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Am selben Tage, da das Unglück mit der Teekanne geschah, fast genau zur selben Stunde, trug sich in einem weit entfernten Teil der Welt eine Seeschlacht zu, welche als die Schlacht von Les Saintes in die Geschichte einging. Admiral Sir Rodney schlug mit seiner Flotte die Franzosen unter Admiral de Grasse in eine schmähliche Flucht. Eines der siegreichen Schiffe war die «Thrush», auf der Lieutenant Steele, als er in der Hitze des Gefechts eilig vom Ober- ins Zwischendeck klettern wollte, die Treppe hinabstürzte und sich ein Bein brach. Der gesplitterte Knochen bohrte sich durch die Haut, sodass der Marinechirurg beim ersten Ansehen der Verletzung beschloss, eine Amputation vorzunehmen.

Nur seiner außergewöhnlich stabilen Konstitution verdankte es der Lieutenant, dass er die Operation überlebte. Danach verbrachte er einige Wochen hoch fiebernd auf St. Lucia, und seine Kameraden schlossen Wetten ab, wie viele Tage er noch zu leben habe. Nur der Buchmacher profitierte davon, denn schon im Oktober desselben Jahres – der Unfall war im April geschehen – kehrte Lieutenant Thomas Steele, abgemagert zwar und noch geschwächt, zu einem wohlverdienten, langen Genesungsurlaub heim.

Er hatte sich darauf gefreut, einige Zeit mit seiner Frau zu verbringen. Doch fand er sie blass, trübsinnig und appetitlos vor, invalider fast als er selbst. Sein Arzt hatte ihm geraten, für die Dauer einiger Monate Ruhe, gute Luft und Erholung auf dem Lande zu suchen, und es schien ihm nun, auch seine Frau könne dies wieder zu Kräften bringen. Er zögerte nicht lange und entschloss sich, samt seiner Familie den Winter auf den Gütern seines älteren Bruders zu verbringen, den er seit so vielen Jahren nicht gesehen hatte. Eilig verfasste er einen Brief, worin er Mr. Lawrence Steele von seinem Unfall und seiner in Bälde bevorstehenden Ankunft unterrichtete.

Schon im Aufbruch begriffen, erhielt er ein Schreiben, worin der Bruder seine Besorgnis über die Verletzung des Lieutenants zum Ausdruck brachte sowie seine Freude, ihn nun für länger in der Heimat zu wissen. Zugleich aber bedauere er außerordentlich, dass im Herrenhaus, welches wegen laufender Umbauarbeiten derzeit nur zum Teil bewohnbar, alle zur Verfügung stehenden Zimmer durch im September angereiste Jagdgäste belegt seien. Übrigens glaube er nicht, dass eine so enge, laute und fröhliche Umgebung wie Wistlinghurst einem Invaliden überhaupt zuträglich sei. Die gesuchte Ruhe jedenfalls werde der Lieutenant hier nicht finden, selbst wenn man so unhöflich sein wolle, in grober Verletzung von Anstand und Gastfreundschaft einige jener Gäste zum Aufbruch zu drängen, welche man zuvor, von dem Unglück des Bruders noch nicht wissend, selbst eingeladen hatte.

Durch die Umstände solcherart gehindert, Thomas zu empfangen, wolle Mr. Lawrence Steele gleichwohl alles dafür tun, ihm den notwendigen und hoffentlich heilsamen Luftwechsel auf andere Weise zu verschaffen. Er schlug vor, Thomas möge sich die gefährlichen Strapazen einer langen, herbstlichen Reise in Sturm und Regen ersparen und sich in einem hübschen Dorfe oder Städtchen nicht allzu weit von Plymouth eine passende Unterkunft suchen. Er, Lawrence Steele, wolle dann gerne die Kosten dafür tragen, soweit sie sich im Rahmen seiner bescheidenen Mittel bewegten.

So ergab es sich, dass die Familie Steele in dem kleinen, beschaulichen Ort Moreleigh, etwa fünfundzwanzig Meilen westlich von Plymouth, ein auf bäuerliche Weise gebautes Cottage bezog, welches während der Abwesenheit seines Besitzers, eines Marineangehörigen, auf ein halbes Jahr zur Miete ausgeschrieben war.

