Читать книгу Die erste Verlobte - Ruth Berger - Страница 21
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ОглавлениеAm Abend vor dem Coup bemerkte Lucy, dass ihre Schwester häufig fröstelte, bleich war sowie außerordentlich fahrig und nervös wirkte. Ob etwas geschehen sei?, fragte Lucy sie leise und bewusst einfältig, um nicht erneuten Ärger heraufzubeschwören.
Anne begab sich daraufhin unter einem Vorwand mit der Schwester in den Hof, wo beide frierend neben der Jauchegrube konferierten. Ohne Umschweife gestand die Ältere, sie befinde sich derart krank und übel vor Aufregung, dass sie, auf ihr Wort, nicht wisse, ob sie in der Lage sein werde, ihren Plan durchzuführen. So betrübt blickte sie dabei drein, dass Lucy das Herz ganz schwer wurde um Annes willen.
Sie glaube, sprach sie zu deren Beruhigung, dass es so und nicht anders jeder Braut gehe, kurz bevor der Termin herangekommen, dass ihr Zustand also ganz natürlich sei. Jedoch müsse in ihrem Falle durch die Heimlichkeit und die bevorstehende Reise, die einer Flucht gleiche, das Bangen noch heftiger sein als gewöhnlich. Ob es nicht für Annes Nerven eine große Erleichterung bedeuten könnte, wenn man doch noch die Eltern informierte? – «Witherspoon bringt mich um!», rief Anne, ein wenig zu laut, um gleich darauf hinzuzusetzen: Sie müsse dies noch einmal überdenken. «Ach, tu es», bat Lucy, «aber gleich, ob du es den Eltern sagst oder nicht, glaube mir, ich selbst bin ganz krank, wenn ich daran denke, dass ich ab morgen für immer von dir getrennt sein soll!»
Die Schwestern umarmten sich, Tränen standen ihnen in den Augen, da erschien mit aufgebrachter Miene die Mutter im Hof und erinnerte Lucy daran, dass ihre kranken Eltern regelmäßig die Mahlzeiten erhalten müssten. Wann sie gedenke, die unterbrochenen Essensvorbereitungen fortzusetzen? «Lass uns nach dem Tee nochmals reden», flüsterte Anne der Schwester zu, und die Mädchen begaben sich wieder nach oben.
Die Familie Steele besaß in ihrer Dachwohnung keine eigentliche Kochgelegenheit, nur heißes Wasser für den Tee konnte im Öfchen, wenn es denn einmal brannte, bereitet werden. Jeden dritten Tag im Winterhalbjahr und jeden zweiten im Sommer durften die Schwestern die Küche der Thorpes nutzen und etwas auf Vorrat kochen. Heute gab es ein paar wenige Reste von vorgestern und warmen Haferbrei, mit einem Schuss Milch im Wasser.
Als die Familie zu Tisch saß, unternahm es Lucy, das Gespräch aufs Heiraten zu bringen. Die Mutter begann sofort, von Anne und ihren neuerdings so brillanten Möglichkeiten zu sprechen, Fortescue insbesondere, da murmelte Lucy träumerisch, mit einer gewissen affektierten Arroganz in der Stimme und wie zu sich, aber laut genug, um nicht überhört zu werden: Ob wohl für sie selbst ein bloßer Lieutenant eine akzeptable Partie abgeben könne?
«Was denkst du, du freches Luder», entgegnete ihre Mutter, selbst mit einem Lieutenant verheiratet, in echter Entrüstung. «Ein Lieutenant wäre mehr als gut genug für dich! Glaube mir, wild und unmanierlich, wie du bist, müsstest du dich glücklich schätzen, wenn sich jemals einer fände, der bereit wäre, dich zu heiraten!»
«Ich meinte natürlich», sagte Lucy entschuldigend, «wenn der Lieutenant nicht aus dem Landadel, also, wenn er ein Commoner wäre.»
«Dann drück dich künftig deutlicher aus, Mädchen», brummte der Vater, der ebenfalls über ihre Äußerung verärgert gewesen war.
«Oh», rief zugleich ihre Mutter, «das wäre natürlich etwas ganz anderes, und ich muss schon sagen, so froh wir wären, wenn wir dich überhaupt verheiraten könnten, ich meine natürlich, wenn du alt genug geworden und wenn zuvor deine liebe Schwester glücklich verehelicht ist, also, wenn er sich durch nichts auszeichnet als durch das Lieutenants-Patent, nein, das könnten wir nicht akzeptieren.»
