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19. Kommunistische Partei

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»Falls Sie mir weismachen wollen, dass mein Vater Doppelagent war und für das KGB gearbeitet hat, verschwenden Sie Ihre Zeit.«

Komarov machte eine beschwichtigende Geste.

»Henri war kein Spion, Towarischtsch. Aber hast du ihn wirklich gekannt?«

»Und Sie? Wie gut haben Sie ihn gekannt?«

Komarovs Blick verschleierte sich, als erinnerte er sich an ihn.

»Den anderen kennenzulernen ist manchmal ebenso schwer, wie sich selbst kennenzulernen. Aber ich habe ihn gekannt. Oder geglaubt, ihn zu kennen. Nun ja … Und dann war da noch deine Mutter, Jeanne. Eine zarte Frau, aber von atemberaubender Schönheit.«

Zorn trübte Victors Blick, doch er beherrschte sich.

»Lassen Sie meine Mutter aus dem Spiel.«

Der Russe nahm daran keinen Anstoß und fuhr in vertrauensvollem Ton fort.

»Ich habe ihn von einer Seite gekannt, die du wahrscheinlich nie zu sehen bekommen hast. Entgegen allem Anschein war Henri kein gewöhnlicher Mensch. Er war ein Intellektueller. Ein überzeugter Marxist und ein wahrer Idealist, der an die Umverteilung des Reichtums glaubte.«

Victor versuchte sich ein Bild seines Vaters ins Gedächtnis zu rufen, aus der Zeit vor dem Blutbad, bei ihnen zu Hause, doch da war nichts, als hätte sein Selbsterhaltungstrieb alle Erinnerungen ausgelöscht, um zu verhindern, dass er wahnsinnig wurde.

»Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen folgen kann.«

»Henri hat heimlich der kommunistischen Partei angehört, Towarischtsch.«

Victor starrte Komarov ungläubig an.

»Haben Sie ihn dort kennengelernt?«

»Ja. Anfang der siebziger Jahre haben Henri und ich zusammen mit ein paar Genossen eine Zelle gebildet. Wir haben uns heimlich im Keller einer Teestube getroffen, deren Besitzer mit der Partei sympathisiert hat. Wir haben die Klassiker gelesen und uns über Bücher ausgetauscht, wir haben geschrieben, denn wir haben uns ebenso für große Autoren gehalten wie für richtige Proletarier, wir rauchten Zigaretten und tranken Wodka pur. Wir hatten dieselben Ideale, Victor. Wir träumten davon, die Welt zu verändern, wie jeder Zwanzigjährige, der etwas auf sich hält.«

»Sie haben gesagt, er hätte der Partei heimlich angehört. Warum hat er es verheimlicht?«

»Henri war ein vorsichtiger und besonnener Mensch. Nach der Hexenjagd in den sechziger Jahre und der Massenverhaftung während der Oktoberkrise hatte er begriffen, dass es besser war, sich bedeckt zu halten. Und im Unterschied zu den meisten anderen von uns hatte er Kinder.«

»Sie sagen, mein Vater sei kein Spion gewesen. Wie konnte er denn für ein Programm arbeiten, das Jagd auf die Kommunisten machte, zu denen er selbst gehörte?«

Komarov lehnte sich im Stuhl zurück und holte tief Luft.

»Eines Tages ist ein Jugendfreund deiner Eltern wieder in ihrem Leben aufgetaucht. Er arbeitete für die Regierung und hatte die Aufgabe, für ein bestimmtes Projekt fähige Leute zu rekrutieren. Er hatte sofort an Henri gedacht. Erst nachdem Henri erfolgreich mehrere Bewerbungsgespräche absolviert, eine Sicherheitsüberprüfung bestanden und Geheimhaltungsverpflichtungen unterschrieben hatte – mit anderen Worten, nach seiner Einstellung –, hat er erfahren, dass er an der Roten Flut mitwirken sollte. Als ihm klar wurde, worum es dabei ging, war es zu spät, einen Rückzieher zu machen, ohne Verdacht zu erregen. Er war am Boden zerstört. Außerdem hatte er Angst davor, dass sein Name jeden Moment auf die Liste gesetzt werden könnte.«

