Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 25

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Die Festgesellschaft stieß Laute des Entzückens aus, als ein Zug von Hilfsköchen die Gerichte des dritten Gangs hineintrug. Fisch und Geflügel. Begleitet wurde ihr Auftritt von der melodiösen Stimme des Küchenchefs, der in höfischer Manier die Namen der Gerichte ausrief.

»Poisson d’or.«

Mit Blattgold überzogene Aale, Lampreten und Barsche lagen auf einem Bett aus blau gefärbten Flussmuscheln. Es folgten kandierte Wachteln und mit Ingwer gespickte Hühner auf Tragbrettern, daneben Schüsseln mit Kohl, Mangold und Rüben.

Der Küchenchef holte Luft: »Et maintenant, paon rôti à la mode de roi.« Der nach Königsart gesottene Pfau war ein Augenschmaus besonderer Art. Man hatte ihm nach der Zubereitung sein Federkleid wieder aufgesteckt, die Augen durch Bernsteine ersetzt und den Schnabel mit Krapplack rot überzogen. Der Vogel wurde an der Stirnseite der zum Hufeisen aufgestellten Tafel aufgetragen und vor van Berck platziert. Der Küchenchef reichte dem Hausherrn ein blank gewetztes Messer und eine Vorlegegabel.

»Zu früh«, zischte der Kaufmann. »Der Ritter ist noch nicht da!« Er hob seinen Weinpokal zum Zeichen, dass die Gäste den Schmaus beginnen sollten, und fiel missmutig in seinen Lehnstuhl zurück.

»Vater«, flüsterte Sidonia, »du musst dieses Monstrum tranchieren, die lebenden Spatzen, die man in seinen Bauch eingenäht hat, werden sonst ersticken!«

»Sollen sie doch«, murrte Claas van Berck. »Ohne den Ritter sind die schönsten Überraschungen verschwendet. Wo bleibt er nur?«

Zimenes, der dem Hausherrn und dessen Tochter schräg gegenübersaß, verzog beim Anblick des Pfaus den Mund. Ihn ekelte schon lange davor, zu essen, was einmal gelebt hatte. Er hatte genug vom Tod gesehen, um dem Leben jeder Kreatur mit Respekt zu begegnen. Ein Tier zu schlachten, um es dann wie lebendig zum Mahl zu servieren, war scheußlich.

Der Ratsherr Schlosstedt, der neben ihm saß, registrierte Gabriels Miene mit Befriedigung. Mit gesenkter Stimme murmelte er. »Dem Kaiser würde solches Gepränge bestimmt nicht zusagen, oder? Er ist ein strenger Christ, heißt es, und sein Hauslehrer, der verstorbene Papst Hadrian, aß sein Leben lang nur Gemüsebrühe. Aber schaut nur diese Sidonia! Sieht aus, als neide sie dem Pfau die Federn. Was für eine eitle Weibsperson.«

Zimenes’ Miene verschloss sich: »Der Kaiser ist ein Freund der Tafelfreuden. Seine Narren lässt er gern Vertilgungsspäße vorführen. Dreißig Taubeneier verschlingen sie auf einen Satz«, sagte er kalt. »Und die Tochter des Kaufmanns braucht kaum Konkurrenz für ihre Erscheinung zu fürchten.«

Sidonia stach die Spitze des Tranchiermessers in den Vogelbauch und schlitzte ihn auf. Tschilpend schlüpften Spatzen hervor und schüttelten ihr Gefieder. Erstaunte Rufe wurden laut, als eine Wolke von Vögeln durch den Saal schwirrte. Mitleidig beobachtete Sidonia die Tiere, als Gabriel über seinen Tisch setzte und sich den Umhang von den Schultern riss. Mit dem Mantel und seinem Degen trieb er die Vögel auf ein unverglastes Bogenfenster zu. Ein Teil von ihnen konnte sicher entkommen.

