Читать книгу Bundesberggesetz - Reinhart Piens - Страница 155
IV.Die Vorschrift des § 48 Absatz 1 Satz 2
Оглавление12Die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 wird allgemein als „Rohstoffsicherungsklausel“ bezeichnet. Vom Wortlaut her gilt sie für die „Anwendung“, d. h. die Subsumtion der Rechtsvorschriften i. S. von § 48 Abs. 1 Satz 1, die bergbauliche Tätigkeiten verbieten oder beschränken. Über den Wortlaut hinaus wurde die Frage diskutiert, ob § 48 Abs. 1 Satz 2 lediglich bei der Gesetzesanwendung oder auch beim Erlass von Rechtsvorschriften nutzbar gemacht werden kann (H. Schulte, ZfB 1987, 178, 193; Boldt/Weller (2016), § 48 Rn 26; Hoppe, DVBl 1987, 757, 761 f.). Für Letzteres könnte sprechen, insb bei Verordnungen das Interesse an der Rohstoffsicherung schon bei deren Erlass möglichst frühzeitig zu prüfen und festzuschreiben. Indes belegt außer dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 Satz 2 auch der systematische Zusammenhang, dass die Bestimmung nicht für den Erlass von Rechtsvorschriften anzuwenden ist (BVerwG, NVwZ-RR, 1996, 140 =, ZfB 1995, 277 = NUR 1996, 86; OVG NRW, ZUR 2017, 42, 49; OVG NRW, ZfB 1995, 304 = NWVBl 1996, 19; OVG Bautzen, NuR 1999, 344, 346; OVG Brandenburg, LKV 2000, 500; Rausch, Umwelt- und Planungsrecht beim Bergbau, S. 196; Knöchel, FS Kühne, S. 603; Kühne, DVBl 1987, 1259; 1262 ff.). Denn in Satz 1 und Satz 2 des § 48 wird vorausgesetzt, dass „Vorschriften“ bereits bestehen, d. h. erlassen sind.
13Im Ergebnis bedeutet das jedoch nicht, dass bei der Aufstellung von Bebauungsplänen oder Schutzgebietsverordnungen die bergbaulichen Belange nicht zu berücksichtigen sind. Bei Bebauungsplänen ist § 1 Abs. 6 Nr. 8 BauGB zu beachten, bei Verordnungen ergibt sich durch den grundgesetzlichen Eigentumsschutz der Bergbauberechtsame und das hohe, in §§ 1 Nr. 1, 48 Abs. 1 Satz 2, 79 Abs. 1 ausgedrückte öffentliche Interesse an einer sicheren Rohstoffversorgung ein abwägungserheblicher Belang von bedeutendem Gewicht. S. hierzu auch Anh. § 56 Rn 355 ff.; auch Kolonko, ZUR 1995, 127: Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; Kühne, DVBl 1987, 1262. Da die Prüfung, ob im Einzelfall ein Bergbauvorhaben gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 zugelassen werden kann, dem behördlichen Vollzug überlassen ist, muss für die Verordnung notwendigerweise vorausgesetzt werden, dass sie eine Prüfung durch die anwendende Behörde überhaupt ermöglicht und nicht ein absolutes Verbot aufstellt (Bbg VerfG, LKV 1998, 395, 398 = DVBl 1999, 34).
14Vielfach diskutiert ist auch die Bedeutung der Rohstoffsicherungsklausel. Im Schrifttum wurde teilweise zunächst die Auffassung vertreten, § 48 Abs. 1 Satz 2 sei als weitreichende generelle Vorrangklausel zugunsten der Rohstoffgewinnung zu verstehen (Hoppe, DVBl 1987, 757; Peters, DVBl 1988, 228). Damit wären die Interessen des Bergbaus bei Abwägung öffentlicher Interessen immer unüberwindbar. Diese Ansicht hat sich nicht durchgesetzt. Stattdessen finden sich Formulierungen wie: Die Abwägung der Interessen sei „mit Priorität“ für den Bergbau durchzuführen (Boldt/Weller, § 48 Rn 4); dem Interesse an der Gewinnung sei „jedenfalls grundsätzlich der Vorrang“ einzuräumen (BVerwGE 81, 329, 339; OVG Koblenz, ZfB 2007, 283, 290); „dass im Zweifel die bergbaulichen Interessen den Vorrang haben“ (Knöchel, FS Kühne, S. 603); den Belangen des Bergbaus „ein starkes Gewicht“ zukommt (VGH Mannheim, NUR 1989, 134), „schafft einen relativen Vorrang“ des Bergbaus (Rausch, a. a. O. S. 202), „positives Optimierungsgebot mit Priorität für den Bergbau“ (Wilde, DVBl 1998, 1326), „verleiht dem Bergbau ein bestimmtes Gewicht, jedoch keinen absoluten Vorrang“ (VG Greifswald, ZfB 2007, 301). Bei der Abwägung der Belange dürfte sich ein Bergbauvorhaben, das unter ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll und unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten vertretbar erscheint, im konkreten Einzelfall durchsetzen (Frenz, UPR 2017, 174, 176). Vor allem liegt ein Abbau in Deutschland nahe, wenn der Rohstoff hierzulande gebraucht wird und in hohem Maße die Umweltstandards erfüllt werden, jedenfalls im Vergleich zu anderen Exportländern für diesen Rohstoff (Frenz, a. a. O.).
