wir sprachlich wahrnehmen, verbal gespeichert wird. In seiner Sichtung der dazu durchgeführten Studien kommt Anderson (2000) zu der Schlussfolgerung, dass das Repräsentationsformat für visuelles Material tatsächlich räumlich-analoge Kodierungsmerkmale aufweise, während für die mentale Repräsentation verbalen Materials eine sequentiell-lineare Kodierung anzunehmen sei. Kritiker der Doppelkode-Theorie haben aber darauf hingewiesen, dass die Annahme zweier Repräsentationsformate gar nicht unbedingt erforderlich sei. Sinnvoller sei die Annahme eines einheitlichen, abstrakt-propositionalen Repräsentationsformats von Wissen, das es erlaube, beim Gedächtnisabruf sowohl bildhafte als auch verbale Erinnerungen zu rekonstruieren (Mayer, 1997; Schnotz, 2005; Kap. 7.4).

Auch wenn die Frage, ob unser Langzeitgedächtnis unterschiedliche Repräsentationsformate für bildliche und sprachliche Information benötigt, nicht abschließend zu beantworten ist, lässt sich sowohl für das Lernen aus Texten, wie auch für das Verarbeiten von Bildinformationen leicht nachweisen, dass eher die Bedeutungen von Textinhalten bzw. die bedeutungshaltigen Interpretationen von Bildern im Gedächtnis repräsentiert werden als die konkreten Einzelinformationen.

Die am häufigsten herangezogenen Konzepte zur Umschreibung des Repräsentationsformats des im Langzeitgedächtnis gespeicherten Wissens sind Proposition, Schema und Skript. Propositionen sind kleine Wissenseinheiten, die eine selbstständige Aussage bilden. Sie eignen sich besonders gut, um die Repräsentation sprachlicher Inhalte auf der Bedeutungsebene zu beschreiben. Propositionen beinhalten eine Information über eine Gegebenheit oder über einen Gegenstand und geben Beziehungen zwischen einem oder mehreren Eigenschaften oder Relationen dieses Gegenstandes an. Der propositionalen Darstellung einer Episode sind in der Regel sowohl Informationen über ein Subjekt zu entnehmen, das etwas tut, als auch Informationen über Ziele oder Folgen einer Handlung oder auch über die Zeit, die während einer Handlung verstreicht.

Propositionen sind allerdings nicht die einzigen möglichen Beschreibungseinheiten von Gedächtnisrepräsentationen. Bildhafte Vorstellungen und hochautomatisierte Tätigkeiten (z. B. das Auto- oder Fahrradfahren) oder die Ablaufmuster vertrauter Szenarien (z. B. Familienfeiern oder eine Einschulung) lassen sich kaum mehr propositional repräsentieren. Hierzu sind komplexere Repräsentationsformate erforderlich, wie sie z. B. mit den Konzepten des Schemas und des Skripts vorliegen.

Eine weitere nützliche Unterscheidung bei der Beschreibung von Repräsentationsformen des menschlichen Wissens ist die zwischen einem deklarativen und einem nicht-deklarativen Gedächtnis (Markowitsch, 1992). Das deklarative Gedächtnis bezieht sich dabei auf die bewussten Repräsentationen für Fakten und Ereignisse und unterteilt sich weiter in episodische und semantische Gedächtnisinhalte (s. o.). Das nicht-deklarative Gedächtnis wird bisweilen auch als prozedurales Gedächtnis bezeichnet, da es zu einem großen Teil aus mechanisch erlernten motorischen Schemata

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