«Und selbst wenn er Captain wäre?»
«Den nehmen wir sofort», brummte der Vater, halb amüsiert.
«Nun», räusperte sich seine Frau, «da die Zeiten nun einmal schwierig sind und du so ein nichtsnutziges, freches Mädchen, würden wir wohl recht zufrieden sein, wenn du einen Captain bekämest, aus welcher Familie auch immer.»
«Wenn also heute Abend ein solcher Captain den Raum beträte und um die Hand einer Ihrer Töchter anhielte, so würden Sie ja sagen?» Diese Worte waren sehr ernst gesprochen. Die Eltern stutzten und warfen sich über den Tisch hinweg Blicke zu.
«Was fuhrst du im Schilde, du ungezogenes Ding!», sprach schließlich die Mutter. «Du hast doch nicht etwa … Du weißt doch, dass es sich nicht gehört, dass du heiratest, bevor Nancy es tut! Pfui, schäm dich!»
«Aber es geht mir doch gerade um Nancy», erklärte Lucy, nachdem sie sich stumm mit dieser verständigt hatte. Die Eltern Steele starrten jetzt ihre große Tochter an, die ihren Brei kaum angerührt hatte und zart errötend sowie in durchaus glücklicher Erregung mit dem Löffel spielte. «Nun, Mädel, was soll das Ganze», wandte sich der Vater endlich an sie, keineswegs ganz ungehalten.
«Lieber Vater, liebe Mutter, es mag sein, dass es etwas gibt, was ich Ihnen sagen muss», haspelte Anne.
«Na dann tu’s, raus mit der Sprache», polterte der Lieutenant, während zugleich seine Frau in ein glückliches «Oh, Nancy!» ausbrach. «Es gibt also jemanden, der ernstlich … mit dem du …»
«Aber ein Captain kann es nicht sein», ging der Vater dazwischen. «Es gibt nur einen Captain in dieser Kompanie, und der ist ein Gentleman aus bester Familie.»
«Aber es gibt jemanden», erklärte Anne, «der jetzt zu einem anderen Bataillon versetzt wird, nach Blackpool, und der dort in zwei Tagen zum Captain befördert wird.»
«Tatsächlich? Und wer soll das sein?»
«Witherspoon!», seufzte Anne.
«Oh!», rief ihre Mutter. «Witherspoon! Wer hätte das gedacht!»
«Aber du willst mir doch nicht sagen», setzte ungerührt und sehr ernst der Lieutenant sein Verhör fort, «dass es zwischen euch beiden eine Art Einvernehmen gibt? Er hat zu dir doch noch nicht von Heirat gesprochen?» – Hierauf erhob sich Anne von ihrem Sitz, drehte dem Esstisch den Rücken zu, verknotete ihre Hände ineinander und erklärte etwas furchtsam mit niedergebeugtem Haupt: «Wir sind verlobt.»
Nicht weniger als ein Sturm brach bei den Eltern der jungen Dame los. Mrs. Steele entrüstete sich bald über die gewissenlose Heimlichkeit Annes, bald war sie schon mit Hochzeitsvorbereitungen befasst, bald beklagte sie das Unglück, die geliebte Tochter demnächst fur immer entbehren zu müssen. Der Vater, halb zu sich selbst, halb im Zwiegespräch mit seiner Tochter, die nicht wusste, wem von beiden sie zuhören sollte, spekulierte erst über die sicher mäßigen Vermögensverhältnisse, mit denen bei dem künftigen Captain zu rechnen wäre, dann über die Frage, warum man bei der Beförderung gerade diesem Lieutenant gegenüber mehreren verdienten anderen den Vorzug gegeben habe, was wieder einmal zeige, wie wenig Talent und Tugend des Einzelnen hier zählten, um schließlich Zweifel am moralischen Sinn eines Mannes anzumelden, der eine junge Lady hinter dem Rücken ihrer Eltern zu einem Heirats versprechen überredet, in welchem Gedankengang er allerdings auf halbem Wege etwas beschämt innehielt.
«Ruhe bei Tisch!», polterte er heftig. «Erst wird fertig gegessen, dann sehen wir weiter.»
