Читать книгу Die erste Verlobte - Ruth Berger - Страница 6
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ОглавлениеUnglücklicherweise musste der Lieutenant, kaum war die überhastete Hochzeit vorüber, seine Frau verlassen, um gemäß der Bestimmung seines Berufes zu einer längeren Seereise aufzubrechen. Diese sollte ihn weit fort von heimischen Gewässern in die Kolonien der Neuen Welt fuhren.
Der frisch getrauten Mrs. Thomas Steele blieb nichts, als ganz allein zu ihrem künftigen Heim aufzubrechen. Nur einen Teil des Weges wurde sie vom Diener ihrer Eltern eskortiert. Ihr Vater hatte sich nämlich außerstande erklärt, die Kosten für die gesamte Strecke zu tragen. Er sah auch nicht ein, dass er dies müsse. «Sollen sie dir auf halbem Weg jemanden entgegenschicken», befand er, «du bist jetzt eine Steele, keine Pratt mehr. Warum sollten also wir für deinen Transport aufkommen?» Charlotte fiel hierauf nichts zu erwidern ein. Sie musste sich, wie meist bei den Ansichten und Dekreten ihres Vaters, eingestehen, dass das, was er sagte, höchst vernünftig klang und von ihr nicht widerlegt werden konnte – hätte sie eine Widerrede denn gewagt. Ihre Mutter aber hatte sie beizeiten gelehrt: Man wagte solches besser nicht.
Niemanden hatte sie bisher von den Verwandten ihres Mannes gesehen als eine geschwätzige, gutmütige Cousine, in deren Begleitung er sich in Bath befunden hatte und die mit ihrem Mann auch zur Hochzeit nach Woodham gereist war. Ihre Schwiegermutter, Mrs. Steele, sowie Mr. Lawrence Steele und dessen Frau, mit denen sie künftig zusammenleben sollte, kannte sie nur aus Erzählungen. Jedoch hatte sich der Lieutenant stets voller Lobpreisungen über seinen älteren Bruder geäußert, und dessen Bereitschaft, sie bei sich aufzunehmen, bewies in der Tat so viel Großzügigkeit und Freundlichkeit, dass Charlotte nicht anders konnte, als dankbar und in Liebe ihren unbekannten Verwandten und dem ersten Zusammentreffen mit ihnen entgegenzusehen.
Bei ihrer Ankunft auf dem Landgut und während der ersten Abendmahlzeit fand sie sich weniger herzlich aufgenommen als erhofft, schrieb diesen Eindruck aber der Gemütsschwäche zu, an der sie nach den Strapazen der Reise litt und die ihre Fähigkeit zu urteilen beeinträchtigt haben mochte. Ihre Schwiegermutter lernte sie im Übrigen noch immer nicht kennen, denn diese hielt sich gerade bei weitiäufiger Verwandtschaft in Exeter auf. An ihren Schwager Lawrence Steele, einen kurzsichtigen Hünen, der Charlotte, bis auf die Bemerkung: «Unser Gast ist also eingetroffen», nicht beachtete, wagte sie kein Wort zu richten. Sie tat aber in den folgenden Tagen und Wochen alles, um sich durch Freundlichkeit, bescheidene Zurückhaltung und Hilfsbereitschaft ihrer Schwägerin zu empfehlen. Mrs. Lawrence Steele war eine äußerst elegant gekleidete Dame, nicht mehr ganz jung und mit merklichem Bartwuchs an Kinn und Oberlippe gesegnet, welche ihren Vorteil zu nutzen wusste, wo sie ihn sah. Gerne bediente sie sich des Fleißes und Eifers ihrer Schwägerin, um so manche Stickarbeit ohne eigenes Zutun fertig zu stellen (während sie selbst sich geistesabwesend mit zwei Fingern an den Kinnhaaren zupfte). Als Freundin schien sie Charlotte jedoch darum nicht höher zu schätzen. Wohl war sie nicht unhöflich zu der Jüngeren, doch nie mehr als nur das, geschweige denn, dass sich jemals ein vertrauliches Gespräch zwischen den Frauen entsponnen hätte.
Im Frühherbst kehrte die Witwe Steele von ihrem ausgedehnten Besuch in Exeter zurück. Entgegen der landläufigen Ansicht war das Verhältnis zwischen Mrs. Lawrence Steele und ihrer betagten Schwiegermutter herzlich, ja es kam der jungen Mrs. Thomas Steele geradezu vor, als benähmen sich die beiden miteinander wie Liebende. Sie saßen eng beisammen, scherzten und tuschelten und vermittelten auf vielerlei Weise Charlotte das Gefühl, ihre Teilnahme am Gespräch sei unerwünscht. Dass sie oft genug sein Thema zu sein schien, war dabei wenig tröstlich. Lebhaftes Flüstern der beiden älteren Mrs. Steele, verbunden mit schlecht verhohlenen Blicken in ihre Richtung, plötzliches, von leisem Kichern durchbrochenes Schweigen, wenn sie den Raum betrat, waren noch das Geringste, was sie in dieser Hinsicht zu erdulden hatte. Immer mehr zog sie sich zurück, verbrachte die Tage in ihrem unbeheizten Schlafzimmer, um anlässlich der Mahlzeiten, wenn sie der Gesellschaft der anderen nicht ausweichen konnte, das Objekt von bald offener zur Schau getragenem Gespött und leider nicht selten auch von Tadel zu werden.
