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9. Katz und Maus

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Dreizehn Minuten nach dem Mord

Messiah kommt im Laufschritt an dem weißen Pick-up an. Black Dog, der mehrere Minuten vor ihm eingetroffen ist, lehnt am Wagen, noch schwitzend, eine Trinkflasche in der Hand. Ohne eine Sekunde zu verlieren, wirft Messiah seinen Rucksack in die Fahrerkabine, schnauft ein paarmal tief durch und nimmt einen Schluck aus der Flasche, die Black Dog ihm lächelnd hinhält.

»Das war wirklich ein guter Schuss. Profiarbeit.«

»Teamwork, Kamerad. Ohne dich hätte ich das nicht geschafft.«

Die beiden Männer stoßen die Fäuste aneinander. Black Dogs Miene wird wieder ernst.

»Ich versuche nur, den Anforderungen gerecht zu werden. Ich weiß, dass Khelifi für dich die Beste war …«

Messiah verzieht das Gesicht. Diese Erinnerung rührt an den Wurzeln seines Schmerzes. Er versagt sich das Recht, sein Herz auszuschütten und darüber zu sprechen, was in Afghanistan geschehen ist.

Das Handy in seiner Tasche gibt einen speziellen Ton von sich. Er zieht es hervor und betrachtet das Display, auf dem sich ein GPS-Signal bewegt.

»Hast du den Computer der Zielperson neu formatiert, ja oder nein?«

»Ja. Zeig mal …«

Das Signal auf dem Bildschirm bewegt sich weiter. Messiah nimmt seine Sonnenbrille ab und entblößt sein verblichenes Auge.

»Gibt es ein Problem?«

Sein besorgniserregender Blick lässt Black Dog das Blut in den Adern gefrieren.

»Es ist schon merkwürdig, dass jemand mit dem Computer unterwegs ist … Aber ich habe ihn formatiert, ganz sicher. Sekunde …«

Black Dog packt seinen Laptop aus und startet rasch einen Systemcheck.

»Das verstehe ich nicht … Sieht so aus, als hätte jemand den Vorgang blockiert.«

»Versuch es noch mal«, erwidert Messiah mit ruhiger Stimme. »Ich rufe Viper an und gebe ihm die IP-Adresse durch.«

»Verstanden.«

Messiah klettert hinters Steuer. Auf dem Beifahrersitz bearbeitet Black Dog fieberhaft seine Tastatur. Mit unbewegter Miene, das Handy am Ohr, lässt der Mann mit dem verblichenen Auge den Motor an. Der Pick-up heult auf und fährt mit quietschenden Reifen los.

Die schwarze junge Frau konnte keinen klaren Gedanken fassen, als sie aus dem Glastower kam. Daher ist sie minutenlang ziellos umhergewandert, ein lautes Pfeifen in den Ohren. Dann hat ihr Gehirn wieder auf Normalbetrieb geschaltet, und sie hat mit klopfendem Herzen den Weg zur Place du Canada eingeschlagen.

Dort vergewissert sie sich im Schutz der Bäume, dass sie Guillaumes Laptop noch mit ihrem Fingerabdruck entsperren kann. Es rührt sie zu Tränen, dass er ihr sein Vertrauen nicht entzogen hat. Für einen Moment sieht sie wieder das Gesicht des Journalisten vor sich.

Den Laptop auf den Knien, beginnt sie seinen Inhalt zu durchforsten und scrollt durch die Verzeichnisse, die sich in ihrer Sonnenbrille spiegeln. Ihre Enttäuschung wächst im selben Maße, wie sie sich als unfähig erweist, die gesuchten Dateien zu finden.

In ihrer Verzweiflung zieht sie eine externe Platte aus ihrem Rucksack und schließt sie an den Laptop an, um die Festplatte zu kopieren. Eine Meldung erscheint auf dem Bildschirm: »Downloadzeit: 54 Minuten.« Sie beißt die Zähne zusammen. Sie muss ihr Leben aufs Spiel setzen und Zeit gewinnen, bevor sie sich Guillaumes Rechner entledigen kann.

Und da passiert es: Eine Software, die sie selbst vor Wochen installiert und verschlüsselt hat, löst einen Alarm aus. Jemand versucht per Fernzugriff, die Festplatte zu formatieren, und bestätigt damit ihre Befürchtungen. Ihre Finger fliegen über die Tastatur. Sie weiß, wie man Hackerangriffe abwehrt.

Die Kapuze ihres Hoodies ins Gesicht gezogen, verlässt die junge Frau die Straße und huscht, sich immer wieder misstrauisch umblickend, die Treppen zur Untergrundstadt Montréal hinunter.

Die Vorsichtsmaßnahmen, die sie seit ihrer Flucht aus Lefebvres Wohnung ergriffen hat, sind nicht umsonst gewesen: Soweit sie es beurteilen kann, wird sie nicht verfolgt.

Es wird ihr erst später ganz bewusst werden, aber sie ist kein junges Mädchen mehr, das auf den Straßen von Abidjan ums Überleben kämpft. Sie ist eine Frau, die den Mut hat, das schwere Vermächtnis, das ihr aufgebürdet worden ist, zu tragen.

Der Lärm des Verkehrs und das Rauschen der Stadt verklingen, als sie eine der Türen passiert, die zu dem Netz von unterirdischen Fußgängertunneln führt.

Sie stürzt in eine Ladenpassage, als der Laptop unter ihrem Arm erneut Alarm schlägt. Eilends sucht sie sich eine abgeschiedene Ecke und blickt auf den Bildschirm. Ein Fenster ist aufgepoppt. Wieder ist ein Formatierungsversuch im Gang. Wie beim ersten Mal gelingt es ihr mit ein paar Tricks, ihn zu vereiteln. Sie hastet weiter.

Der weiße Pick-up rollt langsam durch die Rue de la Cathédrale. Mit dem scharfen Blick von Jägern, die dem Wild auf der Spur sind, suchen Black Dog und Messiah die Schar der Spaziergänger ab, die durch die Parkanlage der Place du Canada flanieren.

Black Dog senkt den Blick auf den Bildschirm seines Rechners. Das GPS-Signal bewegt sich wieder.

»Scheiße, warum bleibt der Typ stehen und geht dann weiter? Als ob er wüsste, dass wir einen Tracker in Lefebvres Computer haben.«

Messiah drückt aufs Gaspedal.

»Genau das ist es. Er sucht Beton, um das Signal zu blockieren! Die Metro!«

Der Pick-up rast bei Gelb über die Rue de La Gauchetière, und das Heck schrappt knirschend über den Asphalt, dass die Funken stieben.

Hinter der Kreuzung tritt Messiah auf die Bremse und bringt den Wagen neben dem Château Champlain zum Stehen. Er schlüpft in eine Sportjacke, steckt sich einen Ohrhörer ins Ohr und fischt seine Pistole unter dem Sitz hervor. Bevor er aussteigt, dreht er sich zu Black Dog um.

»Fahr zur nächsten Station und halt dort die Augen offen. Wir dürfen ihn nicht entkommen lassen.«

Noch bevor sein Partner hinterm Steuer sitzt, hat Messiah die Straße überquert. Entschlossen betritt er die Eingangshalle des Wolkenkratzers 1000 de La Gauchière, aus der man in die Untergrundstadt gelangt. Ein Jäger, der ruhig und umsichtig auf die Pirsch geht.

In die Fluten der Dunkelheit

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