15Zusammenfassend folgt aus der Rohstoffsicherungsklausel, dass dem Abbauvorhaben der Vorrang einzuräumen ist, wenn nicht die anderen öffentlichen Belange und Schutzinteressen mind. ebenso gewichtig sind wie das – gesetzlich besonders herausgehobene – Interesse der Allgemeinheit an der Rohstoffsicherung (BVerwGE 74, 315, 318 f.; OVG Koblenz, ZfB 2006, 170; VG Greifswald, ZfB 2007, 298). Die Belange der Rohstoffsicherung sind somit im Rahmen der Abwägung mit anderen öffentlichen Belangen angemessen zu berücksichtigen (OVG Greifswald, ZfB 2000, 32, 37 f.). Die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 wirkt demnach auch im Rahmen der Abwägung überwiegender öffentlicher Interessen i. S. von § 48 Abs. 2 Satz 1. Zur Rohstoffsicherungsklausel im Rahmen von § 11: S. § 11 Rn 21.
16Inhaltlich steht die Rohstoffsicherungsklausel im Kontext mit dem Gemeinwohlbelang einer gesicherten Rohstoffversorgung in Deutschland. In einer Industriegesellschaft ist die Sicherung der Rohstoffversorgung und das Interesse an einer gesicherten Stromversorgung – mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts – so allgemein wie das Interesse am täglichen Brot (BVerfGE 91, 186, 206 = NJW 1995, 381). Die Gewährleistung der Energie- und Rohstoffversorgung – auch und gerade durch die Nutzung heimischer Rohstoffe – stellt ein Gemeinschaftsinteresse höchsten Rangs dar (BVerfGE 134, 242 = ZfB 2014, 49 = DVBl 2014, 175 = NVwZ 2014, 211, 218 Rn 202, 228 Rn 287 ff.; BVerfGE 66, 248, 258 = NJW 1984, 1872; BVerfGE 30, 292, 323 f. = NJW 1971, 1255), ein von der jeweiligen Politik des Gemeinschaftswesens unabhängiges, absolutes Gemeinschaftsgut (VG Weimar, ZfB 1995, 236). Die Sicherstellung der Energieversorgung ist eine öffentliche Aufgabe von größter Bedeutung, weil die Energieversorgung als Bestandteil der Daseinsvorsorge eine Leistung ist, derer der Einzelne zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf (BVerwGE 117, 138, 140; OVG Berlin-Brandenburg, ZfB 2007, 259; OVG Brandenburg, ZfB 2000, 297, 305 f.; OVG NRW, ZfB 2008, 101, 110). Erforderlich ist die Energieversorgung, wenn es „vernünftigerweise geboten ist“, den anstehenden Bodenschatz in dem vom Betriebsplan erfassten Bereich zur Sicherung der Rohstoff- bzw. Energieversorgung abzubauen (OVG NRW, a. a. O.). (Speziell zum Steinkohlenbergbau: BVerfGE 91, 186, 206 = NJW 1995, 381; OVG NRW ZfB 2008, 110; OVG Saarland, ZfB 2006, 287, 301. Speziell zum Braunkohlenbergbau: BVerfGE 134, 242 a. a. O. (Garzweiler II); VerfGH NRW, NWVBl 1997, 333 ff. = NVwZ-RR 1998, 473 = ZfB 1997, 300; Sächs. VerfGH, LKV 2000, 491; LKV 2006, 170; Heuersdorf; VerfG Brandenburg, LVerfGE 8, 97 ff. = LKV 1998, 395; OVG Brandenburg, ZfB 2000, 297, 306 = LKV 2001, 174), auch VG Cottbus, Urt. v. 20.6.2017 – Az. 3 L 255/17, Rz. 32 ff., 38 „von einer gesicherten Rohstoffversorgung in einer Industriegesellschaft in hohem Maße die Funktionsfähigkeit und Stabilität der Volkswirtschaft und damit die Existenzgrundlage aller abhängt.“
17Diese Gewichtung behält auch im Zeichen der Liberalisierung der Strommärkte ihre grundsätzliche Bedeutung (OVG Brandenburg, ZfB 2000, 297, 308 = LKV 2001, 174; ZfB 2007, 259, 270; VerfGH Sachsen, ZfB 2006, 139, 143 f.; ZfB 2000, 267, 291; OVG NRW, ZfB 2008, 114), denn es verbleibt das Bedürfnis nach einer Energiesicherung gerade auch durch heimische Rohstoffe. Die besondere Bedeutung der Energieversorgung durch heimische fossile Energieträger wird auch nicht dadurch reduziert, dass im Hinblick auf den Klimaschutz Verbesserungen der Energieeffizienz, Energiesparprogramme und verstärkter Einsatz der erneuerbaren Energien gefordert sind (OVG NRW, a. a. O.). Ebenso kann dem Gewicht der heimischen Energieversorgung nicht entgegengehalten werden, Braunkohle habe einen geringen energetischen Wirkungsgrad für die Verstromung (OVG Brandenburg, ZfB 2000, 309), die Förderung und Energienutzung der Steinkohle werde staatlich subventioniert und insofern bestehe kein öffentliches Interesse an ihrer Gewinnung (OVG NRW, DVBl 1989, 1013 = ZfB 1990, 33; ZfB 2003, 275, 280; ZfB 2005, 166; OVG Saarland, ZfB 1994, 22; ZfB 1994, 217; ZfB 1996, 226) oder die aktuelle politische Situation und der Weltmarkt erfordere keine Sicherung heimischer Energie (OVG Saarland, ZfB 2006, 287, 301).