Eines Tages, als man zu dritt bei Tische saß – der Herr des Hauses befand sich trotz seiner Kurzsichtigkeit auf einer Fuchsjagd -, bemerkte die Witwe Steele zu ihrer Busenfreundin: «Ich furchte fast, wir werden in diesem Jahr die Fastenzeit schon zu Weihnachten einläuten müssen. Wenn Charlotte sich weiter so der Völlerei hingibt, besteht kein Zweifel, dass sie Mitte Dezember all unsere Wintervorräte vertilgt haben wird. Was meinen Sie, meine Teure?»
«Sie haben Recht, ohne Zweifel. Man muss sich fragen, ob die junge Dame, als sie noch bei ihren Eltern lebte, annähernd so ausgiebig gespeist hat wie jetzt. Es heißt doch, ihr Vater sei stets auf äußerste Sparsamkeit bedacht gewesen!»
«Das Essen hat er mir nie verboten», entfuhr es Charlotte fast barsch. Dann fasste sie sich und fugte sehr leise, bescheiden und errötend an: «Wohl mag es sein, dass ich zurzeit um ein weniges mehr zu mir nehme als früher. Doch ist dies sicher ganz natürlich, da ich sozusagen für zwei Nahrung benötige.»
Falls sie geglaubt hatte, mit diesem ersten Hinweis auf ihren gesegneten Leibeszustand die Gemüter besänftigen zu können, so hatte sie sich getäuscht. Mrs. Lawrence Steele hatte nach nunmehr vierzehn Jahren Ehe ihrem Mann noch keinen Erben, ja nicht einmal eine Tochter geschenkt und konnte an dieser Neuigkeit aus dem Munde ihrer Schwägerin nichts Erfreuliches finden. Erregt ließ sie die Gabel fallen, um sich in einer unwillkürlichen Bewegung am Kinn zu zupfen.
«Es erstaunt mich zu hören», flötete sie, nachdem sie sich neuerlich dem Essen zugewandt hatte, «dass Sie schon jetzt doppelte Portionen benötigen. Soweit ich weiß, musste Ihr Herr Gemahl kaum zwei Stunden nach dem Ehegelöbnis nach Plymouth abreisen. Sie werden in dieser kurzen Zeit nicht viel allein mit ihm gewesen sein.»
Die Witwe Steele, bei welcher nun erst der Groschen fiel, lehnte sich mit einem so heftigen Ruck in ihrem Stuhl zurück, dass ihre hängenden Wangen erbebten. «Bei Gott», sagte sie sehr ernst zu Charlotte, «der Verdacht war mir wohl gekommen, doch ich hätte nie geahnt, dass Sie ihn mit Ihren eigenen Worten bestätigen würden. So muss ich nicht weiter rätseln, warum mein Sohn Thomas wider alle Vernunft: darauf bestand, eine Ehe mit Ihnen einzugehen, und dies zu einem Zeitpunkt, da seine wirtschaftlichen Verhältnisse eine Heirat verboten. Sie haben ihn mit Fleiß und allerlei derben Verführungskünsten in eine Zwangslage gebracht, aus der er sich als Ehrenmann nicht herauswinden mochte. Und nun schämen Sie sich nicht einmal, sich von seiner Familie aushalten zu lassen.»
Charlotte kämpfte mit den Tränen. Sie glaubte sich schuldlos, konnte aber nach Lage der Dinge den bösen Vorwurf nicht zurückweisen, ohne wiederum ihren Mann vor seiner Mutter ins Unrecht zu setzen. Die Hände zitterten ihr, die Lippen taten dasselbe, die Wangen glühten, doch Worte der Verteidigung fanden sich nicht.
Auch fürderhin schwieg Charlotte, wann immer sie getadelt wurde. Nicht anders hatte es ihre Mutter lebenslang mit dem Vater gehalten, denn gegen Überlegene begehrt man nicht auf, sondern sucht sie durch Unterwerfung milde zu stimmen.
Ein Trost in ihrer geknechteten Einsamkeit war ihr bald die im Winter zur Welt gekommene Tochter Anne. Vom Tage ihrer Geburt an war sie ein Sonnenschein im Leben der Mutter, nie unartig, immer still und zufrieden. Jedem schenkte die kleine Nancy, wie sie kosend genannt wurde, ein freundliches Gesicht, und Charlotte machte sich anfangs Hoffnung, selbst die älteren Mrs. Steele müssten ein solches Kind lieben lernen, und nach und nach würde von dieser Zuneigung auch ein wenig für seine Mutter abfallen. Doch sie hoffte vergebens. Sosehr Mrs. Lawrence Steele erleichtert war, dass Charlotte wenigstens keinen Jungen zur Welt gebracht hatte, so sehr zeigte sich ihrerseits die Witwe Steele verärgert, dass diese ungeliebte Schwiegertochter nicht einmal fur die Bereitstellung eines Erben taugte.
Charlotte Steele trug still und geduldig ihre Bedrückung und erwartete mit großer Sehnsucht die Wiederkunft ihres Mannes.