Читать книгу AKTE EUROPA - Matthias von Hellfeld - Страница 15
Otto I.
ОглавлениеAls Heinrich I. stirbt, folgt ihm 936 sein Sohn Otto I., den er schon vorher zum Mitregenten erhoben hatte. Otto I. wird ohne großen Widerspruch der Stammesherzöge gewählt. Der neue König überragt seine Mitmenschen um Haupteslänge, ein gesunder Menschenverstand und vor allem seine praktische Schläue sind überliefert. Von Anfang an steht er aber vor nicht unerheblichen innenpolitischen Schwierigkeiten, die ihm die liebe Verwandtschaft beschert. Denn frisch gekürt besteht er auf der Unterwerfung der Herzöge unter seine Königsmacht. Die aber denken gar nicht daran, sich diesem Ansinnen zu beugen, denn in ihren Augen ist die Bindung an den König ein Treueverhältnis, das immer dann aufgekündigt werden kann, wenn eine der beteiligten Seiten diese Treue missbraucht. Daraus ergeben sich in der Folgezeit immer wieder Missverständnisse, die Otto I. ohne Umschweife mit militärischen Mitteln ausräumt: An der Spitze eines starken Heeres erzwingt er vom dänischen König und von den Slawenstämmen zwischen Elbe und Oder die Anerkennung seiner Oberhoheit. Diese Anerkennung lässt er sich noch dadurch versüßen, dass die Unterworfenen zukünftig nicht unerhebliche Tribute an ihn zu zahlen haben.
Seine Brüder, Thankmar und Heinrich, erheben sich gegen ihn und werden ebenso unterworfen wie die Herzöge Giselher von Lothringen und Eberhard von Franken und später auch Rudolf von Schwaben. Die übrigen Herzöge verstehen das als Kampfansage und planen ein Mordkomplott gegen den König. Pfingsten 941 soll er aus dem Leben befördert werden. Doch der Plan fliegt auf und der Anschlag wird verhindert. Den Streit um die Macht im Lande kann Otto I. allerdings nicht aus der Welt schaffen. Der Konflikt zwischen der Zentralmacht und den partikularen Fürsten wird ihn ebenso beschäftigen wie fast alle seine Nachfolger. Während westlich des Rheins die Macht der Fürsten gebrochen und damit alsbald der Weg frei sein wird für eine „vornationale“ Staatlichkeit, steht im Osten des alten Karlsreiches die „deutsche Einheit“ oder die Einheit deutscher Stämme und Länder auf dem Spiel. Würde sich die Macht der Herzöge gegen die des Königs durchsetzen, könnte der östliche Teil des alten fränkischen Großreichs in viele kleine, kaum überlebensfähige Territorien auseinander brechen.
Aufgrund der Erfahrungen mit seiner aufmüpfigen Familie zieht Otto I. die Mitglieder des hohen Klerus auch für weltliche Aufgaben heran, indem er ihnen bedeutende Staatsämter überträgt und seine Macht auf ihre Loyalität aufbaut. Meist stammen die Kirchenmänner aus wichtigen Familien, sind gut ausgebildet und können deshalb Verwaltungsaufgaben besser erledigen als die Kriegsherren des hohen Adels. Otto I. gewährt den Kirchen Königsschutz und Immunität und nimmt sie als „Reichskirchen“ in den Schoß der weltlichen Macht. Da geistliche Würdenträger - normalerweise - nicht heiraten dürfen, fällt das Amt nach ihrem Tod an den König zurück und der kann es immer wieder an vertrauenswürdige Männer weitergeben. Diese Verfahrensweise greift aber in die Vollmacht des obersten aller Christen ein, denn eigentlich kann nur der Papst Bischöfe oder Äbte in ein Amt einsetzen. Bei Otto I. ist das kein Problem, da er ein ausgezeichnetes Verhältnis zum Primas der christlich-römischen Kirche hat. Später entzündet sich über dieses Recht der „Investitur“ eine heftige Auseinandersetzung – der „Investiturstreit“. Zunächst aber hilft dieses „Reichskirchensystem“ das Reich zu stabilisieren.
Stabilisierend wirkt auch das Grenzsicherungssystem der so genannten „Marken“. Vor allem im Süden des Reiches ist die „Ostmark“ als Abwehr-Bollwerk gegen die Ungarn von großer Bedeutung. 996 wird sie „Ostarrichi“ genannt werden und sich entlang der Donau immer weiter nach Süden verschieben. Aus dieser Mark entstehen bald Österreich, Steiermark und Krain. Rund 1000 Jahre später wird Adolf Hitler beim so genannten „Anschluss Österreichs“ am 14. März 1938 verkünden, „die Ostmark heim ins Reich“ geholt zu haben. Dabei wird er sich auf die politischen Verhältnisse des Mittelalters der Jahrtausendwende beziehen, als die Bewohner „Ostarrichis“ zweifellos Mitglieder des ottonischen Reiches waren. Ein makabres Beispiel wie Geschichte willfährigen Interpretationen anheim fallen kann.
Ottos I. Regentschaft ist von unzähligen Schlachten gekennzeichnet, die er mit großem Kampfesmut und einigem Geschick für sich entscheiden kann. Das ist für den Bestand des Reiches auch von überragender Bedeutung, denn mittlerweile sind die brandschatzenden ungarischen Truppen zu einer echten Plage geworden. Kein Dorf, kein Hof und kein Kloster ist mehr sicher vor den im wahren Sinne des Wortes „über Leichen gehenden“ Plünderern. Die Gefahr für Land und Leute durch die marodierenden Banden hat inzwischen Ausmaße angenommen, die den König zum Handeln veranlassen, will er nicht innere Unruhen und Aufstände riskieren. Also zieht Otto der Große, wie er schon zu Lebzeiten genannt wird, in die Schlacht und schlägt die Hunnen 955 auf dem Lechfeld in der Nähe von Augsburg vernichtend. Bei dieser legendären Schlacht, nach der die Ungarn endgültig aus dem ostfränkischen Reich vertrieben sein werden, führt Otto I. ein Heer an, dessen Soldaten aus fünf Herzogtümern stammen. Er ist zwar der König des gesamten ostfränkischen Reichs, er befehligt aber nur „seine“ sächsischen Ritter. Die anderen kommen aus Thüringen, Böhmen, Franken oder Schwaben – und als Angehörige dieser Stämme fühlen sie sich auch!