Читать книгу Die Vergütung von Betriebsräten - Martina Schlamp - Страница 51
c) Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers
ОглавлениеDie historische Auslegung zielt auf die Erforschung des Willens des Gesetzgebers, insbesondere seiner Absicht für die Einführung der gesetzlichen Regelung.241 Weil aber nicht eine rein subjektive Auslegung vorgenommen wird, muss zugleich der objektivierte Wille, d.h. wie das Gesetz zu den aktuellen Gegebenheiten in den Betrieben im Hinblick auf die gewandelten Verhältnisse der Betriebsratsarbeit steht, gesucht werden. Daher ist hier nicht nur die Entstehungsgeschichte der Regelung sowie die entsprechenden Gesetzesmaterialien, sondern auch das Gesetz selbst mit seinen Änderungen und Reformen in Zusammenhang mit den tatsächlichen Umständen und Entwicklungen in den Betrieben zu betrachten.242 Ziel ist es in diesem Fall, herauszufinden, wie der Gesetzgeber tatsächlich zu „professionellen“ bzw. „verberuflichten“ Betriebsräten und der Unentgeltlichkeit ihres Amtes steht.
Beschäftigt man sich zunächst mit dem historischen Willen des Gesetzgebers, ist auf die Zeit des Erlasses des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1972 zurückzublicken, auch wenn das Gesetz mehr eine konsequente Weiterentwicklung seines Vorgängers – dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 – als eine umfassende Neuregelung darstellte.243 Obwohl es dennoch ausdrücklich als neue Kodifikation und nicht nur eine bloße Änderung einzelner bestehender Vorschriften verstanden wurde,244 ist zudem das Gesetz von 1952 für die Betrachtung heranzuziehen, das als Grundlage für die Neufassung diente. Das Unentgeltlichkeitsprinzip war in beiden Fassungen beinahe wortgleich enthalten. Ausgangssituation für den Erlass der Regelung im Jahr 1952 bzw. auch der Fortführung im Jahr 1972 war jedoch eine grundlegend andere als sie sich heute in den Betrieben darstellt. Seinerzeit ist der Gesetzgeber von einem Betriebsrat ausgegangen, der die – im Vergleich zu heute noch deutlich geringeren – Rechte ehrenamtlich wahrnimmt. In der Zeit ab dem Jahr 1952 fanden in den Betrieben nur unregelmäßige, teils anonyme Wahlen statt. Es war damals eher zu befürchten, dass der Arbeitgeber die Bildung von Betriebsräten in seinem Unternehmen zu verhindern versucht, als den Amtsträgern ein zu hohes Entgelt zu gewähren. Auch für die Gewerkschaften waren die Betriebsräte mehr Gegner als Partner. Der Unentgeltlichkeitsgrundsatz sollte damals wie heute ohne Zweifel die Unabhängigkeit der Mandatsträger gewährleisten, er sollte dem Arbeitgeber aber auch nicht noch zusätzliche bzw. zu hohe (finanzielle) Belastungen aufbürden. Denn mit dem Gesetz im Jahr 1952 wurde erstmals nach dem Ersten Weltkrieg wieder eine bundeseinheitliche Mitbestimmung in Betrieben durch Betriebsräte festgeschrieben. Bei den Arbeitgebern ist das nicht von vornherein auf einheitliche Zustimmung gestoßen. Eine zusätzliche Vergütung für die Mandatsträger hätte vermutlich für noch mehr Ablehnung des ohnehin umstrittenen Gesetzes gesorgt. Darüber hinaus hatte man in dem Gesetz von 1952 eine dauerhafte Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, wie sie heute in den großen Betrieben üblich ist und weswegen häufig ein eigenes Entgelt für das Amt gefordert wird, nicht vorgesehen. Betriebsratstätigkeit wurde ausschließlich bei Erforderlichkeit wahrgenommen, das Arbeitsentgelt durfte bei Arbeitsversäumnis nicht gemindert werden. Mehr sah das damalige Gesetz nicht vor. Der Unentgeltlichkeitsgrundsatz besagte zu dieser Zeit lediglich, dass für die Zeit der (vorübergehenden) Freistellung uneingeschränkt allen Betriebsräten keinerlei Entgelt für das Amt gewährt werden durfte. Auch die damals in den Betrieben vorherrschenden Umstände haben nichts anderes verlangt. Mit Einführung der Neufassung des Gesetzes im Jahr 1972 hatten sich die Verhältnisse zwar bereits etwas geändert. Mit dem heutigen Verständnis des Betriebsrates als „Sozialpartner“ oder eines aktiven Mitgestalters im Sinne eines gemeinsamen Interessenmanagements war die damalige Situation aber nicht vergleichbar.
