Читать книгу Die erste Verlobte - Ruth Berger - Страница 14

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Einige Monate nach diesem denkwürdigen Austausch geschah etwas, das in Lucy erste Zweifel weckte, ob Albernheit und Dummheit sie allein vor allen Familienmitgliedern auszeichneten, während ihre Eltern und die Schwester höchst verständig und vernünftig seien.

Es war vor kurzem der Reer-Admiral Byrne verstorben. Sein Haus mit dem zugehörigen Grund hatte ein anderer ehemaliger Admiral, Sir Horatio Graves, als Landsitz erworben, welcher alsbald durch den gesprächigen Testamentsvollstrecker von den verschiedenen Kalamitäten unterrichtet wurde, welche die Familie Steele befallen hatten. Er war ohnedies geneigt gewesen, einen Sekretär einzustellen. Nun bedachte er sich und ließ dann dem Lieutenant, den er noch niemals gesehen hatte, ein Schreiben zukommen, in welchem er zum einen ankündigte, das kleine Erbe der Steeles in Nachfolge des Reer-Admirals zinsträchtig und sicher zu verwalten, und zum anderen anfragte, ob der Lieutenant ihm nicht zu den und den Konditionen als Sekretär zur Verfugung stehen wolle? Wenn ja, so möge er sich zu einem bestimmten Termin in seinem Hause einfinden, um Näheres zu besprechen.

Die Familie konnte jedes zusätzliche Einkommen gebrauchen, und Lucy schloss aus dem, was sie ihre Eltern in der Sache reden hörte, Sekretär sei zwar kein ohne jeden Zweifel ehrenhafter Beruf (wie es zum Beispiel Admiral war), stehe jedoch weit über solch verachtenswerten Tätigkeiten wie Brotbacken oder Hufeisenschmieden. Der Lieutenant sandte alsbald an Sir Horatio, er gedenke, das Angebot anzunehmen, und werde zu dem genannten Termin erscheinen.

Nun litt bekanntlich Lieutenant Steele nicht selten an Phantomschmerzen. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, den grausamen Schmerz, wenn dieser ihn allzu sehr peinigte, mittels Rum zu betäuben, welchen er inzwischen von einem Matrosen in Plymouth sehr billig und kistenweise bezog. Während Mrs. Steele ihren wehen Rücken und die trübsinnigen Gedanken täglich mit geringen Dosen dieses probaten Hausmittels zu vertreiben pflegte, genoss der Lieutenant nur vielleicht einmal im Monat davon, dann aber im Übermaß. Unglücklicherweise fugte es sich, dass er gerade in der Nacht vor dem besagten Termin bei Sir Horatio von einer heftigen neuralgischen Attacke heimgesucht wurde.

Der nächste Morgen fand ihn bleich und halb bewusstlos auf seinen Diwan niedergestreckt.

«Schsch! Lucy, lass das!», wies Mrs. Steele, als sie erwachte, im Flüsterton ihre Tochter zurecht, die bereits angekleidet war und eben das Fenster öffnen wollte. Lucy sah ihre Mutter fragend an, die Hand am Fensterkreuz. Es roch schlecht. Der Raum stand erfüllt von einem alkoholischen Dunst, der ihr den Atem verschlug. «Weißt du denn nicht», zischelte Mrs. Steele, «wie deinen Vater jedes Geräusch quält, wenn er eine schlimme Nacht hatte? Dass du ihm jetzt nur nicht die klappernden Hufe und die lauten Stimmen auf der Straße zumutest! Setze dich und rühre dich nicht, gerade heute musst du so still sein, wie es nur geht, denn dein Vater soll ja am Nachmittag bei dem Admiral vorsprechen! Wir wollen zusehen, dass er sich vorher erholt.»

Lucy bezweifelte, dass selbst unter günstigsten Umständen und bei vollkommener Ruhe die Erholung ihres Vaters so schnell vonstatten gehen könne, dass er zum Nachmittag schon wieder vorzeigbar wäre. Sie tat es jedoch dem Vorbild ihrer Mutter und Schwester gleich, indem sie sich auf das noch ungemachte Bett setzte und fürderhin keinen Mucks mehr von sich gab, kaum, dass sie zu atmen wagte.

