Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 42
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ОглавлениеDie Sterne verblassten. Ein Streifen Morgenröte stand am Himmel, als die Negrona zum Leben erwachte. »Aufgestanden. Gott gebe uns gute Tage und gute Fahrt. Aufgestanden«, weckte eine quäkende Männerstimme die Schiffsjungen, Matrosen und Passagiere.
Starr vom Schlaf feierte die Besatzung eine kurze Messe. Während die Seeleute danach ihr Frühstück aus Hartkäse, Zwiebeln und Zwieback einnahmen, sangen die Kölner Pilger ihr Abschiedslied: »An dich allein, Herr, glauben wir, behüt uns vor des Teufels List, der uns allzeit entgegen ist.«
Kaum hatte eine leichte Brise ihr Amen übers Meer geweht, als die Pfeife des Maats schrillte. Matrosen steckten die Spaken in das Gangspill und begannen den Anker einzuholen. Die Taurollen kreischten in den Blöcken wie Seevögel. Langsam stiegen die bleichen Leinwandmassen der Segel hoch, am Mast wurden ein spanisches Banner und die Fahne der Santiagopilger gehisst.
Beiboote wurden ins Wasser gefiert. Ruderknechte nahmen ihre Position an den Riemen ein, um die Negrona in die Strömung zu schleppen. Der Ruderpatron brüllte Kommandos. Im Takt der Ruderschläge löste sich die Negrona träge vom Kai. An Bord machten Matrosen das Langruder klar, um durch die Scheide aufs Meer zu lavieren. Nach einer Stunde Fahrt erreichte die Negrona die breite Mündung.
Das Schiff verfiel auf den Wellen in einen stampfenden Tanz. Der Navigator brüllte Befehle durch einen Sprechtrichter. Es folgten das flitzende Geräusch nackter Füße auf Holz, das Schlagen und Rollen von Tauen, das Knattern von Segeln, in die knallend der Wind hineinfuhr. Wie ein bockendes Pferd, das seinen Reiter abzuwerfen wünscht, nahm die Negrona Kurs auf Seeland und Englands Kanal.
Zwei Tage später wusste Sidonia, was Zimenes mit dem »entsetzlichen Leiden«, das sie in seiner Bugkajüte erwarten würde, gemeint hatte. Mit den Folgen sinnlicher Liebe hatte es nichts zu tun.
Eingesperrt in das schwüle Gelass seiner Kabuse war ihr so elend, dass sie auf der Stelle tot sein wollte. Das Schlingern und Schwanken des Schiffes drehte ihr alle Eingeweide um, ihr Kopf schmerzte, und jede Bewegung machte sie schwindeln.
Ihr bester Freund war ein Holzbottich, über den sie sich in regelmäßigen Abständen beugte, um ihren Mageninhalt auszuspucken. Viel blieb nicht mehr, sie hatte außer Schiffszwieback und Wasser seit Beginn der Reise nichts zu sich genommen. Erschöpft sank sie auf die Leintücher zurück, mit denen Zimenes das Kojenbett bespannt hatte, und verfluchte das Meer und seine Unendlichkeit. Sie bereute, dass sie Zimenes beim Ablegen des Schiffes aus der Kabuse verwiesen hatte. Immerhin war er Arzt.
»Such dir deine Hängematte, ich brauche deine Hilfe nicht«, hatte sie ihn angefahren.
»Bist du dir sicher?«
»Ganz sicher.«
»Gut, hier hast du Zwieback und Wasser. Das wird reichen.« Mit diesen Worten war er verschwunden, und sie hatte seine übliche Kälte und die karge Mahlzeit verflucht.
Jetzt wusste sie, dass selbst der Zwieback zu viel war. Wieder krängte das Schiff und ließ sie gegen die Bordwand rollen, um sich gleichzeitig in einer Bugwelle zu heben. Das Meer ließ seine Muskeln spielen. Es war, als höben die sich aufrichtenden Wellenberge die Negrona auf ihre Schultern, um sie sich gegenseitig zuzuwerfen. Sidonia tastete nach dem Bottich. Sie sehnte sich nach Luft und konnte nur ahnen, dass draußen Dunkelheit herrschte. Vor Stunden, so schien es ihr, hatten die Seeleute ihr Salve Regina, das Abendgebet, gesungen. Draußen ertönte der Schlag einer Glocke. Sidonia nahm an, dass mit dieser Glocke die Zeit gemessen wurde. Kaum war sie verklungen, als sich die Tür zur Kabuse öffnete. Zimenes schlüpfte hinein, in der Hand trug er eine Blendlaterne.
»Nun? Wie ist es dir ergangen?«
Sidonia richtete sich auf und stöhnte.
Gabriel Zimenes schmunzelte. »Ja, die Seekrankheit ist ein Übel, das keinen Unterschied zwischen König und Bettelmann macht. Hier, kau das.«
Er reichte ihr die Stücke einer Wurzel. Sidonia schnupperte daran. »Ingwer?«
»Es beruhigt den Magen, klärt den Kopf und bringt dein Blut wieder zum Kreisen.«
Sidonia schob sich ein Stück in den Mund. Die süße Schärfe bekam ihr.
»Ein gewisser Nostradamus, den ich während meiner Studienjahre in Paris traf, empfiehlt auch Liebenden den Genuss von Ingwerkonfitüre, damit der Mann seine natürliche Pflicht erfülle.«
Sidonia runzelte die Stirn, kaute aber unverdrossen weiter.
