Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 26
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ОглавлениеWeit nach Mitternacht saß Claas van Berck hinter dem Schreibtisch seines Kontors. Der rotblonde Haarkranz stand wirr von seinem Kopf ab. Der Geruch verkohlten Holzes schwängerte die Luft. Die Magd Tringin reichte ihm einen Becher mit gewürztem Wein. Sidonia gab der Magd ein Zeichen, sich zurückzuziehen, und nahm deren Position an der Seite des Vaters ein. Sie streichelte seine Schultern.
»Es ist alles verloren«, jammerte van Berck. »Alles verloren durch die Streiche meines Sohnes!«
»Ruhig, Vater«, sagte Sidonia. »Es ist nicht alles verloren. Das Feuer hat nur die Kapelle zerstört. Die Pulvermenge war sehr gering. Niemand wurde verletzt. Es hätte uns schlimmer treffen können!« Viel schlimmer, wenn nicht Gabriel Zimenes so beherzt wie umsichtig die Löscharbeiten befehligt hätte. Er schien stets in Momenten größten Unglücks aufzutauchen, um den Retter zu spielen. Ärgerlich schob Sidonia die Gedanken an den Spanier beiseite.
Van Berck hob den Kopf. »Wie viel schlimmer könnte es noch sein? Halb Köln hat gesehen, was Lambert getan hat. Bislang konnte ich seine Ungehörigkeiten vertuschen, aber morgen wird die Stadt wissen, dass mein Sohn ein Ketzer ist!«
Sidonia biss sich auf die Lippen. »Noch hat niemand einen Vorwurf erhoben. Ihm blieb keine Zeit, Reden zu halten.«
»Seine Taten sprechen deutlicher als Worte! Sein Vaterhaus und meine Gäste wollte er in die Luft sprengen. An deinem Verlobungsabend!«
Protestierend schüttelte Sidonia den Kopf. »Lambert beteuert, dass er kein Pulver in der Kapelle versteckt hat. Er wollte uns lediglich mit den blutigen Händen verärgern. Außerdem war er bei der Explosion im Saal. Keine Lunte hätte so lange gebrannt, wie er bei uns saß. Ich glaube ihm.«
Der Kaufmann setzte seinen Weinbecher ab. »Wie kannst du diesem Lumpensack nur ein Wort glauben? Mir die abgehackten Hände eines Diebes vorsetzen zu lassen! Einen Brautring aufzustecken! Und die Reliquiensammlung, um die mich selbst der Erzbischof beneidete, ist zerstört. Das ist ein Werk Satans! Lambert ist besessen. Vielleicht hat er gar meinen Reliquienhändler umgebracht.«
»Vater!« Sidonia wich vor ihm zurück. »Wie kommst du darauf?«
»Man fand eines meiner Messer an Bord des Schiffes, mit dem der Pilger in Köln eintraf, und hat mir deshalb bereits weitere Untersuchungen angedroht.«
»Deine Messer sind überall in Gebrauch. Auch ich trage stets eines bei mir.« Sidonia schlug sich die Hand vor den Mund.
Claas van Berck hatte kaum hingehört. »Und mit dem Dolch fand man eine ketzerische Karte, die der Gewaltrichter noch nicht zu deuten weiß. Er will deshalb das geistliche Gericht einschalten.«
Sidonia sah auf. »Eine Karte?«
Wortlos wirbelte ihr Vater eine Spielkarte über den Tisch und stürzte einen weiteren Becher Wein hinab. Sidonia ergriff die Karte und erbleichte. El carro hieß das Bild. Doch weniger als über den Streitwagen erschrak sie über das Gesicht des Wagenlenkers. Der Heros mit den Mondflügeln erinnerte an einen Mann, den sie kannte und inzwischen fast fürchtete: Gabriel Zimenes. Als sie die Karte umdrehte, wuchs ihr Erstaunen.
Lunetta stand dort mit Kinderhand geschrieben. Was konnte das bedeuten?
Claas van Berck fuhr mit schwerer Zunge in seinen Klagen fort: »Lambert ist die Pest unseres Hauses. Ich muss und werde ihn morgen selber dem Gewaltrichter übergeben. Der Herrgott verlangt ein so großes Opfer von mir, wie er es selbst brachte. Den eigenen Sohn, den eigenen Sohn!« Müde strich er sich über die Augen.