Betrachtet man allerdings die gesetzlichen Entwicklungen und Reformen insgesamt, lässt sich jedoch eine Tendenz des Gesetzgebers hin zu einer stetigen „Verberuflichung“ der Betriebsräte feststellen, zumindest verwehrt er sich einer solchen Entwicklung nicht. Das heutige Betriebsverfassungsgesetz steht – anders als es zunächst wegen des Ehrenamtsprinzips in § 37 Abs. 1 BetrVG vermuten lässt – professionellen Betriebsratskarrieren nicht entgegen. Vielmehr begünstigt das derzeit geltende System, dass in großen deutschen Betrieben teilweise Ausprägungen von „Berufsbetriebsräten“ bestehen.245 Das lässt sich auf verschiedenste Faktoren und Umstände zurückführen.
Zunächst brachte bereits die Novellierung im Jahr 1972 mit einer Verstärkung der Arbeitsgrundlagen mehr Kontinuität sowie Professionalisierung der Betriebsratsarbeit mit sich. Nicht nur die Erhöhung der Amtszeit von zwei auf drei Jahre, sondern vor allem auch die Einführung der ersten generellen verpflichtenden Freistellungen mit der Staffelung nach Unternehmensgröße in § 38 BetrVG waren der Beginn einer solchen Entwicklung. Mit der erstmaligen Einführung eines geschäftsführenden Betriebsausschusses sowie einzelner Fachausschüsse für die laufende Arbeit des Betriebsrates und der Unterstützung durch Sachverständige oder auch der Möglichkeit von Schulungen brachte das neue Gesetz außerdem eine neuartige professionelle Arbeitsstruktur für das Gremium mit sich. Mit späteren Veränderungen, wie die in § 38 BetrVG vorgesehenen dauerhaften Freistellungen in Betrieben ab 200 Arbeitnehmern oder auch der Erhöhung der regelmäßigen Amtszeit auf mittlerweile vier Jahre, wird eine Entwicklung hin zu einer Verberuflichung weiter gefördert. Das Betriebsverfassungsgesetz verbietet außerdem eine erneute Wahl von Betriebsräten nicht, sondern geht offensichtlich von einer unbegrenzten Möglichkeit der Wiederwahl aus.246 Zumindest hat es für den Fall mehrerer aufeinanderfolgender Amtszeiten eines Mandatsträgers in § 38 Abs. 4 S. 3 BetrVG den Zeitraum für das Nachholen einer wegen der Freistellung unterbliebenen beruflichen Entwicklung erhöht. Es kommt in der betrieblichen Praxis daher auch nicht selten vor, dass Mandatsträger aufgrund vielfacher Wiederwahl bereits Jahrzehnte im Amt sind, über viele Jahre voll freigestellt ausschließlich der Arbeit für den Betriebsrat nachgehen und ihr Amt quasi wie einen Hauptberuf professionell ausüben. Der Gesetzgeber steht solchen langen Betriebsratskarrieren offensichtlich nicht ablehnend gegenüber. Darüber hinaus hat die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001 erheblich zu dieser Einschätzung und Entwicklung beigetragen. Der Gesetzgeber hat bei dieser Reform als Reaktion auf die „erheblich angewachsene Arbeitsbelastung“ des Betriebsrates sowie „den Aufgabenzuwachs für Betriebsräte“247 noch mehr Anreize im Hinblick auf eine Professionalisierung des Amtes geschaffen.248 Wegen „Tiefgreifende[r] Veränderungen der Arbeits- und Wirtschaftswelt […]“ wollte der Gesetzgeber einige Neuregelungen einführen, um „eine moderne und flexible Betriebsverfassung zu schaffen, die in der Lage ist, die bestehende Wirklichkeit in den Unternehmen und Betrieben einzufangen“ und „Spielraum auch für die Zukunft zu geben“.249 Mit der Vergrößerung der Betriebsratsgremien, insbesondere den erweiterten Freistellungsmöglichkeiten von Betriebsratsmitgliedern nach § 38 Abs. 1 BetrVG,250 als auch mit den neuen Regelungen in § 37 Abs. 3 und Abs. 6 BetrVG betreffend den Ausgleich für Freizeitopfer, gleichermaßen bei Teilnahme an Schulungen, wollte der Gesetzgeber dem Rechnung tragen.
