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Warum überhaupt kochen?

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Dass wir essen müssen, um zu überleben, wissen wir alle. Und dass es ein Privileg ist, genug Essen zur Verfügung zu haben, um täglich satt zu werden, denn noch heute leidet jeder neunte Mensch auf der Welt an Hunger. Die Gründe für die weltweite ungerechte Verteilung von Lebensmitteln sind komplex, doch sollten wir uns in westlichen Ländern klar darüber sein, dass unser verschwenderischer Konsum nur gewährleistet werden kann, weil die Natur, Tiere und oft genug Menschen dafür ausgebeutet werden. Das hört niemand gerne und zudem sind wir als Einzelpersonen nicht in der Lage, die oft durch postkoloniale Kapitalismusformen geprägten Handelsstrukturen zu überwinden. Dennoch müssen wir uns meines Erachtens einer gewissen Grundverantwortung stellen. Und zwar indem wir uns bewusst sind, dass unsere Kaufentscheidungen politisch sind, und indem wir dem, was uns zur Verfügung steht, wertschätzend begegnen. Dazu gehören die Themen Lebensmittelverschwendung, fairer Handel und ökologische, regenerative Landwirtschaft, auf die ich im Kapitel 3 (Seite 40) noch genauer eingehen werde. Worauf ich hinaus will:

Aus frischen, gesunden Zutaten leckere Speisen zubereiten zu können, ist ein Privileg und keine Strafe.

Gerne wird es in unserer beschleunigten, optimierten Welt aber so dargestellt, als wäre es umgekehrt, und das macht mich richtig wütend. Wenn man sich genauer anschaut, woher diese Erzählweise kommt, stellt man nur allzu oft fest, dass sich dahinter die Werbebotschaften von Lebensmittelfirmen verstecken, die uns Fertig- und Halbfertigprodukte andrehen wollen.

Als ich meine Follower*innen vor Beginn der Arbeit an diesem Buch fragte, ob sie gerne mehr kochen würden und wenn ja, was sie davon abhält, war die eindeutige Antwort auf die erste Frage „Ja“ und die häufigste Antwort auf die zweite „Ich habe keine Zeit“. Nun kann man fragen, was zuerst war: Unsere moderne Leistungsgesellschaft oder die Produzent*innen von Fertiggerichten? Natürlich hat sich beides gleichzeitig entwickelt und befruchtet und viele Menschen befinden sich in einem Hamsterrad aus Arbeit, Fertigessen und Feierabendkonsum. Mit Feierabendkonsum meine ich einerseits den Erwerb von Konsumgütern, die wir häufig dafür nutzen, um emotionale Lücken zu füllen, sei es Kleidung oder andere Lifestyle- Accessoires, Unterhaltungselektronik oder passive Berieselung mit Streaming-Programmen, Computerspielen oder sozialen Netzwerken. Ich sage extra „wir“, denn ich bin natürlich ebenfalls nicht frei von diesen oft unerkannten Zwängen, und wir alle sind von diesen Wirtschaftszweigen so sehr sozialisiert und indoktriniert, dass wir uns dem kaum entziehen können. Auch ich nutze Streaming-Dienste und habe bekannterweise Social-Media-Profile und finde beides nicht per se schlecht. Doch um das „Ich habe keine Zeit“-Argument zu dekonstruieren, muss ich genau an dieser Stelle ansetzen. Es gibt Komponenten dieses Problems, die ich nicht lösen kann: Wenn es nach mir ginge, sollten alle Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten und viel weniger arbeiten müssen, denn erwiesenermaßen bedeuten viele Arbeitsstunden nicht gleichzeitig hohe Produktivität. Davon abgesehen finde ich es sowieso schrecklich, Menschen nach ihrer Produktivität zu beurteilen und endloses Wachstum als einziges Wirtschaftsziel zu sehen. Für solche Veränderungen kann ich mich als Aktivistin einsetzen, aber ich kann mit diesem Buch die Welt nicht ändern. Ich kann jedoch versuchen, dir Denkanstöße zu geben, und dabei helfen, die eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen.

Ich kenne deine Arbeitssituation nicht und weiß nicht, wie viele Stunden du täglich dafür aufbringst. Außerdem weiß ich nicht, ob es dir möglich wäre, im Rahmen deiner Qualifikationen einen angenehmeren Job zu finden oder weniger zu arbeiten und trotzdem genug zum Leben zu haben. Darauf habe ich natürlich keinen Einfluss. Doch ich kann dich fragen, was du in deiner übrigen Zeit nach Feierabend machst, wenn du das Gefühl hast, keine Zeit zum Selbst-Kochen zu haben. Und dann würde ich noch fragen:

Warum nimmst du dir für diese Beschäftigung Zeit, nicht aber fürs Kochen?

Kann es sein, dass Kochen für dich einfach einen niedrigeren Stellenwert hat als andere Tätigkeiten?

Und wenn ja, warum glaubst du, ist das so?

War das schon immer so oder was hat dazu geführt, dass es sich so anfühlt?

Hast du das selbst so entschieden oder ist dieses Gefühl von außen beeinflusst?

Wäre es nicht schön, das zu ändern?