Gabriel Zimenes verneigte sich in Sidonias Richtung, als habe er seiner Minnedame einen Dienst erwiesen. Die weiblichen Gäste verfolgten es mit neidischem Beifall. Einige mutmaßten noch immer, dass es sich um den Ritter von Löwenstein handeln müsse, dem es gefiel, eine Maskerade aufzuführen. Ritter waren extravagante Naturen. Weniger romantisch veranlagte Gäste machten sich Gedanken über die wahren Gefühle der Kaufmannstochter und die Abwesenheit des Verlobten.

Verärgert über die Dreistigkeit von Zimenes sprang van Berck auf. Er gab den Spielleuten auf der Galerie ein Zeichen, zum Tanz aufzuspielen. Er musste den Schmaus und die Gelegenheit zu weiterem Getuschel unterbrechen, um die Festgesellschaft von diesem Spanier abzulenken. Sidonias vorhin gezeigte Abneigung gegen diesen Zimenes schien nicht unbegründet. Jetzt strebte Gabriel Zimenes auf den Tisch van Bercks zu und streckte seine Hand in Richtung Sidonias aus.

»Wie kann er es wagen, er ist wirklich unmöglich«, raunte Claas van Berck seiner Tochter zu, doch die lief hinter dem Tisch hervor und ergriff Gabriels Hand.

Andere Paare nahmen dies zum Zeichen, um sich zu einem Schreittanz in der Mitte des Saales aufzureihen. Sidonia stellte sich dem Spanier gegenüber. Zu den Takten einer Pavane schritten sie aufeinander zu, umkreisten sich mit gemessenen Schritten, berührten einander bei den Fingerspitzen und durchschritten das Spalier der Paare.

»Ich sehe, Ihr habt ein Herz für leidende Kreaturen«, flüsterte der Spanier Sidonia zu, ohne ihr das Gesicht zuzuwenden. »Und wisst mit einem Messer umzugehen.«

Sidonia hielt die Augen ebenfalls starr geradeaus gerichtet. »Spricht das Messer für mein Herz?«

»Mehr als Eure Worte. Genau wie Euer gestriges Eintreten für die Seiltänzerin. Wo habt Ihr das Kind hingebracht?«

Sidonia ließ seine Hand los und reihte sich, am Ende des Menschenspaliers angekommen, wieder unter die Damen, während Zimenes ihr gegenüber seinen Platz einnahm. Endlich trieb die Musik sie wieder zueinander hin.

»Nun, wo ist Lunetta?«

»In Sicherheit.«

»Nicht, solange Euer Ritter nicht erscheint! Ein ausgesprochen unpünktlicher Gast.«

Sidonia schnappte nach Luft. Wieso machte dieser Spanier sich ständig über sie und ihren Bräutigam lustig? Gerade noch war sie bereit gewesen, Gabriel zu verzeihen, weil er die Spatzen gerettet und die langweilige Festgesellschaft mit so unverfrorener Eleganz aufgestört hatte. »Warum spottet Ihr über Adrian von Löwenstein? Und was hat der Ritter mit dem Kind zu tun?«

»Ich spotte nicht über Adrian von Löwenstein!«

»Also spottet ihr über mich!«

Die Tanzordnung trieb sie auseinander, bevor Gabriel Zimenes antworten konnte. Ungeduldig stieß Sidonia die Dame beiseite, die an der Reihe war, sich mit Gabriel zum Kreistanz zu vereinen, fasste ihn bei den Händen und zog ihn zu sich heran.

»Das«, sagte Zimenes schmunzelnd, »verstößt gegen die Tanzordnung und jede Regel des Anstands, junge Dame. Man wird annehmen, Ihr hättet Interesse an mir. Schickt sich das für eine verlobte und wie ich hoffe verliebte Braut?«

»Es reicht. Was bildet Ihr euch ein! Ihr seid ein dummer kleiner Quacksalber. Ich habe an keinem Mann Interesse außer an Adrian von Löwenstein!«

»Davon rate ich dringend ab«, flüsterte Gabriel. Er beugte sich zu ihr hinab. Seine ernste Miene ließ Sidonia verstummen. »Hört ihr? Vergesst den Ritter. Er kann Euch nicht glücklich machen. Niemals. Und nun verratet mir, wo ich Lunetta finde, das ist alles, was ich von Euch will.«

Das Ende des Tanzes gab Sidonia die Gelegenheit, sich ohne Antwort von Zimenes zu entfernen. Verwirrt schritt sie zu ihrem Platz zurück. Warum hatte der Spanier so eindringlich auf sie eingeredet?

