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Theorien Liebe und Dogma: Deutsches Design
ОглавлениеManch einen Mythos betrachtet man besser von außen, zum Beispiel den Aufstieg und Fall des deutschen Designs. Aber gibt es denn wirklich ein „Deutsches Design“? Oder ist dies nicht lediglich eine Projektion der idealistisch veranlagten Wunschvorstellung, man könne Perfektion, egal zu welchem Preis, erreichen und auch auf Ewigkeit beibehalten? Es war 1946 und es gab noch keine D-Mark, als der wiedergeborene Käfer in industrialisierter Form endlich laufen konnte. Ein deutsches Erzeugnis, aber gewiss kein deutsches Design. Idee und Realisation waren austroungarisch, wie auch Ferdinand Porsche, Erwin Komenda, Béla Barényi und Paul Jaray, jene Konstrukteure, Entwerfer, Ingenieure und Aerodynamiker, denen die gesamte deutsche Automobilindustrie so viel zu verdanken hat. Schön war er nicht, der Käfer, also wurde er von seinen Vätern geschmückt: mit einem zwischen Wiener Sezession und Jugendstil verorteten Blechrelief. Ansonsten war er archaisch, fortschrittlich und schonungslos selbsterklärend zugleich in den 30er Jahren gestaltet worden. Porsche und Nordhoff waren sich von Anfang an darüber im klaren, dass der Käfer nicht perfekt war. Er war aber perfektionierbar und so wurde er ein Vierteljahrhundert lang, Jahr für Jahr, perfektioniert, bis man nicht mehr weiter gehen konnte. Nicht formal, sondern prozessual, ist der Käfer deshalb ein Paradebeispiel für das Dogma des deutschen Designs: fester Glaube, stete Weiterentwicklung. Eine formale Übersetzung dieses Dogmas fand erst Mitte der 50er Jahre in Ulm statt. Die dort 1953 gegründete und bis 1968 geführte Hochschule für Gestaltung, von vielen als eine Art Post-Bauhaus gesehen, formulierte strenge Regeln für eine Design-Disziplin, die alle Gestaltungsbereiche umfasste: Produkt, Visuelle Kommunikation, Bauen, Information und Film. Die HfG pflegte den Kontakt zur Industrie und prägte deren Entwicklung maßgeblich, zumindest bis in die 90er Jahre. Das Corporate Design der Lufthansa und das Phänomen Braun sind eine Ulmer Konsequenz, erst mit Braun wird deutsches Design sichtbar. Die Ulmer Prinzipien wurden bei Braun nahezu diktatorisch umgesetzt. So entstanden Urtypen wie die Küchenmaschine KM3 (1953), die legendäre Soundanlage SK4 (1957), der Rasierapparat Sixtant SM 31 (1962) und der Weltempfänger T1000 (1964). Kompromisslose Ästhetik, höchste Qualität, kühle Perfektion: Dogmatisch weiterentwickelt und stets vom Publikum gewürdigt, blieben diese Produkte jahrzehntelang in Produktion. Hinter ihnen kein Akt der Freude, sondern vielmehr Verzicht. Nicht der Künstler war am Werk, sondern der Wissenschaftler, selbstherrlich und gnadenlos wie Gott. Jener Gott, der stets im deutschen Detail steckte – ob Griff, Schalter, Scheinwerfer oder Kopfstütze, ob bei Braun, Siemens oder Mercedes-Benz. Warum das Ende des Dogmas unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung kam, ist eine jener Fragen, die nur mit historischem Abstand betrachtet werden können. Das Dogma hatte womöglich den Deutschen geholfen, in den schweren Nachkriegsjahren wieder an sich selbst und an eine nunmehr geteilte Nation zu glauben. In den 90ern hingegen war feiern angesagt – und zwar global. Die Italiener wurden – zumindest als Designer – schnell zum Vorbild gemacht. Frei, kreativ, ironisch, originell, bunt, herzlich: Eigenschaften, die zu einem Land von Wüstlingen, aber nicht zum dogmatischen Deutschland passten. Dies hatte dramatische Konsequenzen: 1994 wird der Käfer nachgemacht, Hommage und Verfälschung zugleich. 1995 überrascht die neue E-Klasse mit komischen runden Scheinwerfern und gefälligen Kurven. Der Rest ist leider Geschichte. 1995 verabschiedet sich auch der Ulmer Dieter Rams als Designchef von Braun. Seitdem ist es mir schwer gefallen, einen neuen Rasierapparat zu kaufen. Ich, der ich in blinder Treue – und zugegebenermaßen völlig unnötig – erst einen Micron 2000 und dann jede seiner Weiterentwicklungen erworben habe. Resigniert, die Augen halb geschlossen, habe ich zuletzt nur wegen meiner emotional-dekadenten Bindung zum Namen Braun gekauft – einer Marke, die es nicht mehr gibt. Gerade versuche ich, auf die alberne Tastatur eines Siemens C45 zu tippen und frage mich, wie es dazu kommen kann, dass das Designbüro eines anständigen deutschen Konzerns jegliches Verständnis für Ergonomie verliert. Der Ärger könnte sich bald von selbst lösen: Das vorgestern erworbene Gerät leidet unter elektronischen Krankheiten. Ein statistischer Zufall, der nachdenklich macht. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie ich mich über meinen Schulfreund Luca lustig machte. Bedrohlich hing bei ihm zu Hause ein schwarzes Siemens-Telefon an der Wand, wo wir schon kabellos bunte Designplastik hatten. Seit 1951 hängt das schwarze Siemens Telefon schon und funktioniert heute noch einwandfrei. Manche fänden es sogar wieder „cool“. Sicherlich auch jener deutsche Kritiker, der öffentlich beklagte, dass die sehr beliebten Rechner „Designed by Apple in California“ im Konzept nichts anderes seien als eine Nachahmung von älteren Braun-Geräten. Dagegen ist nichts zu sagen, lediglich folgendes festzustellen: Die Welt braucht noch – ja sie sehnt sich – nach Deutschem Design. Und ich mit ihr.
06. Mai, 2004