18Für die Prüfung des öffentlichen Interesses an einer sicheren heimischen Rohstoffversorgung kommt es nicht darauf an, ob der Rohstoff ausgerechnet unterhalb oder im Bereich eines von den Gewinnungsmaßnahmen betroffenen Grundstücks benötigt wird (OVG NRW, ZfB 2008, 135). Ebenso nicht, ob angesichts Überkapazität eines Bergwerks oder Kraftwerks dieser Betrieb ohne Versorgungsengpässe stillgelegt werden könnte. Die Sicherung der Energieversorgung ist nicht vom einzelnen Betrieb abhängig, sondern durch langfristig geordneten und planmäßigen Lagerstättenabbau (OVG Brandenburg, ZfB 2000, 309; ZfB 2007, 270) zu gewährleisten. Die Unverzichtbarkeit gerade dieses Tagebaus für die Energieversorgung wird nicht verlangt (BVerfG, NVwZ 2014,211, 229 Rn 300 – Garzweiler II). Es reicht aus, wenn er einen substanziellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels der sicheren Stromenergieerzeugung zu leisten in der Lage ist. Zum Allgemeinwohlinteresse an der Versorgung des Marktes mit Torf: VG Schwerin ZfB 2007, 51, 56. Es reicht aus, dass ein Markt für Torf besteht. Es muss nicht die Abbaumöglichkeit als einzige und letzte in der Lage sein, die Versorgung des Markts mit Torf zu decken.
19§ 48 Abs. 1 Satz 2 ist nach herkömmlicher Meinung auch anwendbar auf die Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen, die nicht die Energieversorgung, sondern die Gewinnung nichtenergetischer Rohstoffe (z. B. Lithium i. S. von § 3 Abs. 3 – seltene Erden, Quarzsand, Quarzkies) bezwecken (OVG Bautzen, ZfB 2019, 146, 156; schon Urt. v. 24.9.1998 – 1 S 369, 96 und Sächs.VBl 2011, 233 = ZfB 2011, 243; Boldt/Weller (2016), § 48 Rn 25). Dies wird aus dem Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck abgeleitet (a. A. OVG NRW, ZfB 1996, 19 = NWVBl 1996, 21 und Vorauflage, § 48 Rn 19). Ebenso besteht kein Vorrang bergbaulicher Belange aus § 48 Abs. 1 Satz 2 gegenüber den Erfordernissen der Raumordnung und Regionalplanung (Erbguth, VerwArch. 1996, 259, 275; VGH Mannheim, ZfB 1989, 57, 75; VG Greifswald, ZfB 2007, 297) und kann § 48 Abs. 1 Satz 2 im Rahmen eines Abschlussbetriebsplans keine Rolle mehr spielen (OVG Koblenz, ZfB 2008, 154). § 48 Abs. 1 Satz 2 begründet kein grundsätzliches Verbot, in einer Landschaftsschutz-VO den Abbau vorhandener Bodenschätze auszuschließen (BVerwG, ZfB 1995, 270). Jedoch muss eine Ausnahme- und Befreiungsregelung vorgesehen werden. Ein genereller Vorrang der Rohstoffgewinnung ist auch deshalb nicht berechtigt, weil auch Natur- und Landschaftsschutz standortgebunden sind (OVG Bautzen, NUR 1999, 344). Durch die Pflicht, für Sümpfungswasser Wasserentnahmeentgelt zu zahlen, wird die Rohstoffsicherungsklausel nicht betroffen. Die Gewinnung von Bodenschätzen auf den Abbaugrundstücken wird hierdurch nicht beschränkt (OVG NRW, ZUR 2017, 42, 49).