Interessant ist dabei, dass er in seinem Gesetzesentwurf – und das bereits im Jahr 2001 – scheinbar nicht nur zugesteht, dass sich die Unternehmensstrukturen grundlegend verändert und sich neue Produktions- sowie Arbeitsmethoden entwickelt haben, die eine Anpassung der entsprechenden Vorschriften für moderne Betriebsratsarbeit notwendig machten.251 Der Gesetzgeber erkennt ebenso ausdrücklich an, dass sich „die Anforderungen an die Betriebsräte grundlegend geändert“ haben.252 Die Arbeit ist nach Ansicht des Gesetzgebers „vielfältiger und umfassender“, nicht zuletzt wegen neu hinzugekommener Themenbereiche geworden, die Betriebsräte erarbeiten im Gegensatz zu früher vermehrt eigene Alternativen und Vorschläge zur Lösung konkreter Probleme und das anhand „Moderne[r] Arbeitsmethoden des Managements“.253 Auch von einer rückläufigen Entwicklung der Betriebsräte ist in dem Entwurf die Rede, die der Gesetzgeber unter anderem auf die veränderten Strukturen zurückführt und der er auch mit der neuen Möglichkeit der Teilfreistellung nach § 38 Abs. 1 S. 3 und 4 BetrVG entgegenwirken wollte, indem er den Anreiz für die Übernahme des Betriebsratsamtes vergrößerte.254 Darüber hinaus sollten die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in bestimmten Bereichen gestärkt werden, was unter anderem durch die Übertragung zusätzlicher Aufgaben auf den Betriebsrat, beispielsweise mit §§ 80 Nr. 7, 89, 92a BetrVG umgesetzt wurde. Diese Beispiele zeigen, dass der Gesetzgeber wegen der komplexer gewordenen Aufgaben des Betriebsrates und der gesteigerten Anforderungen ein Regelungsbedürfnis gesehen und anerkannt hat.255 Die außerdem mit der Reform teilweise ausgebauten, komplexen und hierarchischen Betriebsratsstrukturen, mit der Möglichkeit von Ausschussarbeit, und vor allem auch durch die Bildung unterschiedlicher Betriebsräte auf verschiedenen Ebenen, wie Gesamt-, Konzern- oder Europäischer Betriebsrat, treiben eine Professionalisierung der Betriebsratsarbeit ebenso weiter voran als ihr entgegenzuwirken.256
Im Ergebnis hat der Gesetzgeber schon sehr früh eine Tendenz zu einer „Verberuflichung“ von Betriebsräten gezeigt. Er scheint damit die Absicht zu haben, professionelle Betriebsräte zu ermöglichen, zumindest steht er diesen nicht entgegen oder versucht sie zu verhindern. Gleichzeitig will er aber nach wie vor an dem Ehrenamts- und Unentgeltlichkeitsprinzip festhalten, das mit der Reform keine Anpassung erfahren hat. Die Vorschriften verhalten sich daher ambivalent.257 Es ist nicht konsequent, das Gesetz wegen der – eindeutig auch von dem Gesetzgeber anerkannten – Entwicklung der Betriebsratsarbeit und den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen nur im Hinblick auf Freistellungen und Aufgabenbereich anzupassen und damit für eine Professionalisierung der Betriebsräte zu öffnen, die Rechtsstellung und insbesondere die Vergütung der Mandatsträger aber außer Acht zu lassen. Hier ergibt sich ein Wertungswiderspruch.
In der Gesetzesbegründung zu dem Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1972 hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich dafür ausgesprochen, nicht nur „den gewandelten Verhältnissen durch moderne Regelungen Rechnung zu tragen“, sondern darüber hinaus „das Gesetz auch künftigen Entwicklungen offen zu halten“.258 Auch mit der Reform im Jahr 2001 wollte er mit den Änderungen ebenso einen Spielraum für künftige Entwicklungen ermöglichen.259 Diese Aussagen zeigen, dass sein objektivierter Wille auch auf entsprechende Anpassungen in der Zukunft zielt, die sich ebenfalls auf die Vergütung erstrecken könnten oder zwangsläufig mit weiterer Professionalisierung der Betriebsräte auch irgendwann müssten. Dagegen spricht allerdings, dass er bei der Reform der Vorschriften im Jahr 2001 den Unentgeltlichkeitsgrundsatz in § 37 Abs. 1 BetrVG durchaus hätte anpassen können, anscheinend aber bewusst darauf verzichtet hat. Obwohl wegen der Ambivalenz der Vorschriften hier ein eindeutiger gesetzgeberischer Wille mehr in Richtung einer Professionalisierung und damit in Konsequenz auch einer entsprechend angemessenen Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder anzunehmen wäre, lässt sich dieses Ergebnis aber dennoch nicht eindeutig und zweifelsfrei – vor allem nicht hinsichtlich der Vergütung – feststellen. Schließlich könnte sich der Gesetzgeber auch bewusst über eine Berücksichtigung dieser neuen Entwicklungen, jedenfalls im Hinblick auf die Entgeltbemessung der Mandatsträger, hinweggesetzt haben.
Wegen weiterhin mehrerer unterschiedlicher Deutungsmöglichkeiten sowie der hier gebotenen Zurückhaltung aufgrund der grundlegenden Bedeutung der Vorschrift, führt daher auch die Auslegung nach dem gesetzgeberischen Willen noch zu keinem eindeutigen Ergebnis.