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Wie es zu gehen pflegt, hasste Mrs. Lawrence Steele ihre Schwägerin (der sie zu Anfang nie ohne Bosheit hatte gegenübertreten können) mit jedem ihrer Unglücke etwas weniger. Seit die Ärmste so treuherzig aus Moreleigh mit ihr korrespondierte, schwoll ihr die Brust vor gutem Willen und mitleidender Verbundenheit, wann immer sie die Feder zu einer Antwort an Charlotte in die Hand nahm.

Stellen Sie sich vor, meine Liebste – schrieb sie beispiels-

weise -, die neue Köchin hat das Roastbeef komplett

durchgebraten, ausgerechnet, als wir den Ehrenwerten

Mr. Huntington zu Gast hatten, von dem jeder weiß, wie

außerordentlich anspruchsvoll er mit dem Essen ist.

Sie zupfte dann gedankenverloren mit zwei Fingern ein Härchen vom Kinn und sagte sich voller Mitgefühl: Die arme Mrs. Thomas Steele, wann wird sie je einmal Gäste empfangen und ihnen Roastbeef vorsetzen können, ob roh, ob durch? Und wie glücklich muss sie sich schätzen, dass wir, ihre Verwandten, sie nicht ganz von uns gestoßen haben in ihrem Elend und dass ich, die Herrin von Wisdinghurst, mir ein Herz nehme und ihr zweiwöchendich schreibe, obwohl es sich eigentiich, bei diesen Verhältnissen, schon fast nicht mehr geziemt.

Jemanden, der so sehr ihren Edelmut offenbar werden ließ wie die arme alte Charlotte Steele, den konnte die Herrin von Wistlinghurst eigentlich nur von Herzen gern haben.

Lawrence Steele war kinderlos geblieben. (So jedenfalls die allgemeine Auffassung, da weder er selbst noch sonst irgendjemand, außer der Mutter, etwas von dem schlaksigen, kurzsichtigen Sohn wusste, der ihm vor einigen Jahren auf einem nahen Gehöft geboren worden war.) Diese seine Kinderlosigkeit mochte der Grund gewesen sein, welcher den Witwer seiner verstorbenen Schwester, damals selbst auf den Tod krank mit der Schwindsucht, bewogen hatte, Mr. Steele als den Vormund seiner geliebten Tochter Daphne einzusetzen. Im Sterben gab er dem Mädchen einen Gutteil seines nicht unbeträchtlichen Vermögens als Erbe mit.

So war vor knapp zwei Jahren die junge Daphne Lomax samt ihrem Mündelgeld unter die Verfügungsgewalt von Mr. Lawrence Steele gekommen.

Es muss betont werden, dass sie in Wistlinghurst sehr freundliche Aufnahme fand und geradezu wie eine wirkliche Tochter (so nannte es Mrs. Steele), im mindesten aber wie die Nichte behandelt wurde, die sie war. Die Ökonomie des Hauses beeinträchtigte dies nicht, da die Zinsen ihres künftigen Vermögens für weit mehr als ihren standesgemäßen Unterhalt hinreichten. Der Erbe des Geldes übrigens, sollte ihr etwas zustoßen, würde nicht Lawrence Steele sein, sondern jemand aus der Familie des verblichenen Vaters.

Daher vermerkten die Steeles mit Unbehagen, dass die junge Daphne sehr viel hustete. Über ihren Wangen lag bald eine fleckige Röte wie der Kuss des Todes, und in den seidenen Schnupftüchern, die man mit ihrem Geld in großer Zahl angeschafft, fand sich ein blutiger Auswurf, für den solch zarter, schlecht waschbarer Seidenstoff nicht gemacht war. Man gab ihr künftig leinene Tücher und hielt sie an, kräftig zu essen. Solange es ging, schickte man sie täglich reiten. (Mr. Steele, der sie gelegentiich dabei begleitete, opferte etwas von dem Mündelgeld und kaufte zwei neue, sehr passable Stuten zu diesem Zweck.) Als sie fur Ausritte zu schwach wurde, setzte man sie bei jedem Wetter dick verhüllt nach draußen, auf einen Liegestuhl aus ceylonesischem Hartholz, von welchem man eigens ein Set erstand (aus Daphnes Einkommen, versteht sich). Des Nachts schlief die Kranke weit weg im Westflügel, damit ihr Husten nicht so störte.

Nur ihre Kammerjungfer Betsy musste ihn weiter ertragen, die neuerdings bei der jungen Lady im Zimmer nächtigte, um ihr stets zur Seite stehen zu können. Die Jungfer kam kaum noch zum Schlafen. Übrigens roch der Auswurf der Kranken so streng, selbst wenn nicht noch Erbrochenes hinzukam, dass Betsy mehr als einmal vor Ekel fast mit in die Schüssel gespuckt hätte, die sie halten musste. Ihr Lohn aber war nicht höher als der jeder Zofe einer jungen Lady, wo nicht sogar eine Spur geringer. Von einer Erhöhung wollte Mrs. Steele nichts wissen. «Wir finden jederzeit Ersatz für dich, wenn du meinst, dass du bei uns zu wenig bekommst», so waren ihre Worte. Da hörte sich Betsy, die recht forsch war für ihre vierzehn Jahre, ein wenig um, und siehe da, es fand sich bald Ersatz für die Steeles in Form einer anderen Arbeitsstelle.

Just am Morgen, als sie kündigte, war in Wistlinghurst jener Brief eingetroffen, in welchem Mrs. Thomas Steele bat: Man möge Anne und Lucy für einige Monate aufnehmen.

«Es scheint, ein Besuch käme gar nicht so ungelegen», vermerkte Mr. Steele in Anspielung auf die desertierte Betsy, während er kurzsichtig vornübergebeugt ein Stück saures Nierchen auf seine Gabel spießte.

«Eine von beiden würde allerdings reichen», kommentierte seine Frau. «Doch deine Schwägerin scheint tatsächlich der Ansicht zu sein, wir müssten unbedingt ihre beiden Töchter auf einmal ertragen.»

«Lassen wir sie kommen», nuschelte ihr Mann mit vollem Mund, «wir tun ein gutes Werk.»

Und so waren Miss Lucy und Miss Anne Steele, als sie eingeschüchtert ihr Gepäck den weiten, geschwungenen Aufgang zum Herrenhaus hinaufschleppten, dort willkommener, als sie geglaubt haben mochten.

Die erste Verlobte

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