Sidonia kniete neben seinem Stuhl nieder. »Vater, er ist doch nur ein dummer Junge. Der Schock über den heutigen Abend ist ihm mächtig in die Glieder gefahren. Lambert hat mir versprochen, nach Spanien zu gehen, er will sich bessern, er ...«
»Es ist zu spät«, stieß van Berck hervor. »Nur indem ich Lambert opfere, kann ich unser Haus retten. Vielleicht kann ich ihn vor der Folter schützen und eine ehrenvolle Hinrichtung mit dem Schwert bewirken.« Wieder wischte er sich über das Gesicht. »Dieser Rauch zwingt mir Tränen in die Augen.«
»Vater. Du musst ihn nicht ausliefern. Der Gewaltrichter ist bekannt für seine Bestechlichkeit. Mit seiner Hilfe lässt sich der Verdacht auf irgendwelche lutheranischen Aufrührer lenken, die es eben auf einen so gläubigen Kölner wie dich abgesehen haben. Lambert erwähnte einen Prediger Fliestedten, der Brandreden schwingt und dem die Leute folgen wie der Faden dem Weberschiffchen. Man kann ihn sicher dingfest machen.«
Triumphierend schaute sie ihrem Vater ins Gesicht, diese Argumente mussten ihm doch einleuchten! »Wenn man es richtig betrachtet, ist es eine Ehre, dass dein Haus im Beisein vornehmer Gäste angegriffen wurde! Am letzten Pfingstfest hat man einen Prälaten ermordet!«
»Der war ein wüster Hurenbock!«
»Wen kümmert das? Die wenigsten Priester achten das Zölibat. Du befindest dich durch den Angriff auf dein Haus in bester Gesellschaft.«
In Claas van Bercks Augen glomm die alte Siegesgewissheit auf, doch dann schüttelte er resigniert den Kopf. »Ach, Kätzchen, du bist gewitzt, aber der Gewaltrichter hat bereits seine Forderungen gestellt, und die werden mich ruinieren.«
Sidonia öffnete verblüfft den Mund. »So hoch kann die Summe nicht sein. Vielleicht fünfzig rheinische Gulden.«
Claas van Berck erhob sich steif und ging zum Fenster. »Er will 200 Goldgulden und verbot mir, die Stadt zu verlassen, bis er die Untersuchungen abgeschlossen hat! Er würde sie sehr lange ausdehnen, um mich eine ganze Weile zu melken. Es hilft nichts, ich muss Lambert anzeigen.«
»Der Gewaltrichter ist ein ekelhafter Erpresser!« Sidonia schüttelte sich. »Man muss seine Machenschaften öffentlich anprangern!«
Van Berck zuckte mit den Achseln. »Unmöglich. Ich habe zu lange von seiner Bestechlichkeit und der des Rates profitiert. So läuft das Geschäft.«
»Dann musst du die verlangten Summen eben aufbringen.«
»Das ist schwerer, als du denkst, Sidonia. Das Fest und die Vorbereitungen zu deiner Hochzeit, der Geleitbrief nach Spanien für Lambert ...« Van Berck schüttelte den Kopf. »Meine flüssigen Mittel sind derzeit knapp, und die Kredite, die ich vielen Kölner Kaufleuten gewährt habe, wird mir keiner zurückzahlen, solange der Verdacht der Ketzerei auf unserem Haus liegt.«
Er lachte trocken. »Man wird mit mir wie mit einem Juden verfahren. Alle werden sich fein zurückhalten und meinen Untergang befördern, denn damit wären auch alle Schuldscheine erledigt. Mir, dem Vater eines Erzketzers, darf man Geld ruhig schuldig bleiben. Und lohnende Geschäfte wird jetzt auch keiner mit mir machen.«
Sidonia schaute ihn ernst an. »Es muss eine Möglichkeit geben, wieder an Geld zu kommen!«
Claas van Berck wandte sich zu ihr um, sein Gesicht ließ zum ersten Mal den kraftlosen Greis erahnen, der er einmal sein würde.
»Ich habe meine Hoffnungen und mein Vermögen auf deine Heirat gesetzt. Und nun taucht der Ritter nicht auf. Doña Rosalia hat sich in ihrem Zimmer eingesperrt und will mir nichts über die Nachrichten des Mönches sagen, der bei ihr war. Du weißt, wie fromm sie ist! Sicher hat sie ihren Sohn durch ihn warnen lassen. Die Einheirat in eine Ketzerfamilie ist für ihn unmöglich. Ach, Sidonia, vielleicht hattest du Recht, wir hätten uns mit einem Kölner Kaufmannssohn zufriedengeben sollen.«
Sidonia ließ sich in einen Lehnsessel fallen. Nein, sie wollte nicht Recht haben. Nicht in diesem Fall. »Der verdammte Ritter hat sein Kommen zugesagt! Er muss mich heiraten, dann wird alles gut! Einer Sidonia von Löwenstein und ihrem Vater oder Bruder wird man keine Ketzereien oder Verbrechen zur Last legen. Du hast selbst gesagt, dass die Löwensteins Verbindungen zum Kaiser haben. Vater, der Ritter ist unsere Rettung!«
Claas van Bercks Schultern sanken wieder herab: »Nach den Geschehnissen des heutigen Abends wird der Graf von Löwenstein kaum noch einen Fuß über die Schwelle meines Hauses setzen.«
»Dann musst du ihn zur Heirat zwingen! Vertrag ist Vertrag.« Sidonia stampfte mit dem Fuß auf.
»Wie denn? Ich kann mich derzeit kaum an einen Richter wenden. Man würde meine Zwangslage erkennen. Niemand hilft einem Erfolglosen.«
Zornig fegte der Vater Kontobücher und Briefschaften vom Tisch. Seine Stimme steigerte sich zu gellendem Geschrei. »Ich bin verloren! Endgültig verloren. Ich bin und bleibe der kleine Lumpenclaas, das Gespött von Köln.«
Sidonia sah entsetzt, wie der Vater einen weiteren Becher Wein hinabstürzte und wieder im Stuhl hinter dem Schreibtisch zusammensackte. Ein gefällter Riese. Nie hatte sie ihren Vater so mutlos gesehen. Sie musste eine Lösung finden. Sie musste!