Wer aufgestanden war, nahm wieder Platz; man hörte in unnatürlicher Stille die Löffel klappern und Mrs. Steele husten, die sich verschluckt hatte, als sie sich schnell noch, hinter dem Vorhang beim Bett, zur Stärkung an der dort mit oder ohne Wissen ihres Gatten verborgenen Rumflasche gelabt hatte.
Erst als abgeräumt war und Lucy vor den Spüleimern saß, tat Lieutenant Steele, was von einem Vater in seiner Position erwartet werden musste. Er handelte. Der junge Enkelsohn der Thorpes wurde herbeigerufen und erhielt den Auftrag, zu Witherspoons Quartier zu marschieren und ihn in seinem Namen zu bitten, er möge sich freundlicherweise sogleich zwecks eines Gesprächs in der Steele’sehen Wohnung einfinden.
Inzwischen mühte sich Mrs. Steele in großer Hast und mit fahrigen Bewegungen, ihre Tochter Anne für den Anlass herauszuputzen, was diese hochrot, ungewöhnlich schweigsam und mit recht leidendem Ausdruck über sich ergehen ließ.
Nun kehrte aber der junge Bote zurück mit der Nachricht: Witherspoon bedaure außerordentlich, dass er wegen dringender Geschäfte am heutigen Tage keine Zeit mehr finden werde zu kommen, er strebe jedoch an, das Gespräch zu einem späteren Termin nachzuholen. Der Junge hatte noch nicht ausgeredet, da wandte sich der Lieutenant an Anne: «Wann reist er nach Blackpool? Noch in dieser Woche?» – «Morgen», entgegnete Anne, die nicht wusste, ob sie schwitzte oder fror. «Wann morgen?», fragte der Lieutenant scharf. «In aller Frühe», hauchte Anne und sah zu Boden. «Kein Wunder», setzte sie hinzu, «dass er keine Zeit findet, er wird mit Reisevorbereitungen beschäftigt sein.» Dabei errötete sie noch stärker in der Erinnerung daran, wie sie ihre eigene kleine Tasche, eigentlich die der Mutter, am Morgen heimlich gepackt und unter dem Bett versteckt hatte. Das wenige Geld aus der Haushaltskasse hatte sie in der folgenden Nacht noch für die Reise einstecken wollen.
«Wenn er morgen reist», fuhr Lieutenant Steele fort, «so kann das kein Grund für mich sein, ihn ohne Aussprache ziehen zu lassen. Im Gegenteil.» Er verfasste nun eine kurze Adresse, um seinem allzu berechtigten Anliegen Nachdruck zu verleihen. Es gehe um eine dringende private Sache, so schrieb er, die es zu klären gelte, bevor Witherspoon den Ort verlasse; er könne sich vielleicht denken, wovon er spreche. Kurz, wenn Witherspoon außerstande sei, noch heute Abend bei den Steeles zu erscheinen, so sehe Lieutenant Steele sich genötigt, seinerseits Witherspoon in seinem Quartier aufzusuchen und sich dort mit ihm auszusprechen. Er bitte ihn also, falls irgend möglich, in einer halben Stunde hier zu sein, danke ihm für sein Verständnis etc.
Der junge Thorpe ging und kam bald darauf zurück, um die prompte Erledigung seines Auftrags zu vermelden, für den er knapp die Hälfte jenes Geldes in die Hand erhielt, das Anne als Reisezehrung hatte entwenden wollen. Witherspoon habe das Papier empfangen, eine Nachricht habe er nicht mitgegeben.
Man wartete.
In den anderthalb Dachzimmern der Familie Steele herrschte eine Atmosphäre, als wolle von den dunklen Dachschrägen ein Gewitter losbrechen. Die Mienen lichteten sich erst, als der Geladene ohne erhebliche Verspätung und federnden Schrittes die Treppe heraufkam. Anne, von der Mutter arg zugerichtet, saß wie ein buntes Blumengesteck auf dem einzig guten Stuhl und blickte zu Boden, als er eintrat. Sie sah nicht, dass er ein freundliches Gesicht machte.
«Verzeihen Sie, Sir», sprach er recht verbindlich zu Lieutenant Steele, «dass ich, die Gebote der Höflichkeit außer Acht lassend, gleich zur Sache kommen möchte, denn meine Zeit ist heute Abend außerordentlich knapp bemessen. Was also ist der Anlass, um dessenthalben Sie mich sprechen wollten?»
