Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 31

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Claas van Berck hatte die Nacht in seinem Kontor verbracht. Besorgt bemerkte die Magd Tringin die blauschwarzen Schatten unter den Augen des Schnarchenden und sah die leeren Weinkaraffen. Sie hob die Kontobücher und Briefe auf, die auf dem Boden verstreut lagen, eilte zu den bunten Glasfenstern und riss eines auf. Dann rüttelte sie den Kaufmann.

»Herr, wacht auf, wacht auf. Der Gewaltrichter und zwei Stadtsoldaten warten unten auf Euch! Ihr könnt sie unmöglich in Eurem Nachtmantel und in diesem Durcheinander empfangen.«

Stöhnend fuhr der Kaufmann hoch. Mit fahriger Geste strich er sich übers Haar und hielt sich den Kopf, als müsse er verhindern, dass er ihm vom Halse rollte.

»Tringin, schrei nicht so.« Benommen schaute er die Magd an, wunderte sich darüber, wie verschwommen ihre Gestalt war. Tringin reichte ihm einen Krug Bier. »Trinkt das, ich habe es eben aus dem Keller geholt, es ist kalt und frisch. Ich habe Brechwurz beigemischt, damit Ihr Euch erleichtern könnt.« Sie hielt ihm einen Eimer vor, wartete, bis der Kaufmann ein paar Züge getan hatte, kurz darauf würgte und sich mit einem Schwall erbrach.

»Hier ist Wasser, Herr, damit Ihr Euch waschen könnt, und eine frisch gebürstete Schaube, die mit dem Hermelinkragen. Schnell, schnell, ihr müsst einen würdigen Eindruck machen!«

Der Kaufmann wischte sich Gesicht und Mund mit einem nassen Tuch ab und ließ sich zurück in seinen Sessel fallen. Schmerzhaft erwachte sein Verstand. »Ach, Tringin, was sollte das noch nutzen! Mein Unglück lässt sich auch mit Pelzen nicht bemänteln. Ruf Lambert. Ich muss tun, was zu tun ist! Warum sollte ich dabei nicht so verzweifelt aussehen, wie ich mich fühle?«

Tringin schüttelte den Kopf. »Ihr müsst aussehen wie ein Sieger, nicht wie der Verlierer, den sie aus Euch machen wollen. Gönnt ihnen diesen Triumph nicht!«

»Sie werden keinen Grund haben zu triumphieren«, sagte eine ruhige Stimme von der Tür her. Tringin und ihr Herr wandten die Köpfe. Sidonia stand blass und ernst im Türrahmen. Sie trug ein reizloses Gewand aus dunklem Tuch und hatte ihre Haare unter einer schlichten Haube verborgen. Sie schloss die Tür und trat mit geradem Rücken vor den Schreibtisch des Kaufmanns. Tringin wollte den Raum verlassen, doch Sidonia hielt sie mit dem Arm zurück.

»Bleib nur, jeder darf hören, welches Glück unserem Haus bevorsteht. Der Ritter von Löwenstein wird mich zur Frau nehmen. Er will noch heute Morgen zu dir kommen, Vater, um die Zeremonie vollziehen zu lassen. Vielleicht wäre es gut, wenn du den Priester von Sankt Kolumba herbeirufen und einen deiner Faktoren zum Zeugen berufen würdest. Vielleicht gar den Gewaltrichter selbst? Er wartet doch unten.«

Claas van Berck kämpfte sich unter Mühen in seinem Stuhl vor. »Was redest du da? Wie soll das gehen? Wo ist der Graf? Wann ...« Bevor er die Liste seiner Fragen verlängern konnte, ertönte ein kurzes Klopfen.

Tringin eilte mit der Schaube herbei, legte sie ihm um die Schultern und strich sein Haar glatt. Claas van Berck wischte ihre Hand beiseite, als sich die Tür seines Kontors langsam öffnete.

