Читать книгу Die erste Verlobte - Ruth Berger - Страница 18
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ОглавлениеDie Rede von sittsamen und manierlichen Damen mochte es gewesen sein, die Lucy auf eine ihr ganz und gar neue Idee brachte. Der Gedanke wurde beim Abspülen des Geschirrs, beim Sockenflicken im Kopf gedreht und gewendet, bis er vertraut und richtig erschien, worauf Lucy sich an den einzigen Tisch setzte, um außer der Reihe einen Brief an Mrs. Lawrence Steele zu verfassen.
Im Namen ihrer Mutter schrieb sie: Ihre Töchter hätten in Moreleigh fast keine Gelegenheit, in Gesellschaft zu gehen, was sie unsicher und ungeschickt in ihrem Auftreten gemacht habe. Beide Mädchen seien zwar freundlich und liebenswert von Charakter, doch Mrs. Steele, die so herausragend gewandt, talentiert und gebildet sei, wisse zweifellos, wie unerlässlich heute jene anderen, gesellschaftlichen Tugenden seien, an denen es Anne und Lucy, wegen des fehlenden guten Umgangs und da sie keine teure Erziehung genossen, nun mangele. Sie bitte Mrs. Steele deshalb, so außerordentlich freundlich zu sein, ihre beiden Töchter einmal, wenn sie nicht ohnehin das Haus voller Gäste habe und weder Platz noch Geduld für die Mädchen erübrigen könne, auf einen Besuch von einigen Wochen zu empfangen, in der Hoffnung, dass die beiden, am guten Beispiel Mrs. Steeles und ihrer Nichte (welche neuerdings als ihre Gesellschafterin bei ihr wohnte) geschult, etwas von dem Schliff erwerben könnten, den sie zu Hause wegen der schwierigen Umstände nicht hatten erhalten können. Sie würde diese große Bitte nicht aussprechen, wenn sie nicht fürchtete, dass ihre Töchter, die fur eine künftige Ehe nichts mitbrächten als ihre persönlichen Reize und Tugenden, die Ausbildung dieser auf die dringlichste Weise nötig hätten, um Not und Bedürftigkeit in der Zukunft abzuwenden.
«Oh, Lucy!», rief deren Mutter bestürzt, als sie den Brief las, den sie unterschreiben sollte. «Du schreckliches Mädchen! Unmöglich kann ich Nancy fur Wochen entbehren. Wirklich, du denkst an nichts als dein eigenes Vergnügen. Ihr beide wollt euch also in Wistlinghurst amüsieren und im Luxus schwelgen, eure kranken, alten Eltern aber lasst ihr allein in der Not zurück. Schäm dich fur solche Pläne!» Dieser Aufforderung kam ihre Tochter, erschrocken die Hände vors Gesicht schlagend, sogleich nach, denn sie hatte in der Tat übersehen, dass ihre Eltern das Vorhaben fur rücksichtslos halten mussten. «Liebe Mutter», sagte sie, als sie sich gefasst hatte, «wie konnte ich vergessen, dass Sie und mein Vater natürlich auch gerne auf Besuch nach Wistlinghurst fahren würden. Wenn es Ihnen recht ist, schreibe ich den Brief neu und bitte für uns alle!»
«Worum geht es?», fragte von seinem Diwan her der Vater, der von Wistlinghurst sprechen gehört und aufgemerkt hatte.
«Lies selbst, was deine Tochter nun wieder verbrochen hat», seufzte Mrs. Steele und hielt, da sie fur das Aufstehen zu so später Abendstunde, wenn sie ihr übliches Quantum Rum schon genossen hatte, zu lethargisch war, Lucy den Brief hin, die ihn folgsam dem Vater überbrachte. «Nun gut», kommentierte dieser, als er mit Lesen zu Ende war, «sie soll den Brief abschicken. Warum nicht, die Idee ist keine schlechte. Wenn wir zu viert auf Besuch fahren wollten, dann würden wir ja am Ende gar keine Einladung erhalten und allesamt hier bleiben müssen, weil meinen Bruder die Angst packte, er würde uns, einmal mit der ganzen Familie in Wistlinghurst angekommen, nicht mehr los. Nein, die Mädchen sollen zu zweit fahren oder eine von beiden allein.»
Mrs. Steele fugte sich dem Beschluss ihres Mannes ohne ein Wort, wiewohl sie im Stillen, je länger sie nachdachte, desto weniger Gutes daran finden mochte. Tatsächlich konnte sie unmöglich beide ihrer Töchter zugleich entbehren, und selbst, wenn man nur eine schickte, ging ihr der Sinn der Maßnahme nicht auf. Lucy wollte nicht einmal von den Eltern und der Schwester lernen, was sollte da die hartherzige Mrs. Lawrence Steele ausrichten. Die liebe Nancy aber konnte sich allen Schliff, den sie noch brauchte, von den jungen Ladys im Herrenhaus abschauen, mit denen sie nun so befreundet schien.
Auch Anne selbst war, aus anderen Gründen, durchaus nicht ganz einverstanden mit Lucys Idee, oder vielmehr, sie verstand nicht, was ihre Schwester damit bezwecke. «Soll ich etwa», flüsterte sie Lucy nachts ins Ohr, in dem Bett, in welchem die Schwestern gemeinsam mit der Mutter (und mehreren Wanzen) nächtigten und sich eines der beiden Kopfkissen teilten, «soll ich etwa als Mrs. Witherspoon nach Wistlinghurst reisen?» – «Vielleicht», flüsterte Lucy zurück.
«Ha! Wird das nicht schrecklich artig sein, wenn sie mich auf der Schwelle als Miss Anne Steele begrüßen und ich entgegne: Verzeihung, aber ich muss Sie verbessern: Mrs. Witherspoon!»
Nun war Anne befriedigt und hatte Anlass fur süße Träume.
Der fragliche Brief verließ früh am nächsten Morgen das Haus, zusammen mit einer kleinen Adresse an Witherspoon, worin Anne ihn zu einem heimlichen Treffen am folgenden Sonntagnachmittag bat, im griechischen Pavillon des Admirals, welcher nicht nur abseits gelegen und sehr beliebt bei jungen Paaren war, sondern auch Schutz vor dem seit dem Vorabend beständig in dicken Schnüren herabgehenden Regen versprach.