Читать книгу Leitfaden der Rechtsgeschichte - Sibylle Hofer - Страница 23
2.2.3.Gerichtswesen 2.2.3.1.Ordentliche Gerichte Zivilgerichtsbarkeit
Оглавление53. Verfahren vor dem Prätor
Die Gerichtsorganisation stand in enger Verbindung mit der Gestalt der Gerichtsverfahren. Der Zivilprozess war zur Zeit der Republik (s. Rn. 22) in zwei Phasen unterteilt. Für die erste Phase waren die Prätoren zuständig. Dabei handelte es sich um hohe Beamte, die im Rang unmittelbar hinter den Konsuln standen. Neben militärischen und politischen Verpflichtungen hatten sie auch Aufgaben im Bereich der Rechtspflege. Bei Zivilprozessen kam ihnen die „iuris dictio“ (wörtlich: das Aussprechen von Recht) zu. Darunter ist nicht „Rechtsprechung“ im Sinn von Urteilsfällung zu verstehen. Die Prätoren trafen nur Vorentscheidungen, denen allerdings zentrale Bedeutung zukam. Sie prüften, ob die Voraussetzungen für einen Prozess gegeben waren. Dazu gehörte vor allem die Abklärung, ob für das Vorbringen des Klägers eine geeignete Formel bestand, d. h. ob ein anerkannter Anspruch geltend gemacht wurde (s. Rn. 34). In diesem Verfahrensstadium wurden die Sachverhaltsangaben des Klägers als zutreffend unterstellt.
Mit steigender Arbeitslast wurde die Zahl der Prätoren vergrößert und deren Aufgabe differenziert. Der Stadtprätor erhielt die Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen römischen Bürgern, der Fremdenprätor für Verfahren, an denen Fremde beteiligt waren. Daneben wurden einzelne Rechtsprechungsbefugnisse auf andere Magistrate ausgelagert. Das betraf etwa die sog. Ädile, zu deren Aufgaben die Marktaufsicht gehörte. Diese Zuständigkeit wurde auf die Beurteilung von Streitigkeiten ausgehnt, die mit dem Marktgeschehen im Zusammenhang standen (z. B. Klagen wegen Mängeln gekaufter Sachen). In den Provinzen lag die Gerichtsbarkeit bei den Statthaltern. Alle Magistrate, die Aufgaben im Bereich der Rechtsprechung wahrnahmen, erließen eigene Edikte.
54. Verfahren vor Gerichten
Kam der Prätor zu dem Ergebnis, dass der geltend gemachte Anspruch einklagbar sei, ging der Prozess in eine zweite Phase. In dieser wurde geprüft, ob die Sachverhaltsdarstellung des Klägers tatsächlich der Wahrheit entsprach und somit die Voraussetzungen für den Anspruch gegeben waren. Das Thema für die Prüfung und damit für Beweiserhebungen gab die Formel des Prätors vor:
Gaius, Institutionen, 4, 47 (Prozessformel aus dem Edikt des Prätors): Si paret Aulum Agerium apud Numerium Negidium mensam argenteam deposuisse eamque dolo malo Numerii Negidii Aulo Agerio redditam non esse, quanti ea res erit, tantam pecuniam, iudex, Numerium Negidium Auolo Agerio condemnato; si non paret, absolvito, (…).
Wenn es sich erweist, dass Aulus Agerius [Blankett für den Kläger] bei Numerius Negidius [Blankett für den Beklagten] einen silbernen Tisch in Verwahrung gegeben hat und dieser Tisch aufgrund von Arglist des Beklagten dem Kläger nicht zurückgegeben worden ist, dann sollst du, Richter, den Beklagten dazu verurteilen, dem Kläger so viel Geld zu zahlen, wie die Sache wert ist. Wenn es sich nicht erweist, sollst du ihn freisprechen.
Nach der Sachverhaltsermittlung wurde das Urteil gefällt. Zuständig dafür waren Gerichte. Diese setzten sich aus Privatpersonen zusammen, die für den jeweiligen Prozess aus einer Richterliste zusammengestellt wurden.
Bei Zivilprozessen urteilte in der Regel ein Einzelrichter, der vom Prätor bestimmt wurde. In Fällen von besonderem Interesse waren bis zu elf oder sogar über 100 Personen als Richter beteiligt. Letzteres war etwa der Fall bei der Anfechtung von Testamenten wegen Pflichtwidrigkeit (s. Rn. 52).