So kam es, dass im Zimmer auch die nötigsten täglichen Arbeiten noch nicht verrichtet, ja nicht einmal die offenkundigen Spuren des nächtlichen Rumexzesses beseitigt waren, als Lucy gegen Mittag meinte, durch das geschlossene Fenster hindurch, von einer Männerstimme gesprochen, den Namen ihres Vaters zu vernehmen. «Mama», flüsterte sie, «hast du das gehört? Ich furchte fast, es ist der Admiral Graves, der uns besuchen kommen will!» – «Schsch! Unsinn, du albernes Kind», schalt flüsternd Mrs. Steele, derweil aber Anne, die sich seit Stunden langweilte, zum Fenster lief und es aufriss, um zu erkunden, was sich draußen abspielte. «Mama!», rief nun Anne erschrocken, indem sie das Fenster mit einem Knall wieder schloss, der ihren Vater laut aufstöhnen ließ. «Er trägt fast die gleiche Uniform wie früher Byrne! Es ist wirklich der Admiral, der draußen vor der Tür steht und mit Mrs. Thorpe spricht!»

Mr. Steele auf seinem Lager, durch die Lautstärke mehr als den Inhalt dieser Worte inkommodiert, stöhnte, dass man glaubte, es gehe zu Ende mit ihm, und Mrs. Steele murmelte: «Nun, ganz gleich, dann ist es der Admiral, er wird nicht zu uns wollen.»

«Er hat aber», flüsterte Anne, «Mrs. Thorpe gefragt, ob Vater da ist, und sie hat ihm gesagt: Sie glaubt, er ist noch im Haus!»

«Ach du liebe Güte!», rief Mrs. Steele, beugte sich über ihren Mann mit den Worten: «Steele, hören Sie, der Admiral! Wachen Sie auf, mein Gott, wachen Sie auf», und schüttelte ihn, der erneut unwillig stöhnte und sich, das Kissen über den Kopf gepresst, zur Seite drehte. Schon hörte man durch die Tür schwere Schritte auf der Treppe; Mrs. Steele begann, unter Achs und Wehs im Räume umherzulaufen und Flaschen und schmutziges Geschirr einzusammeln, wobei sie eine der Flaschen ins Rollen brachte, den noch vollen Nachttopf umwarf und überhaupt einen solchen Lärm veranstaltete, dass es ganz unmöglich sein würde, schlicht so zu tun, als sei man nicht da, und dem Admiral nicht zu öffnen. Da stürmte Lucy fliegenden Herzens und Schrittes hinaus, schloss fest die Tür hinter sich und sprang die Treppe hinab, wo ihr auf halber Höhe ein stattlicher Mann mit weißer Perücke entgegenkam. Zwei Stufen über ihm blieb sie stehen, knickste artig, sagte: «Einen schönen guten Morgen, Sir», und machte keine Anstalten, den Weg freizugeben. «Guten Morgen, junge Lady», entgegnete der Admiral schmunzelnd, «und mit wem, wenn ich fragen darf, habe ich es zu tun?» – «Bitte, Sir, mein Name ist Miss Lucy Steele», verkündete Lucy, «und wenn ich darf, so soll ich Ihnen ausrichten, mein Vater hat seit gestern die Malaria und liegt mit hohem Fieber zu Bett, und er wird heute nicht kommen können, und wenn es Ihnen recht ist, Sir, so bittet mein Vater, Sie möchten ihm einen anderen Termin geben, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir, damit er Sie aufsuchen kann, jedoch nicht vor übermorgen, dann aber wird er gewisslich wieder auf den Beinen sein.» – «Ah», gab der Admiral zurück, noch immer schmunzelnd, «nun, junge Lady, mir war fur heute Nachmittag ohnehin etwas dazwischengekommen. Dann richten Sie doch Ihrem Herrn Vater aus, er möge mich am Freitag aufsuchen, etwa eine halbe Stunde vor dem Tee, und wünschen Sie ihm eine gute Besserung, und meine Empfehlung an die Frau Mutter.» Worauf er Lucy in die gerötete Wange kniff, auf dem Absatz kehrtmachte und treppab das Haus verließ.

Dank dieses beherzten Eingreifens seiner jüngsten Tochter diente Lieutenant Steele dem Admiral wirklich einige Jahre als sporadischer Sekretär, was das Einkommen der Familie spürbar, wenngleich nicht entscheidend, verbesserte. In Lucy jedoch wuchs fortan die Überzeugung, dass sie durchaus nicht in allen Dingen auf die Umsicht und den besseren Verstand ihrer Eltern und der Schwester vertrauen und fröhlich und gedankenlos in den Tag hineinleben durfte, sondern dass sie selbst, klein und dumm, wie sie sein mochte, ihren Anteil zum Wohlergehen der Familie beitragen konnte und musste.

Die erste Verlobte

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