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Von Exeter aus ging die billige Eilkutsche nach London, auf einer ursprünglich einmal von den Römern angelegten Straße, die seit einigen Jahrzehnten dank der Mauthäuschen endlich wieder in einem so guten Zustand war wie damals, als hier noch Latein gesprochen wurde. Ein leichter Wagen schaffte sogar sechs Meilen die Stunde, quasi im Flug an jedem Posten vollzogene Pferdewechsel eingerechnet.

Die soeben losfahrende knallbunte Eilkutsche war zum Glück von robuster Bauweise, denn Reisende füllten den Innenraum zum Bersten, während andere aufgereiht wie die Vögel auf der Stange obendrauf und dahinter saßen. Lucy, innen gefangen, wurde angst, wie sie die Fahrt überstehen sollte, doch am Ende war es halb so schlimm. Es handelte sich um einen jener Wagen, die Fenster nach vorn besitzen. Sie erbat sich bei den Mitreisenden einen Platz in Fahrtrichtung und erhielt ihn auch. Weniger allerdings wegen ihres freizügig verströmten Charmes als deshalb, weil man auf Reisen und generell nicht angespien zu werden beliebt (wie es bei anderen Sitzverhältnissen, glaubte man dem jungen Ding, sehr zu befürchten gewesen wäre). Die Räder gingen viel ruhiger als von Totnes nach Teignmouth, weil die Straße besser in Stand war. Von Übelkeit verschont, nahm Lucy am Gespräch zwischen den Reisenden teil und stellte früher oder später fest, dass man sie für Annes Zofe hielt. Sie lachte fröhlich über das Missverständnis.

Spätabends am zweiten Tag, im Gasthof zu Woking, wo die Mädchen mit höllisch schmerzenden Rücken für die Nacht abstiegen, passierte dasselbe. Nun hatte aber Lucy einen merkwürdigen Ausdruck bei dem Gastwirt wahrgenommen, als sie ihn aufklärte: Nein, Anne sei nicht ihre Herrin, vielmehr seien sie Geschwister. Er glaubte ihr nicht, so viel war klar.

Beunruhigt davon, stieg sie später noch einmal hinab in die Gaststube und drängte sich zwischen bierdünstenden Männern hindurch bis zu dem Fass, an welchem der Wirt mit dem Ausschank beschäftigt war. «Sir», fragte sie ihn mit großen Augen und tiefem Knicks, «warum eigentlich denken Sie, dass ich die Zofe meiner Schwester bin?»

Der Wirt lachte, bis ihm das helle Bier über die Hand lief. Dann verstummte er und drehte den Hahn ab.

«Wie blöd bist du eigentlich? Dann pass einmal auf: Erstens, du bist viel jünger als deine so genannte Schwester, zweitens, ihr seht euch nicht die Spur ähnlich, drittens, dein Kleid ist noch unmöglicher als ihres, viertens, sie spricht halbwegs wie eine Lady, aber du sprichst, na, wie eben die Leute in Devonshire sprechen.»

«Eine Lady täte das also nicht?»

Der Wirt sowie zwei seiner Gäste, die den Austausch mit anhörten, schüttelten sich vor Lachen, wie es ja generell stets große Heiterkeit verursacht, wenn andere noch dümmer scheinen, als man es selber ist. «Weißt du, Kleine», sagte der Wirt schließlich und wischte sich die Augen, «du bist so blöd, dass dir der Hintern versohlt gehört, aber für deine schönen Augen will ich dir erklären, was außer dir jeder weiß. Natürlich würde eine Lady niemals so sprechen wie die einfachen Leute aus Devonshire. Ladys und Gentlemen haben ihr eigenes Englisch, und das ist überall dasselbe. Frag deine so genannte Schwester, die hat das begriffen.» –

«Weißt du, was ich denke?», warfeiner der beiden Zuhörer mit wichtig aufgeblasenem Gesicht ein. «In Wahrheit seid ihr nämlich beide keine Ladys.»

«Das furchte ich auch, Sir», sprach Lucy betrübt und fugte an, dass man ebendeshalb zu Tante und Onkel reise, um dort das Ladysein zu üben. Erneute Laute bierseliger Heiterkeit erklangen, und der Aufgeblasene prustete: «Regel Nummer eins, Mädel: Die einzigen Frauen, die mich Sir nennen, sind solche, die den Namen Lady als Letzte verdienen. Aber vielleicht gehörst du ja zu denen?», wobei er Lucy unter grölend-johlendem Beifall seiner Trinkkumpane ins Dekollete griff. Da schob sich der Wirt dazwischen, nahm Lucy am Arm und brachte sie bis auf die Treppe. «Was du vor allem lernen musst», riet er zur guten Nacht, «ist, nicht aufzufallen und besser auf dich aufzupassen. Bleib nur immer schön in der Nähe deiner großen Schwester!»

Diesen Rat beherzigte Lucy für den Rest der Reise penibel, welche übrigens nicht mehr lang währte, denn anderntags brachte die reguläre Post die Mädchen bis auf zwei Meilen an Wistlinghurst heran. Es regnete leise. Sie befanden sich auf der einzigen Straße eines hübschen Dorfes, welches in nebelverhangene grüne Hügel gebettet lag. Kein Mensch war zu sehen, doch in den Häusern umher rührte es sich hie und da hinter den Fenstern.

Lucy war mit einem Mal sehr verzagt. Noch niemals, dachte sie, habe sie sich irgendwo so fremd gefühlt wie hier, in nächster Nähe von ihres Vaters Geburtshaus, in seiner Heimat.

Die Mädchen überprüften ihre vom Vater verfertigte Wegbeschreibung, und dort stand sehr klar verzeichnet, welchen der saftig grünen Hügel man zum Stammsitz seiner Ahnen zu überqueren hatte.

Die erste Verlobte

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