Читать книгу Die erste Verlobte - Ruth Berger - Страница 8
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ОглавлениеNach einer Redensart werfen große Ereignisse ihre Schatten voraus. Doch im Jahre 1773 hätte unter den Marineangehörigen in Plymouth kaum jemand geahnt, am Ende des Jahrzehnts werde das Land so ungeschützt vor einer Invasion liegen wie kaum jemals vorher in seiner Geschichte, entblößt von seiner Flotte, die fast vollkommen nach Übersee abkommandiert war – in einen Krieg Englands gegen den Rest der Welt.
Mrs. Thomas Steele hatte in den letzten Monaten bei Kaufleuten und Lieferanten verlauten lassen, sie werde erst zum Jahreswechsel ihre Rechnungen begleichen, wie es übrigens auf dem Lande, wo sie herstammte, ganz üblich war.
Sie hatte nie eingesehen, warum sie in Plymouth sofort, persönlich und an Ort und Stelle zahlen sollte. Zu Hause hatte auch stets ihr Vater allen Geldverkehr übernommen, kaum je, dass sie oder die Mutter einmal eine Münze in die Hände bekam.
Von London aus hatte man ihr im Frühsommer Nachricht gegeben, sie möge ihren Mann Anfang September zurückerwarten, ein Jahr früher als angenommen, obwohl sich die Lage in den Kolonien eher verschärft denn gebessert hatte. Mrs. Steele, die manch andere Frau eines kleinen Offiziers klagen hörte, der Mann sei seit drei, vier Jahren schon aus den Kolonien nicht heimgekehrt und man höre nichts von ihm, schätzte sich überglücklich und zählte am Kalender die Tage.
Doch Lieutenant Steele war bei übler Laune, als er in Plymouth eintraf. Schon am Landungssteg verspürte seine Frau dies, und als er mit ihr das Haus betrat, wurde es vollends offenbar. Ohne Unterlass klagte er in derben Worten über die Strapazen der Überfahrt; er mochte sich mit seiner kleinen Tochter nicht befassen, deren neu erlernte Künste seine Frau ihm vorzufuhren gedachte, und fluchte wie ein Kombüsenjunge, als er von der Existenz der neuen Mägde erfuhr. Mrs. Steele entließ sie fristlos und sagte sich im Stillen: Sie werde sie nach seiner Abreise wieder einstellen. Eine ganze Woche hoffte sie täglich, die Stimmung ihres Mannes möge sich heben, vergeblich. In der zweiten leistete sie ihm Gesellschaft in seiner Melancholie, denn es stellte sich nun heraus: Thomas Steele hatte eine offizielle Abmahnung in einer Disziplinarsache erhalten. Die eben erst erlangte Position des Ersten Lieutenants war ihm wieder genommen worden. Vorlaut hatte er es gewagt, einem Admiral in einer strategischen Frage zu widersprechen, und dies in Gegenwart mehrerer anderer hoher Offiziere. An sich wäre dies noch kein Grund für disziplinarische Maßnahmen gewesen, hatte er doch seine Meinung zumindest mit der gebotenen Höflichkeit und Unterwürfigkeit vorgebracht. Doch der Admiral litt an Stolz und an Gallensteinen und konnte das peinliche, unangemessene Vorpreschen des Ersten Lieutenants der «Hawk» umso schlechter vertragen, als dieser mit seiner Einschätzung am Ende Recht behielt.
Während die Flotte für den Winter in St. Kitts vor Anker lag, setzte er den ehrgeizigen Zweiten Lieutenant auf Thomas Steele an, in der Hoffnung, er möge ihn bei irgendeinem, und sei es noch so kleinen disziplinarischen Vergehen ertappen. Des Zweiten Lieutenants Fleiß und Eifer konnten nicht unbelohnt bleiben in einem schwülen karibischen Winter, in dem es für die Offiziere nichts weiter zu tun gab, als Karten zu spielen, das Hauptexportgut der Insel in seiner verflüssigten Form zu konsumieren und mit umherstreunenden Weibspersonen Bekanntschaft zu schließen. Zu guter Letzt wurde Lieutenant Steele für schuldig befunden, eine Vorschrift übertreten zu haben. Welche genau dies gewesen sei, darüber bewahrte er vor seiner Frau Schweigen und vermerkte mit Erleichterung, dass sie keine Einzelheiten zu wissen begehrte. Überhaupt sprach er von dem Geschehenen erst zu ihr, als ein Brief von höchster Stelle die Degradierung bestätigte und zugleich verkündete, er sei mit sofortiger Wirkung für sechs Monate vom Dienst suspendiert. Dass er für diese Zeit keine Entlohnung zu erwarten hatte, versteht sich von selbst.
Dies war freilich ein herber Rückschlag, den es zu verkraften galt.
Von der Mitgift waren, als am Ende des Jahres alle Gläubiger ihr Geld erhalten hatten, nur noch ein paar Shilling übrig. Um wenigstens eine kleine Einnahme zu haben, vermieteten die Steeles eine von zwei Schlafkammern im oberen Stockwerk und ihre Wohnstube an arbeitslose Marineangehörige der niedersten Ränge, deren rauer Umgangston und ungeschlachte Sitten Charlotte manches Leid bereiteten. Ungern sah sie es, wenn ihr Mann im Gespräch mit diesen Personen einen ganz ähnlichen Ton anschlug oder gar, wie es gelegentlich vorkam, mit ihnen trank. Doch viel Geld fur wärmende Getränke war ohnehin nicht vorhanden, genauso wenig wie fur Brennholz. Die frostigen Temperaturen der Wohnung, deren reduzierte Größe sowie nicht zuletzt die natürliche Zuneigung, die das Paar einst zusammengeführt hatte, brachten in den kalten Monaten die Eheleute Steele dazu, sich, sooft sie konnten, aneinander zu wärmen. Dies besaß den Vorzug, dass es nichts kostete.
Als Charlotte im Frühjahr ihren Mann zu neuem Glück ein neues Schiff besteigen sah und ihm mit einem großen, weißen Schnupftuch nachwinkte, da trug sie folglich mehr als nur die Hoffnung auf seine schnelle Rehabilitierung unter ihrem Busen.