Ein Mönch in weißer Tracht betrat hinkend den Raum. Sidonia sog scharf die Luft ein. Wie weit wollte der Ritter seine Maskeraden und Demütigungen noch treiben? Der Dominikaner zog die Kapuze seiner Kutte vom Kopf. Sie enthüllte seine Tonsur. Sidonia erbleichte, während der Dominkaner bescheiden grüßte. »Gott mit Euch!«

Claas van Berck betrachtete den Kirchendiener voll Ungeduld. »Wer ließ Euch hinein, Bruder? Wir haben hier Geschäfte zu besprechen.«

»Ebendarum bin ich gekommen«, sagte der Dominkaner und nickte Sidonia zu. »Eure Tochter wird Euch alles erklären.«

»Meine Tochter?«

»Vater«, sagte Sidonia und sank auf einen Stuhl. »Dieser Mann ist Graf von Löwenstein.«

Tringin tat einen kleinen Schrei. Claas van Berck erhob sich verwirrt aus seinem Lehnstuhl. »Das ist ein Mönch!«

»Nein«, sagte Sidonia ärgerlich, »das ist Ritter Adrian von Löwenstein. Er liebt Verkleidungsspiele. Gestern besuchte er mich in anderem Gewand und sagte ...«

»Dass mein Name Löwenstein ist, ja. Aber du hast vergessen, mich nach meinem Vornamen zu fragen. Ich bin nicht Adrian, sondern Aleander von Löwenstein, sein älterer Bruder, und tatsächlich Mönch.«

Sidonia erbleichte: »Was soll das heißen? Du sagtest, du wärst mein Bräutigam, du ...«

Langsam drehte sich Aleander zu ihr um: »Und genau das war ich im eigentlichen Sinne doch auch in der vergangenen Nacht, nicht wahr? Du hast mich zur Sünde verführt. Erschreckend willig und zügellos, möge der Herr dir verzeihen!«

Sidonia sprang mit einem wütenden Schrei auf ihn zu, holte aus und ohrfeigte ihn: »Du lügst. Du Teufel! Du elender Teufel!« Wieder wollte sie ausholen, doch der Mönch griff ihr Handgelenk und drehte ihr den Arm auf den Rücken. Sidonia schrie vor Schmerz.

Claas van Berck eilte hinter seinem Schreibtisch hervor: »Ich werde dich aus dem Haus prügeln! Wie kannst du es wagen, so mit meiner Tochter zu reden?«

Der Mönch zog die sich wehrende Sidonia wie einen Schutzschild vor seine Brust und unterbrach ihn: »Mit einer Hure kann jeder umgehen, wie es ihm beliebt! Unten wartet der Stadtsoldat Goswin. Fragt ihn, er kann Euch berichten, was Eure leichtsinnige Tochter bei Nacht in den Gassen alles treibt oder im Hafen bei Freiern und Lumpen!«

Claas van Berck griff nach seinem Herzen, sein Atem ging in schweren Stößen, Tringin eilte herbei, um ihn zu stützen. Mit wutverzerrtem Gesicht schrie Sidonia: »Lass mich los, lass mich sofort los, du Lügner.«

»Tringin, rufe den Gewaltrichter herauf«, verlangte van Berck.

Der Mönch schleuderte Sidonia wie eine Puppe von sich, trat um den Schreibtisch herum und setzte sich in den prachtvollen Lehnstuhl des Kaufmanns: »Ich würde davon abraten, die Obrigkeit einzuschalten. Über diesem Haus hat sich eine Wolke von Verdächtigungen zusammengezogen, und als Vertreter der Heiligen Inquisition weiß ich, wie schnell aus einem Verdacht eine Anklage und aus einer Anklage ein Todesurteil werden kann. Für Euren Sohn gibt es kaum Hoffnung, und nun hat sich auch Eure Tochter als Priesterliebchen einer Todsünde schuldig gemacht. Und das mit Freuden, wie ich bestätigen könnte. In jedem Fall ist sie nicht mehr das, was man juristisch eine virgo intacta nennt, und somit kaum ehrbar zu verheiraten.«

Claas van Berck stützte sich schwer auf die Armlehnen eines Scherenstuhls, drehte sein geschwollenes und blau verfärbtes Gesicht zu seiner Tochter hin, die sich gegen eine Wand drückte.

»Sidonia, was redet dieser Mann? Was hast du getan? Sag mir, dass er irre ist, toll wie ein Hund! Wie kann er dich eine Hure nennen?«

Sidonia senkte den Kopf.