»Also haben Sie ihn dazu überredet, als Maulwurf zu agieren, um das Programm von innen heraus auszuhöhlen?«

»Der Vorschlag kam von ihm selbst. Hätte man die Liste einigen handverlesenen Journalisten zugespielt, hätte dies einen Riesenskandal verursacht: Nicht nur dass Kanada seine eigenen Bürger ausspionierte, man hatte sogar einen Plan erarbeitet, der darauf abzielte, ihnen die Grundrechte zu entziehen und sie einzusperren. Die Regierung wäre zur Rechenschaft gezogen worden.«

»Mein Vater … Haben Sie ihn bezahlt?«

»Natürlich haben wir zusammen mit den Genossen vorgeschlagen, ihn finanziell zu entschädigen. Doch er hat abgelehnt. Verstehst du, Henri wollte sein Land nicht verraten. Doch er hatte große Angst davor, dass die Welt in den Faschismus zurückfallen könnte.«

Ein Vibrieren drang aus Komarovs Jacke, doch er ignorierte es. Victor, der alles andere als überzeugt war, fuhr fort.

»Wenn man ihn suspendiert hat, dann ja wohl deshalb, weil jemandem Zweifel gekommen sind.«

»Er war nicht der Einzige. Die Programmverantwortlichen kamen dahinter, dass jemand die Liste kopiert hatte, und suspendierten alle, die Zugang zu ihr gehabt hatten, bis Licht in die Sache gebracht war.«

»In dem Fall muss man sich fragen, warum mein Vater ihnen die Liste nicht übergeben hat. Er ging doch ein enormes Risiko ein, wenn er sie behielt.«

»Du musst dir über eins im Klaren sein, Victor. Henri steckte in der Zwickmühle: Entweder er verriet seinen Jugendfreund, einen Mann, der ihm voll und ganz vertraute, oder er verriet seine Ideale, wenn er weiter an dem Programm mitarbeitete.«

Victor umkrallte die Tischkante so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.

»Was ist mit meiner Mutter? Wusste sie Bescheid?«

»Nein. Jeanne hätte ihn dazu zu überreden versucht, auf dem rechten Weg des Kapitalismus zu bleiben. Und sie hätte nicht zugelassen, dass er ihren Freund verriet.«

Fassungslos musterte Victor von Neuem das Gesicht des Russen.

»Aber nichts von dem, was Sie mir da erzählen, erklärt die Verbrechen meines Vaters.«

Ein Piepen meldete den Eingang einer SMS. Komarov fasste an seine Jackentasche.

»Es ist komplizierter, als es vielleicht den Anschein hat. Und doch auch viel simpler.«

Der Mann hatte es geschafft, in Victor zwei Gefühle zu wecken, die sich zueinander verhielten wie Feuer und Wasser und die ihn verwirrten: Neugier und Zweifel.

»Fahren Sie fort. Und ich würde gern wissen, wer dieser Freund war, der ihn angeworben hat.«

Der Russe faltete die Hände und schien einen Entschluss zu fassen.

»Ich habe viel geredet, findest du nicht? Jetzt ist es an der Zeit, dass du mir ein paar Dinge sagst. Aber vorher muss ich auf die Toilette. Ein Grog am Morgen fordert seinen Tribut.«

»Sei auf der Hut …«

Das Echo von Teds Warnung schärfte wieder Victors Wachsamkeit, die im selben Maße erlahmt war, wie er sich von Komarovs Geschichte hatte fesseln lassen. Plötzlich bereute er, dass er keine Waffe mitgebracht hatte.

Der andere, der bereits stand, bemerkte seine Unbehagen und lächelte ihm beruhigend zu.

»Sei unbesorgt, ich werde alle deine Fragen beantworten, Towarischtsch.«

Der Russe ging zum Eingang und verschwand im Restaurant. Victor warf einen Blick in die Runde. Eine dumpfe Angst hatte ihn beschlichen, die sein Verstand nicht zu zügeln vermochte. Warum bildete sich in seiner Magengrube ein Knoten? Woher rührte das unbestimmte Gefühl, dass er die Situation falsch einschätzte? Unfähig, sitzen zu bleiben, stand er auf und ging ebenfalls nach drinnen.

In die Fluten der Dunkelheit

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