Читать книгу Die erste Verlobte - Ruth Berger - Страница 7
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ОглавлениеEs ist eine häufige Erfahrung, dass etwas sehr lange Erwünschtes und Erhofftes, wenn es tatsächlich eintrifft, nichts so sicher mit sich bringt wie Enttäuschung. Doch Thomas Steeles Rückkehr auf den Landsitz seiner Väter nach fast zwei Jahren Abwesenheit brachte seiner jungen Frau zunächst alles Glück und alle Erleichterung ihrer Lage, die sie sich erträumt hatte. Er war zum Ersten Lieutenant seines Schiffes befördert worden. Dies erhöhte sein Einkommen nicht über die Maßen, aber doch so weit, dass er während der langen Passage von den Westindischen Inseln mit sich übereingekommen war: Er wollte seine kleine Familie für die Zukunft in Plymouth ansiedeln. Er hoffte, auf diesem Wege seine Frau bei seinen seltenen und allzu kurzen Landurlauben länger sehen zu können, indem er sich den Weg nach Surrey sparte. Da er sie allerdings nicht sehr komfortabel, ja nicht einmal standesgemäß würde unterbringen können, hatte er mit einigem Widerstand Charlottes gegen diese Pläne gerechnet. Er wusste also kaum, wie ihm geschah, als sie ohne weitere Umstände einwilligte. Voller Freude küsste sie den Lieutenant – denn die Szene spielte sich in ihrem Schlafgemach am Abend nach seiner Ankunft ab – und erklärte: Sie werde fur alle Unannehmlichkeiten der künftigen Wohnverhältnisse voll und ganz dadurch entschädigt werden, dass sie von nun an ihren geliebten Mann bei jeder Ankunft in Plymouth am Landungssteg begrüßen und ihm zu jedem Abschied hinterherwinken könne.
Und so geschah es in der Tat. Schon das nächste Mal, als sein Schiff, die «Hawk», in See stach, stand sie unter vielen Seemannsfrauen mit einem Taschentuch am Kai, Tränen in den Augen, denn sie wusste, es würden Jahre vergehen, bevor sie ihn wieder sah.
Seit nicht ganz einer Woche bewohnte sie zur Miete ein kleines, einfach möbliertes Haus nahe dem alten Hafen, mit ihrer eigenen Wäsche, die sie zur Aussteuer bekommen hatte, einem guten Porzellanservice, dies ein Geschenk Mrs. Lawrence Steeles, sowie einer einzigen Magd.
Zuletzt am Meer war Charlotte in ihrer Kindheit gewesen. Sie fand es nun, da sie es wieder sah, seltsam verändert vor, längst nicht so erhaben, wie sie es in Erinnerung behalten hatte, und wesentlich übelriechender. Die frische, südwestliche Brise, die ihr am Hafen um die Nase blies und die zumindest während der Flut dort für gute Luft sorgte, schaffte es nie bis zu ihrem Haus. Dicht gedrängt lebten die Menschen in ihrer Gegend der Stadt, nicht selten belegten vier oder fünf Matrosen ein Zimmer, und es hätte mehr als einer Brise, es hätte eines Orkans bedurft, um den miasmischen Gestank nach faulem Fisch und Exkrementen zu zerstreuen.
Auch sonst waren die Verhältnisse ganz andere, als Charlotte es vom Landleben her gewohnt war. Die Nachbarn schienen ihr vulgär und laut; tagein, tagaus hörte man ihr unwürdiges Streiten, Lachen und Fluchen durch die Wände. Die Magd war frech und liederlich, und obwohl sie anzupacken wusste, war der Haushalt mit so wenig Hilfe kaum zu bewältigen.
All dies schlug Charlotte nicht unerheblich auf die Gesundheit. Als sie eines Abends ihr eigenes blasses, verhärmtes Gesicht im Handspiegel sah, erkannte sie sich kaum wieder. Sie beschloss, zwei weitere Mädchen einzustellen und davon nichts ihrem Mann zu schreiben, da er wie ihr Vater einer übertriebenen Sparsamkeit anhing. Was aber, so fragte sich Charlotte, sollte es für einen Sinn ergeben, um ein paar läppischer Penny wegen auf die dringend benötigte Hilfe zu verzichten? Ihre Mitgift war noch nicht aufgezehrt, und in ein, zwei Jahren würde man gewiss das Gehalt eines Lieutenant-Commanders zur Verfügung haben.