Mrs. Steele war über diesen Wechsel, anders, als man meinen könnte, ziemlich betrübt. Zum einen befand sie sich seit langem in einer Stimmung, welche sie in allem, was ihr widerfuhr, Grund zu Betrübnis suchen und finden ließ, und diese Neigung war, seit sie von der Verletzung ihres Mannes wusste, eher stärker denn schwächer geworden. Zum anderen fiel ihr nun auf, dass sie einen Grund besaß, in Plymouth bleiben zu wollen. Im letzten Jahr war nämlich ihr Bruder ganz in die Nähe gezogen. Er war einige Jahre lang in Oxford ausgebildet worden, was ihren Vater, den armen Reverend Pratt, viel Nerven und beinahe sein letztes Hemd gekostet hatte (so pflegte er zu sagen, auch wenn es wirklich nicht so schien, als habe die Zahl seiner Hemden merklich abgenommen). Nach seinem glücklich erlangten Abschluss hatte der junge Mr. Pratt in Eton als Lehrperson Erfahrungen gesammelt, von denen ihm nicht alle angenehm gewesen waren. Bald hatte er den Plan gefasst, auf eigenes Risiko ein kleines, privates Schuletablissement zu begründen. Die Nähe seiner Schwester Charlotte, mit der ihn seit Kindertagen eine innige Freundschaft verband, und die Hoffnung, ihr in ihren offenbar nicht ganz glücklichen Verhältnissen gelegentlich zur Seite zu stehen, waren ein Grund gewesen, warum der junge Mr. Pratt sich fur diese Unternehmung ausgerechnet den kleinen Ort Longstaple bei Plymouth erwählt hatte.

Mrs. Steele, die sich für das Elend ihres hiesigen Lebens schämte und die sein ganzes Ausmaß lieber vor ihren Geschwistern verborgen gehalten hätte, war dieser Schritt des Bruders zunächst gar nicht recht gewesen. Erst, als sie fortziehen sollte, bemerkte sie, wie lieb ihr seine wöchentlichen Besuche geworden waren, zu denen er für all ihre Klagen stets ein offenes Ohr und in letzter Zeit, da er eine ganze Anzahl Schüler und ein akzeptables Einkommen gewonnen hatte, auch meist einen halben Shilling für die Haushaltskasse mitbrachte. Wöchentlich oder auch nur monatlich ins abgelegene Moreleigh zu reisen, würde man allerdings dem jungen, nunmehr verheirateten Mr. Pratt nicht zumuten können, sodass Mrs. Steele vorerst auf solche geschwisterlichen Liebesdienste würde verzichten müssen.

Bald nach der Ankunft am neuen Wohnort traten andere Nachteile des Umzugs zutage. Da sich in Moreleigh mehrere hohe Marineoffiziere zur Ruhe gesetzt hatten, es außerdem in der Umgebung zwei Landadelige gab, die einen großen Haushalt führten, und die Bauern ihre eigenen Kinder als Arbeitskräfte gut gebrauchen konnten, war hier Personal zu Löhnen, wie sie in Plymouth üblich waren, nicht zu bekommen. Bis Weihnachten, da sie sich aus Plymouth ein Mädchen kommen ließ, erledigte Mrs. Pratt den Haushalt, mit ein wenig Hilfe Annes, wie die Frau eines Tagelöhners ganz alleine. Von fünf Uhr früh bis zehn Uhr abends war sie auf den Beinen, zerschund sich Rücken und Hände und kam doch mit der Arbeit nicht hinterher. Ihr Mann hingegen, dem außer seinem Bein wenig zu fehlen schien, verbrachte seine Tage kontemplierend auf dem Diwan und wurde nur dann richtig wach, wenn er Besuch erhielt. Fast jeden Tag erschien irgendjemand aus dem Dorf, der sich mit den unglücklichen Zugezogenen die Langeweile zu vertreiben gedachte, was Mrs. Steele zusätzliche Arbeit bereitete. Die Frauen unterließen ihre Besuche, nachdem ihre Neugier einmal gestillt war. Die Männer jedoch, ehemalige Marineoffiziere zumeist, fanden in dem Invaliden einen Gesprächspartner, mit dem es sich vortrefflich fachsimpeln ließ, und sie pflegten nicht selten als Gastgeschenk eine Flasche Whiskey oder Rum mitzubringen, nachdem sie bemerkt hatten, dass die Vorräte des Lieutenants an solchen Stärkungsmitteln sehr beschränkt und rein medizinischer Natur waren. Da lag er dann halb betrunken auf seinem Diwan, der abgehalfterte Lieutenant zur See, nicht einmal in Gegenwart der Besucher richtete er sich ganz auf, er lag also und ließ alle seinen hässlichen Beinstumpf sehen, den Mrs. Steele täglich waschen und einbalsamieren musste, dozierte über die hohe Kunst des Seekrieges und wusste alles besser als die Admiralität, wie früher schon, als es ihn seine Karriere gekostet hatte. Weil er jedem seiner Besucher dasselbe zu erzählen pflegte, kannte seine Frau die Litanei bald auswendig. «Ein kapitaler Fehler», pflegte er zum Beispiel zu sagen, «den Seekrieg in die Kolonien zu verlegen, wo die Flotte vom Mutterland aus kaum zu steuern ist!», oder aber: «Man darf um der Kolonien willen nicht das Mutterland von Schutz entblößen!», und schließlich: «Der erste Krieg, in dem England seine Seemacht in die Kolonien schickt, ist der, in dem es die Kolonien verliert!»