«So nehmen Sie doch erst einmal Platz», bat Steele, während seine Frau zusammenschrak, ihren Fehler erkannte, hektisch Anne am Arm zog und ihr bedeutete: Sie möge ihren Stuhl freigeben und sich anderswo niederlassen.
«Haben Sie Dank, doch ich ziehe es vor zu stehen», erklärte Witherspoon, den freigeräumten Stuhl im Blick. «Wie schon gesagt, sosehr ich Ihre Gesellschaft schätze, so werde ich mich doch heute Abend nicht lange bei Ihnen aufhalten können. Würden Sie nun die Güte haben, mir das Rätsel zu lösen und zur Sache zu kommen.»
Steele, der sich bei Witherspoons Eintritt erhoben hatte, murmelte: «Erlauben Sie», ließ sich unter den üblichen Geräuschen von Holzbein und Krücke auf dem Diwan nieder, da ihm lange zu stehen schwer fiel, räusperte sich schließlich und fragte: «Sie kennen meine Tochter Anne?»
Witherspoon warf nun zum ersten Mal einen Blick auf diese. «Ja, freilich», antwortete er, «wir sind uns einige Male begegnet.»
«Ich habe Grund zu der Annahme, dass Sie sich sogar etwas näher kennen.»
Nach einer kurzen Pause entgegnete Witherspoon: «Ich wüsste nicht, was Sie damit meinen könnten.»
«Verzeihen Sie», bemerkte Steele nach einer weiteren Pause, «ich furchte, ich sollte zunächst etwas klarstellen, damit Sie mich nicht missverstehen. Glauben Sie mir, Witherspoon, ich will Ihnen weder irgendwelche Vorwürfe machen noch Ihnen Steine in den Weg legen, den Sie sich erwählt haben. Ich will lediglich meiner Vaterpflicht Genüge tun und die Verhältnisse in die Ordnung bringen, in welche sie Anstand und Sitte nach gehören. – Gibt es also etwas, was meine Tochter betrifft, das Sie mir sagen wollen?»
«Zum zweiten Mal, Steele, mir ist gänzlich schleierhaft, worauf Sie hinauswollen.»
«Und doch sollte Ihnen das inzwischen klar geworden sein. – Haben Sie oder haben Sie nicht ein heimliches Einverständnis mit meiner Tochter?»
«Steele, Sie erstaunen mich. Zwischen mir und Ihrer Tochter besteht nichts, was man ein Einverständnis nennen könnte, schon gar nicht ein heimliches. Wie gesagt, wir sind uns gelegendich begegnet, haben wohl auch ein paar beiläufige Worte gewechselt –»
«Sie tragen sich also nicht etwa mit der Absicht, meine Tochter zu heiraten?»
Hierauf lachte Witherspoon hell auf. «Ich bitte Sie, Steele, ohne Ihr Fräulein Tochter beleidigen zu wollen: Ich habe nicht und hatte niemals eine solche Absicht. Überhaupt kann ich mir dies alles nicht anders erklären, als dass eine Verwechslung vorliegt. Ich entsinne mich nicht, zu Ihrer Tochter oder über Ihre Tochter jemals etwas gesagt zu haben, das zu solchen verfehlten Deutungen Anlass bieten könnte. Damit wäre die Sache wohl geklärt. – Und nun entschuldigen Sie mich bitte, Steele, Mrs. Steele, Miss Steele, Sie wissen ja, es pressiert mir heute außerordentlich. Einen schönen Abend wünsche ich.»
Der ungehinderte Abgang Witherspoons hinterließ alle Mitglieder der Familie Steele in jeweils unterschiedlich gelagerter Bestürzung, die deutlichen Ausdruck fand, als Anne, bevor noch irgendjemand Worte gefunden hatte, in einer opportunen Ohnmacht von ihrem Schemel sackte. Jetzt redete alles durcheinander. Der Vater schwor bald, die Tochter versohlen, bald, sich mit Witherspoon duellieren zu wollen, die Mutter zerrte an der niedergestreckt Daliegenden, kreischte ihren Namen wie ein orientalisches Klageweib und schlug ihr zwischendurch mit der flachen Hand ins Gesicht, während Lucy abwechselnd «Bitte, Vater!» und «Bitte, Mutter!» stammelte.
