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3.1.2.Rechtsetzungen 3.1.2.1.Leges (Stammesrechte)

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67. Aufzeichnungen des Rechts

Zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert kam es bei einzelnen germanischen Völkerschaften zu einer schriftlichen Fixierung ihres jeweiligen Rechts (z. B. bei den Westgoten, Burgundern, Franken, Langobarden, Alemannen, Bayern, Thüringern, Friesen, Sachsen, s. Rn. 83). Die Regeln, die dabei formuliert wurden, waren weitgehend nicht neu, sondern hatten schon zuvor das Leben der jeweiligen Völkerschaft geprägt. Punktuell wurde der Akt der Aufzeichnung allerdings zu Rechtsfortbildungen genutzt:

Edictum Rothari (Edikt des langobardischen Königs Rothar, 643), Prolog: Ob hoc considerantes dei omnipotentis gratiam, necessarium esse prospeximus presentem corregere legem, quae priores omnes renovet et emendet, et quod deest adiciat, et quod superfluum est abscidat.

So schien es Uns denn geboten, im Vertrauen auf des allmächtigen Gottes Gnade das vorliegende verbesserte Gesetzbuch zu erlassen, das alle früheren Gesetze neu fasst und berichtigt, Lücken ausfüllt und das, was überflüssig ist, abstößt.

Als Initiator der Aufzeichnung benennen die Prologe meist den König des jeweiligen Stammes. Zudem erwähnen sie regelmäßig eine Zustimmung hochstehender Persönlichkeiten oder des gesamten Volkes. Gesicherte Kenntnisse über den Akt der Rechtsetzung fehlen allerdings. Im Hintergrund stand die Begegnung mit dem spätrömischen Vulgarrecht (s. Rn. 26) in den neuen Siedlungsgebieten (s. Rn. 63). Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Texte in lateinischer Sprache verfasst wurden. In inhaltlicher Hinsicht führte die Kenntnis des römischen Rechts jedoch höchstens punktuell zu Veränderungen bei den Rechtsgewohnheiten der germanischen Völkerschaften.

Die Rechtsaufzeichnungen verfolgten nicht das Ziel, das Recht der jeweiligen Völkerschaft umfassend darzustellen. Vielmehr wurden nur einzelne Aspekte angesprochen. Dazu gehörten meist die Themenbereiche Ehe, Erbe und Grundeigentum. Im Zentrum standen Bestimmungen, die Straftaten betrafen (s. Rn. 79 ff.).

Begriffliches: Für die Rechtsaufzeichnungen der germanischen Völkerschaften werden in der Literatur verschiedene Oberbegriffe verwendet, die teilweise eng mit bestimmten Geschichtsbildern verbunden sind. So lag der Bezeichnung als Leges barbarorum (Gesetze der Barbaren) die Vorstellung von den germanischen Völkerschaften als Zerstörern des Römischen Reichs zugrunde. Der Ausdruck Volksrechte stammt aus dem 19. Jahrhundert. Er war damals mit den Gedanken verbunden, dass Recht aus der Volksüberzeugung erwachse (s. Rn. 303) und dass die Rechtsaufzeichnungen der germanischen Völkerschaften eine Erkenntnisquelle für das Recht des deutschen Volkes bildeten. Die Bezeichnung Germanenrechte wurde vor allem von nationalsozialistischen Rechtswissenschaftlern verwendet. Diese zogen Verbindungslinien zwischen den Rechten germanischer Völkerschaften und der nationalsozialistischen Rechtsgestaltung (s. Rn. 404).

In Abgrenzung zu solchen problematischen Geschichtsbildern werden in der modernen Literatur überwiegend die Begriffe „Stammesrechte“ oder „Leges“ verwendet. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass beide Ausdrücke nicht ganz präzise sind: Bei der Verwendung von Leges (Gesetze) ist zu beachten, dass es sich nicht um eine Gesetzgebung im heutigen Sinn handelt, sondern weitgehend um Rechtsaufzeichnungen. Stammesrechte ist insofern ungenau, als die einzelnen Völkerschaften keine ethnischen Einheiten darstellten.

Leitfaden der Rechtsgeschichte

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