Wenn du so klug bist, so hätte ihm Mrs. Steele ins Gesicht schleudern mögen, warum hast du es dann in all den Jahren nicht einmal bis zum simplen Lieutenant Commander gebracht, das wäre das Mindeste gewesen, das Mindeste, was du deiner Frau schuldigwarst, und sie entsann sich all der falschen Versprechen von großer Karriere und Reichtum und einem schönen Landhaus, die er ihr einst gemacht hatte, als er sie in Bath umgarnte.

Dies war die Zeit, da Mrs. Steele beschloss, die Erziehung ihrer Tochter Lucy aufzugeben.

Was sollte sie sich bei all ihren Pflichten und Plagen weiter vergeblich abmühen, dem Kind Stillsitzen, Schweigen und alle anderen Tugenden beizubringen, wenn doch der Vater im Hause war, der viel besser als eine Mutter geeignet schien, das harte Regiment zu fuhren, dessen das wilde Mädchen bedurfte. Freilich hatte Lieutenant Steele, der an seinen Stumpf und das Gehen auf Krücken noch nicht gewöhnt war und sich oft krank fühlte, ganz andere Sorgen als die Erziehung seiner fröhlichen, lebhaften kleinen Tochter.

So kam es, dass Lucy Steele der schönste Beweis fur die Behauptung eines damals recht bekannten Schweizer Philosophen wurde, die Natur sei die beste Erzieherin und Lehrmeisterin. Jener Monsieur Rousseau war leider daran gehindert gewesen, die von ihm erfundene Erziehungsmethode an den eigenen Kindern auszuprobieren, da er selbige, fünf oder ein paar mehr an der Zahl, sämtlich gleich nach ihrer Geburt ans Findelhaus abgegeben hatte, aus Sorge, sie könnten ihn beim Philosophieren stören. Gewiss wäre es ihm eine große Freude gewesen, Lucys Lehrjahre zu beobachten.

Sie lernte rasch. Ganz gemäß der Empfehlung des genannten Monsieur Rousseau erhielt sie keine anderen Strafen und kein anderes Lob für ihre Handlungen als die, welche sich aus der Handlung von selbst ergaben, und hatte doch mit drei Jahren schon, ohne es zu wissen, zwei der wichtigsten Grundprinzipien der menschlichen Existenz erkannt. Das eine lautete: Halte nicht deine Hand an etwas, woran du dich verbrennen könntest; das zweite: Lächelst du die Menschen an, so werden sie freundlich zu dir sein. Mittels des zweiten Prinzips, das nur bei der eigenen Mutter versagte und dessen Anwendung in der Praxis Lucy durchaus nicht schwer fiel, da es ihrem angeborenen Wesen entgegenkam, machte sie sich Mrs. Thorpe, die Bäckersfrau, zur Freundin. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass es diese Freundschaft war, die sie in ihren frühen Jahren in Moreleigh am Leben erhielt. Mrs. Thorpe futterte Lucy mit Obst, Sahne und Naschwerk, wenn sie hungrig war, und wickelte sie mehr als einmal beim Ofen in trockene Tücher, wenn sie schnatternd und durchnässt vom Regen bei ihr Schutz suchte. Mrs. Thorpes jüngste Tochter, ein Mädchen von noch nicht zehn Jahren, als die Steeles in den Ort kamen, nahm sich der kleinen Lucy statt ihrer Puppen an, für die sie sich schon zu alt fühlte. Im Laufe der Jahre brachte sie ihr Nähen, Sticken und das Lesen bei.

Wider Erwarten nämlich wurde die Familie Steele dauerhaft in Moreleigh ansässig.

Die erste Verlobte

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