Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 40

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Der Wirt drängte seine massige Gestalt in die Kammer. Seine Stimme war munter.

»Guten Morgen, Ihr wart bereits früh auf den Beinen, weshalb ich erst jetzt mit Euch sprechen kann.«

»Ich habe es eilig. Und bereits gezahlt!«

»Genau darüber wollte ich mit Euch sprechen. Meine Magd kam gestern Nacht zu mir. Völlig aufgelöst, das arme Ding! Sie erzählte mir eine unglaubliche Geschichte!«

Sidonia wollte sich vom Hocker erheben, doch der Wirt drückte sie wieder hinab.

»Als Gastwirt habe ich Pflichten. Ich muss gewisse Vorkommnisse melden. Das Hafenamt hat strenge Vorschriften, was die Beherbergung von Fremden angeht.«

Sidonia schaute widerwillig zu ihm hoch.

»So? Und wie lauten die Bestimmungen über liederliche Mägde? In Köln ist Hurerei in Schenken verboten, und Hurenwirte prügelt man mit Ruten zur Stadt hinaus.«

Der Wirt schlug nach einer Fliege und traf. »Ich habe die besten Verbindungen zu den Beamten. Sie essen, trinken und schlafen gelegentlich bei mir. Und bei der Magd. Auch Informationen nehmen sie dankend von mir entgegen.«

»Gegen Geld, nehme ich an.«

»Gegen viel Geld. Schließlich will man den Hafen von zwielichtigem Pack frei halten.«

Sidonia straffte die Schultern, sie wollte nur noch heraus aus diesem Verschlag und diesem Gespräch.

»Wie viel?«

Der Wirt leckte sich die Lippen. »Fünfzig Goldgulden ist ein verkehrter Adam sicher wert.«

Sidonia fuhr hoch und stieß den Wirt mit aller Kraft beiseite. »Das ist ein Vermögen!«

»Über das du verfügst, Mädchen!«

Wenig später wandelte Sidonia wie eine Marionette wieder am Hafen entlang. Wer zog die Fäden in ihrem Leben? Und was sollte sie nun tun? Auf dreißig Goldgulden hatte sie ihren Erpresser herabhandeln können, weil sie ihm ihr Pferd überlassen hatte. Den Rappen brauchte sie nicht mehr, denn eins war sicher: Sie musste nach Spanien, und sie brauchte ein Schiff. Die schnelle Galeone Negrona war unerreichbar. Zehn Goldgulden besaß sie noch. Für die Bettler, die am Pier herumlungerten, die Tagelöhner und die Krantreter wäre das gewiss ein Vermögen, aber für sie?

Mutlos betrat sie eine Schifferkirche und ließ sich auf eine Bank fallen. In einer Seitenkapelle leierte ein gemieteter Diakon Seelenmessen herunter, hob und senkte den Messkelch vor dem Altar, als hätte er einen Korb Wäsche aufzuhängen. Der Gekreuzigte schaute vom Altarbild auf ihn herab.

Es war ein Jesus des Grauens, festgehalten von einem flämischen Meistermaler aus der Schule Breughels. Dornen, Nägel und Pfeilspitzen ragten überall aus seinem Fleisch, so als sei der Künstler auch Folterexperte gewesen. Es war ein Christus, der eingesehen hatte, dass der menschliche Wille gegen das Schicksal nichts ausrichten kann.

Sidonia schoss eine Frage des Heiligen Antonius durch den Kopf, der das Portal des Kölner Antoniterhospitals zierte: Ubi eras Jesu hone, ubi eras, quare non affuisti, ut sanares vulnera mea? Wo warst du, guter Jesus, wo warst du? Und warum kamst du nicht und verbandest meine Wunden?