«Du!», wandte sich plötzlich der Vater ihr zu, «du kleines Luder, was hast du zu bitten und uns zur Mäßigung zu mahnen? Dir haben wir diese schändliche Groteske doch zu verdanken, dir und deinem albernen Geschwätz von Annes Verehrer!»
«Ich will gleich alles erklären», schwor Lucy beängstigt, «lasst uns nur erst die arme Nancy aufs Bett heben.» Die arme Nancy gab, während sie es der Mutter und Lucy schwer machte und sich schlaff hängen ließ, ihrer Schwester von hinten einen scharfen Kniff in die Wade, den diese als Warnung auffasste, den Eltern nicht die ganze Tragweite der Liebschaft mitsamt den Fluchtplänen zu entdecken – was sie ohnehin niemals vorgehabt. Endlich lag die schwer Geprüfte ordentlich im Bett.
«Also? Ich warte», leitete der Vater das Verhör ein, während Mrs. Steele sich hinter dem Vorhang eine erneute Stärkung aus der Rumflasche gönnte.
«Anne trifft keine Schuld», begann Lucy rot und etwas atemlos, «es sei denn, ein zu tugendsames Gemüt wäre als Schuld zu bezeichnen.»
Sie wisse, dass Anne sich der Zuneigung Witherspoons sicher geglaubt habe, ja anlässlich seiner bevorstehenden Abreise habe er sich solcherart geäußert, dass für Anne keine Zweifel an seinen ernsten Absichten mehr bestehen konnten. Die Umworbene habe jedoch auf die entsprechenden Vorstellungen Witherspoons ihre Ablehnung kundgetan, da sie Grund hatte zu meinen, ihre Eltern würden eine solche Verbindung nicht erlauben; ja, sie habe nicht einmal gewagt, Mutter oder Vater davon zu sprechen, und sich lediglich auf dringliche Fragen der Schwester dieser eröffnet, die selbst einmal Zeugin geworden sei, wie Anne von Witherspoon auf das Artigste umschmeichelt wurde. Da ihr nun Anne im Vertrauen gestanden habe, sie wäre, wüsste sie nicht von der ablehnenden Haltung der Eltern, der Werbung Witherspoons zugeneigt, habe es Lucy für richtig gehalten, bevor der Galan gen Norden verreist und für Anne verloren wäre, einmal das Gespräch darauf zu bringen, um zu sehen, ob die Eltern tatsächlich trotz der kommenden Beförderung …
«Bei Gott, der Halunke», fluchte Lieutenant Steele, der es für die niederträchtigste Kalkulation hielt, sich die Tochter eines Invaliden für eine Liebelei auszusuchen. Er wolle ihn fordern, erklärte er erneut, wunderte sich, dass seine Frau nicht protestierte (bis er sie neben seiner älteren Tochter und leblos wie diese auf dem Bett liegen sah), und hoffte insgeheim, der junge Mann werde sich mit seiner Abreise so sehr sputen, dass es zum Kampf nicht mehr käme.
«Aber ich glaube, er kann gar nichts dafür», faselte Lucy, rasend vor Angst, es könne ein Duell geben, da der Vater schon auf der Suche nach Tinte, Papier und Feder durchs Zimmer hinkte, in der Absicht, neuerlich ein Schreiben zu verfassen. Mit einem Mal stöhnte er vor Schmerz laut auf, denn just in diesem Augenblick meldeten sich wieder die in den letzten Jahren kaum noch quälenden Phantomschmerzen mit ganz der alten Intensität.
Lucy blieb sitzen und machte keine Anstalten, dem Vater das Schreibzeug zu bringen. Sie glaube nicht, beeilte sie sich zu erläutern, dass die Absicht einer Täuschung vorgelegen habe; vielmehr furchte sie, dass ihre Schwester und auch sie selbst, an Süßholzraspeln nicht gewöhnt, einige blumige Komplimente, die in den niederen militärischen Kreisen des Lieutenants gängig sein mochten und vielleicht nur einer überdrehten Vorstellung von Höflichkeit entsprachen, kurz, dass sie beide diese Komplimente zu ernst und jede zitierte Romanzeile wörtlich genommen hätten und dass daher der heutigen Tragödie nichts weiter als nur ein Missverständnis zugrunde liege.
«Nun», presste der Vater hervor, als er sich ohne Schreibutensilien laut atmend auf den Diwan fallen ließ, «denkbar wäre das allerdings, so wie ich dich und unsere Nancy kenne.»