Der Mönch beugte sich über den Schreibtisch. »Werter van Berck, ich empfehle Euch, Platz zu nehmen und auf später einen Bader zu bestellen, der Euch zur Ader lässt, damit das Blut wieder in Fluss kommt. Ich selbst reinige mein Blut und meine Seele regelmäßig! Und nun werde ich Euch erklären, warum ich – entgegen jeder Neigung und zur Schande meines Standes – die Stelle meines Bruders im Bett Eurer Tochter einnahm und welch nützliche Verbindung daraus für uns entstehen kann.«

»Das kann nicht wahr sein, es ist nicht wahr!«

»Beruhigt Euch, van Berck. In Adelskreisen ist ein Beischlaf in Stellvertretung nichts Ungewöhnliches. Johanna von Aragon, die Mutter unseres jetzigen Kaisers wurde im Alter von sechzehn Jahren mit Philipp dem Schönen verbunden, indem sein niederländischer Brautwerber ein entblößtes Bein unter ihre Decke steckte. Philipp selbst weilte in Burgund, und man wollte den Pakt rasch sichern. Man nennt diese Praktik eine Ehe per procurationem und ...«

Sidonia löste sich von der Wand und lachte schrill auf: »Du hast mir weit mehr angetan!«

»Weil du mich verführt hast wie eine Teufelsbuhlin! Du bist Satans Werkzeug, leichtfertig und wollüstig.«

Claas van Berck stöhnte auf, Sidonia wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, doch ihr Vater fegte ihre Hand fort.

Aleander lupfte die Brauen. »Übt Euch in Vergebung, van Berck. Ich tue es auch. Eure Tochter ist nun einmal wie alle Weiber zur Sünde geboren. Schon das rötliche Haar ... bedauerlich, aber nicht zu ändern. In einem Kloster für Reuerinnen wird sie bald Gelegenheit haben, sich zu bessern. Ich bin Beichtvater eines solchen Konvents in Santiago und werde sie mit Freuden dort unterbringen. Weit fort von Köln kann sie Euch keine Schande mehr machen. Die Bußübungen sind von größter Strenge, ich selbst werde sie überwachen!«

Sidonia tat einen erstickten Schrei. Tringin wollte zu ihr laufen, doch van Berck hielt sie auf und hob unter Anstrengung sein Haupt. Er schaute dem Mönch kalt ins Gesicht: »Was willst du von mir?«

Der Mönch zog ein gerolltes Pergament unter seiner Kutte hervor. »Deine und die Unterschrift deiner Tochter unter diese Heiratsurkunde. Sie bestätigt den Vollzug der Vermählung zwischen Sidonia van Berck und Graf Adrian von Löwenstein in Spanien und damit alle Vereinbarungen des Ehevertrages. Das ist doch in Eurem Sinne! Ihr müsst nicht einmal einen Priester bemühen, ich selbst habe als Vertreter der Kirche gegengezeichnet.«

»Und Euer Bruder?«

Der Mönch lächelte still. »Auch seine Signatur fehlt nicht. Sie ähnelt ein wenig der meinen, schließlich sind wir Brüder ...«

Claas van Berck öffnete und schloss seinen Mund. »Weshalb diese Fälschung? Warum kommt der Ritter nicht selbst?«

Aleander seufzte, schlug ein Kreuz und faltete seine Hände: »Das wird ihm kaum möglich sein. Die Amorosa, das Schiff, welches ihn aus der Neuen Welt zurückbringen sollte, sank vor vier Monaten nahe dem Kap Finisterre. Man wird meinen Bruder demnächst für tot erklären. Ein bedauerlicher Verlust, der die Vereinigung unserer Familien nach allem, was gestern Nacht geschah, jedoch nicht behindert. Sofern Ihr die Mitgift für Eure ehrlose Tochter um eine beträchtliche Summe erhöht und ihr testamentarisch Euer Vermögen vermacht. Lambert wird es ohnehin kaum noch nutzen. Jedenfalls nicht, solange er den schönen, ehrenvollen Name von Löwenstein nicht nutzen kann.«

»Niemals werde ich bei dieser Lüge mitspielen«, flüsterte Sidonia. Ihre Stimme gewann an Kraft. »Niemals. Du kannst mich nicht zwingen, Mönch.«

Der Dominikaner machte eine wegwerfende Handbewegung, seine kalten Augen hielten den Blick van Bercks fest.

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