Denn inwieweit ist es erlerntes Verhalten, zu glauben, dass Zeit mit Serien-Glotzen und Auf-Instagram-Abhängen wichtiger wäre, als sich selbst eine leckere Mahlzeit zuzubereiten? Wahrscheinlich ein ganzes Stück, oder? Vor allem in einer Welt, in der jeder Supermarkt vollgestopft ist mit Gerichten, die man nur noch in den Ofen schmeißen, in die Mikrowelle stellen oder mit heißem Wasser übergießen muss. Oder in der ein Fahrradbote einem bei Wind und Wetter den Burger vom Lieblingsrestaurant bis zur Haustür bringt. Keine Angst, das wird jetzt kein Gastronomie-Bashing, zumal ich selbst in dieser Industrie arbeite und Take-away in Zeiten einer Pandemie oft das einzige Überlebensmodell für diese Industrie ist. Auch ich nehme solche Angebote ab und zu in Anspruch, aber eben eher als Ausnahme und nicht als täglichen Standard.

Bevor ich dich mit weiteren Argumenten für mehr Koch-Zeit euphorisiere, möchte ich noch auf eine weitere Aussage eingehen, die ich in dem Zusammenhang auch oft gehört habe: „Es ist mir zu anstrengend, selbst zu kochen.“ Hier muss ich dringend einhaken, denn wenn du dich jetzt ertappt fühlst, befindest du dich genau in dem Teufelskreis, aus dem ich dich mit diesem Buch befreien möchte:

Wer regelmäßig kocht und so einen intuitiven, entspannten Umgang mit Lebensmitteln entwickelt, wird diesen nicht mehr als ermüdend und anstrengend empfinden. Im Gegenteil, du wirst mühelos in 10 bis 15 Minuten ein leckeres Abendessen aus dem kochen, was da ist, und es wird dir am Ende super damit gehen. Nur wer Zeit in seine Kochroutine investiert, kann am Ende Zeit sparen. Je geübter du wirst, desto schneller wirst du kochen.

Das ist die gute Nachricht. Aber diesen Flow kannst du nur entwickeln, wenn du dem Kochen einen höheren Stellenwert im Alltag einräumst. Das musst du selbst wollen, beim Rest bin ich dir dann gerne behilflich.

Ein weiteres Argument gegen das Selbst-Kochen, das häufig genannt wurde, war: „Es lohnt sich doch nicht, für mich alleine zu kochen!“

Warum glaubst du das? Liegt es möglicherweise daran, weil du dir unsicher bist, wenn du kleine Portionen zubereitest, oder weil du dir selbst nicht genügend Wertschätzung entgegenbringst?

Wenn du dir bei der Antwort unsicher bist, auch hier die gute Nachricht: Beides kann man üben! Und auch das weiß ich aus eigener Erfahrung. Vor zehn Jahren, als ich beschloss, beruflich zu kochen, hatte ich gerade eine schmerzhafte Trennung hinter mir. Ich exerzierte alle allgemeinhin bekannten Bewältigungsmechanismen: Ausgehen mit Freundinnen, Rausch und Exzess, sexuelle Eskapaden mit schönen Söhnen anderer Mütter etc. Aber das erste Mal, seit ich Trennungen erlebte (und ich blicke auf eine ziemlich umfangreiche Liebeskummer-Agenda zurück), versuchte ich mich auch in Selbstliebe. Ich machte Yoga, ging ins Fitnessstudio und fing an, für mich ganz alleine wunderbare Mahlzeiten zuzubereiten. Auf dem Balkon meiner kleinen Einzimmerwohnung deckte ich mir einen prächtigen Frühstückstisch mit knusprigen Brötchen, frischen Früchten, selbst gemachtem Aufstrich und einer großen Tasse Kaffee mit viel (Hafer-)Milchschaum. Ich lauschte den Spatzen, blinzelte in die Morgensonne und genoss es, einfach nur mit mir selbst gut zu speisen. Ich kochte mir aufwendige Pasta-Gerichte und bereitete mir Desserts zu, ich verwöhnte mich nach Strich und Faden, weil ich das erste Mal verstanden hatte, wie wichtig es ist, sich selbst genug Aufmerksamkeit und Fürsorge zu schenken, und dass Essen ein wichtiger Teil davon ist.

Das „Für dich alleine“-Kochen mag am Anfang nicht leicht sein, wenn du es nicht gewohnt bist, aber es ist nie zu spät damit anzufangen.

Zu guter Letzt bekam ich außerdem noch häufig diese Rückmeldung: „Bei uns hat jede / r in der Familie einen anderen Geschmack und ich kann nicht vier verschiedene Mahlzeiten zubereiten.“

Das Einzige, was ich dazu sagen kann, stammt aus meinem eigenen Erfahrungsschatz. Ich habe keine Kinder, war aber selbst mal eine sehr heikle kleine Sophia. Manchmal wurde darauf Rücksicht genommen oder ich bekam zu bestimmten Anlässen meine Lieblingsgerichte, doch meistens entschied mein intuitiv kochender Vater, was auf den Tisch kam, und so verspeiste ich es teils begeisterter, teils widerwilliger. Diese Erfahrung hat mich nicht traumatisiert oder in anderer Weise beeinträchtigt, und ich würde ich es auch so halten wie mein Vater, müsste ich eine Familie ernähren.

Die kleine Hoffmann

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