Der Diakon schlug hastig so viele Kreuze, wie ihm bezahlt worden waren. Auch in dieser prachtvollen Kirche wurde der Glaube vor allem von der Furcht vor Höllenqualen genährt. Qualen, die das Bild des Gottessohns festhielt und auf die es auf Erden genug Vorgeschmack gab. Heitere Zuversicht in Gott? Sie fehlte Sidonia. Seufzend entfaltete sie den Brief, den sie noch immer nicht gelesen hatte.

Liebste Sidonia, begann er in der steilen Handschrift Rosalias, etwas Schreckliches ist geschehen.

Was auch sonst! Widerstrebend las sie weiter.

Am Morgen nach deiner Flucht bekamen wir Nachricht, dass Lambert verhaftet worden ist. Er ist der Ketzerei angeklagt, und sogar wegen des Mordes am Reliquienhändler deines Vaters wurde er vernommen. Ich brauche dir nicht zu sagen, wer diese Anklagen erhob! Der Teufel, dessen Namen ich nicht nennen will, nimmt keine Atempause. Ich weiß, wie sehr dich diese Nachricht treffen muss.

Es bleibt uns ein einziger Trost: Aleander hat noch am gleichen Morgen Köln verlassen. Nun ist dein Vater frei, seinen Einfluss geltend zu machen. Er hat einen guten Anwalt gefunden. Sein Name ist Adolf Ciarenbach. Er ist ein Theologe und scheint sich mit den Vorwürfen der lutheranischen Ketzerei auszukennen. Er ist ein gelehrter, hochherziger Mann, und der Gewaltrichter hat bereits zugesagt, Lambert nicht auf den Turm zu setzen, sondern in seinem eigenen Haus unter Bewachung zu halten.

Ich habe Lambert gesehen, und es geht ihm gut. Mein Kind, ich bete für dich und dafür, dass du deine Reise antreten konntest, bevor dieser Brief dich erreicht, da er dir gewiss nur Kummer machen wird. Ich werde dir neue Nachricht an die verabredete Adresse in Santiago schicken. Sei gesegnet und Gott schütze dich

Rosalia de Fraga, Gräfin Löwenstein

Atemlos ließ Sidonia den Brief sinken. Lambert verhaftet! All ihre Opfer umsonst. Aleander war und blieb der Mann, der die Fäden zog, wie es ihm beliebte, die Welt war sein Puppenspiel. Sie schüttelte den Kopf: Das durfte nicht sein, das konnte nicht sein. Gab es denn keinen gerechten Gott? Möglichst einen strafenden, rächenden, zürnenden?

Mit brennenden Wangen schaute Sidonia zum Hauptaltar und zuckte zusammen. Nicht über den milden Blick des Heiligen Jakobus, der neben einer Schifffahrtsmadonna thronte, sondern über eine Gruppe Männer und Frauen, die dort kniete. Sie erkannte sie an ihrer Wappenflagge mit den elf Flämmchen. Es waren Kölner Bürger auf Pilgerfahrt. Unter ihnen der wohlhabende Braumeister Sebald Rieter, den sie aus dem Haus ihres Vaters kannte. Mit Wachskerzen in der Hand betete die Gruppe für eine sichere Passage nach Spanien.

Noch ein vertrautes Gesicht entdeckte sie in der Gruppe: Es gehörte dem Stadtsoldaten Goswin, der einen neuen Brustpanzer trug und statt zu beten grimmige Blicke durch die Kirche gleiten ließ, als befürchte er aus den Seitenkappellen einen Angriff auf die Kölner Gesellschaft. Man schien ihn als Wächter der Gruppe angeworben zu haben.

Schnell schlüpfte Sidonia aus ihrer Bank und stahl sich zum Ausgang. Es schien, dass sie ihrer Vergangenheit nicht entkommen konnte. Nein, es gab keinen gerechten und schon gar keinen gütigen Gott. In dieser Welt gab es nur die Macht des Teufels ...

Sie prallte mit einem Mann zusammen, der eben in die Kirche trat. Zornbleich schaute sie auf und starrte in zwei wohlbekannte Augen.

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