Wieder nahm der Küchenchef seinen Posten beim Eingang ein, um Gerichte anzukündigen. Ein süßer Zwischengang stand auf seiner Liste. Doch bevor der erste Knecht ein Tablett hineintragen konnte, schlüpfte Lambert an ihm vorbei in den Saal. Verstohlen nahm er an der Tafel Platz und bemühte sich, die Blicke seines Vaters zu ignorieren.

»Cerises sautées avec fleur d’oranger«, kündigte der Koch gedünstete Kirschen mit Orangenblütenaroma an. Wieder strömten Diener hinein. Bei dem letzten stutzte der Koch und zog die Wachstafel unter seiner Schürze hervor, auf der er die Speisenfolge notiert hatte. Der Bursche war zu viel. Und die namenlose Speise, die er unter einer Zinnglocke verborgen hatte, ebenfalls.

Der Koch wollte hinter dem Knecht her, aber der hatte bereits die Mitte des Saales erreicht und wurde bewundert. Auf der Zinnglocke klebten Altarkerzen. Weiße Rosen und kandierte Veilchen bildeten einen Kranz um die Glocke. Mit geradem Rücken hielt der Knecht auf Claas van Berck zu.

Sidonia beobachtete es mit wachsendem Entsetzen. Gabriel Zimenes’ Warnung hatte sie verwirrt, und ein Blick auf Lambert, der unruhig auf seiner Bank hin und herrutschte, ließ eine böse Ahnung in ihr hochsteigen. Etwas war völlig falsch an diesem Fest, an diesem Abend.

Der Kaufmann sah den Diener mit der Zinnglocke nicht kommen. Er war in die Tadel vertieft, die er Sidonia erteilte, weil sie mit Gabriel getanzt und ihn sogar vor aller Augen an sich herangezogen hatte. Erst als das Tablett vor dem Kaufmann abgesetzt wurde, schaute er auf. Seine Gäste erwarteten eine weitere Überraschung. Alle blickten gebannt auf die Zinnglocke. Von fern schlug Sankt Kolumba die elfte Stunde.

Claas van Berck blies nachlässig die Altarkerzen aus. Sidonia streckte impulsiv die Hand vor, wollte nach der seinen greifen, doch van Berck schüttelte sie ab und hob mit Schwung die Zinnglocke.

Schreie wurden laut.

Ein Domherr sprang von seinem Stuhl auf: »Das ist übelste Ketzerei! Gotteslästerung! Wo ist der Gewaltrichter? Er muss sofort einschreiten.«

Claas van Berck starrte auf die Platte hinab. Sidonia erbleichte. Unter der Zinnglocke lagen auf einem Wappentuch der Löwensteins die abgehackten Hände eines Menschen. Sie waren wie zum Gebet um einen Rosenkranz aus Goldmünzen gefaltet, am Ringfinger der linken Hand steckte ein Brautring. Langsam hob der Kaufmann seinen Blick. Seine Augen suchten Lambert, die Augen der anderen Gäste folgten seinen.

Doch noch bevor alle den Jüngling ausgemacht hatten, der mit entschlossener Miene aufgestanden war, ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Alle Köpfe fuhren zur Tür herum, die vom Druck einer Explosion in den Saal geschleudert wurde. Schreiend und in Panik sprangen Männer und Frauen von der Tafel auf, warfen die Bänke um, flohen nach allen Richtungen und versuchten der Rauchwolke zu entkommen, die schwarz in den Raum quoll.

Brandgeruch lag in der Luft. Schon erklang die Feuerglocke des Hauses, Knechte schrien nach Wasser. Gabriel Zimenes zögerte nicht. Er tränkte den Saum seines Umhangs mit Wein, hielt sich den feuchten Stoff vor Mund und Nase und kämpfte sich durch Menschen und Rauch bis zur Tür. Hustend erteilte er umherirrenden Knechten Befehle.

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