Zimenes öffnete an der Stirnseite der Kabine eine Holzluke. Seeluft drang ein. Sidonia atmete gierig, dann trank sie Wasser aus einem Lederschlauch. Als sie sich besser fühlte, wandte sie sich an Zimenes: »Warum hast du mir nicht gesagt, dass es hier eine Luke gibt! Die stickige Luft hat mich fast umgebracht, und dieser scharfe Wind ist wundervoll. Genau wie ich es mir immer vorgestellt habe!«
Zimenes prüfte mit der Hand die Windrichtung und entleerte den Holzbottich in die zischende Bugwelle. »Der Ausblick auf einen schwankenden Horizont hätte dein Leiden verschlimmert. Und wie ich dich kenne, hättest du die ganze Zeit vor der offenen Luke verbracht. Am Ende wärest du entdeckt worden oder hättest gar versucht, durch sie zu entkommen. Jetzt ist es Nacht, du kannst deinen Kopf nach Herzenslust hinausstecken.«
Sidonia kämpfte sich auf die Beine und fiel mit dem Rollen einer Welle gegen Zimenes. Erschöpft ließ sie sich gegen ihn sinken. Es tat wohl, sich in dieser schwankenden Welt an etwas festzuklammern. Sein Wams roch nach Salzluft und Ingwer.
»So zärtlich, Sidonia? Hast du in meinem Bett Sehnsucht nach mir entwickelt? Was würde dein Ritter dazu sagen?«
Sidonia stieß sich von ihm ab. »Ich habe Sehnsucht nach Luft und Bewegung, aber nicht nach dir!«
»Diese Sehnsucht musst du dir verkneifen. Ich sah an Deck eine Reihe deiner Bekannten. Die Kölner Pilger sind tatsächlich an Bord. Das Schiff ist voll bis zum letzten Platz. Und Bewegung ist an Deck nicht einfach. Überall liegen schnarchende Matrosen und Passagiere. Wer zum Abtritt am Schiffsschnabel will, hangelt sich außen an der Reling lang. Eine Übung, von der ich dir abrate. Wir haben schwere See und kreuzen vor dem Wind.«
Sidonia klammerte sich an einen Stützbalken und krallte ihre Nägel ins Holz. »Wo sind wir?«
»In einer Stunde werden wir Englands Küste erreichen und bis Cornwall unter Land weitersegeln, dann wird es ruhiger.«
»Wie lange wird die Reise nach Spanien dauern?«
»Morgen hofft der Kapitän in den Atlantik auszulaufen. Bei stetigem Wind sind es sieben bis elf Tagen bis La Coruña. Bei Flaute könnten es drei Wochen werden.«
Sidonia ließ sich auf das Kojenbett plumpsen. »Drei Wochen unter Deck? Das halte ich nicht aus.«
»Es könnte auch einen Monat dauern. Wir reisen im Verbund mit einer altersschwachen Karacke, wie es die Gesetze über den gegenseitigen Schutz von Pilgerschiffen vorschreiben.«
»Was für ein albernes Gesetz, wenn die Negrona schneller ist.«
»Du wirst anders denken, falls wir in Seenot geraten oder auf ein Korsarenschiff treffen. Vor der spanischen Küste segelt eine Menge Gesindel auf Abfangkurs. Die Negrona hat gute Fracht an Bord, dazu Passagiere, die Lösegeld bringen.«
»Korsaren schrecken mich nicht, ich sterbe hier vor Langeweile.« Das Schiff raste in ein Wellental. Sidonia streckte die Hände nach dem Holzbottich aus. Sie würgte und keuchte.
»Oder am mal de mar!« Zimenes ließ sich neben ihr nieder und stützte sie. Er strich ihr das Haar aus der Stirn, fuhr mit dem Zeigefinger die Linie ihrer Nase nach.
»Sidonia, du bist wirklich ein ungeduldiges Mädchen. Ungeduld kann gefährlich sein.« Er gab ihrer Nasenspitze einen Stups.
»Lass das, ich will nichts von dir.« Sie steckte sich ein Stück Ingwer in den Mund und stöhnte bei der nächsten Welle.
Zimenes strich über ihren Nacken, Sidonia spürte, wie sich die Härchen dort aufstellten, und erschauerte. Die Berührungen vertrieben mit einem Schlag jede Übelkeit. Zimenes näherte seinen Mund ihrem Ohr. »Aber ich will etwas von dir. Sofort!«
Sidonia schlug seine Hand fort. »Wie kannst du jetzt an so etwas denken?«
Zimenes lachte. »Du denkst ständig an so etwas, ich massiere dir nur den Nacken gegen das Unwohlsein! Ich frage mich langsam, warum du immer so unzüchtige Gedanken hast! Eine unwissende Jungfrau scheinst du jedenfalls nicht zu sein.«
Sidonia wandte entsetzt den Kopf ab. Ahnte Zimenes etwas von ihrer Schande? War ihr das entsetzliche Unglück anzusehen? Oder war sie eine geborene Hure, wie Aleander behauptete? Der Name Aleander ließ sie aufstöhnen.
»Ganz ruhig, Sidonia. Ich will nur wissen, wo Lunetta ist.«
»Das erfährst du erst, wenn ich sicher auf spanischem Boden stehe! Ich traue dir nicht«, schnappte sie.
»Dieses Misstrauen verbindet uns mehr als alles andere, meine Schöne. Falls du mich nicht mehr brauchst, gehe ich jetzt.«
»Lass mir die Laterne da!«
»Wozu? Möchtest du Seekarten studieren? Die Bibel lesen? Dir würde nur schlecht dabei werden. Was nicht an der Heiligen Schrift läge, sondern am Seegang.«
»Ich möchte Ruhe! Vor dir.«
Zimenes hakte die Laterne in einen Deckenhaken und verschwand.