Читать книгу Manipulierte Gene – Verdrehte Wahrheit - Steven M. Druker - Страница 30
Die Übertreibung wird zur Gewohnheit
ОглавлениеDie Fürsprecher nutzten die ihnen von den NRC-Funktionären gebotene Chance weidlich aus. Dabei stellten sie den Bericht nicht nur inhaltlich falsch dar, indem sie seine Warnungen ignorierten und nur die beigefügten positiven Behauptungen zitierten; sie behaupteten auch, diese Behauptungen bezögen sich auf GVOs allgemein – womit sie auch ihren Umfang falsch wiedergaben. In dem Bericht ging es ausschließlich um Feldversuche mit GV-Nutzpflanzen und Mikroorganismen auf dem US-amerikanischen Festland. Damit galt er nicht einmal für Feldversuche auf Hawaii und Puerto Rico, geschweige denn für eine kommerzielle Freisetzung großen Stils innerhalb der USA oder in anderen Ländern. Überdies konzentrierte sich der Bericht allein auf die Umweltauswirkungen; die Frage der Lebensmittelsicherheit berührte er nicht; sie ist ein eigenständiges Thema und hängt damit nicht zusammen, denn eine Pflanze kann umweltverträglich sein und für die menschliche Gesundheit dennoch verheerende Folgen haben. Wie Regal betont, enthielt der Bericht „keinerlei wissenschaftliche Daten oder wissenschaftliche Theorie für irgendeine Folgerung über seine engen Grenzen hinaus“. Selbst wenn es also legitim gewesen wäre, die beruhigenden allgemeinen Aussagen des Berichts aus dem Kontext zu reißen, der sie einschränkte, und sie für bare Münze zu nehmen, war es nicht legitim, sie über den einzelnen Themenkomplex hinaus, auf den der Bericht offiziell einging, zu beziehen.
Genau wie die meisten Biotech-Förderer die Bedeutung der dürftigen Diskussionen bei den Konferenzen von Bethesda, Falmouth und Ascot (und auch die dürftigen Ergebnisse der Studie von Rowe und Martin) hochgespielt hatten, so präsentierten sie diese allgemeinen Aussagen dennoch als verbindliche Schlussfolgerungen, die sich auf all die verschiedenen Facetten der Biotechnologie bezögen, darunter auch die Lebensmittelsicherheit. Häufig zitierten sie sie als wissenschaftliche Absicherung für die großzügige US-amerikanische Regulierungspolitik auf diesen Gebieten. Ebenso legten sie die Verwendbarkeit des vorherigen NAS-Berichts großzügig weit über seinen rechtmäßigen Rahmen hinaus aus und gaben dabei vor, er behandle GVOs allgemein, obwohl er sich als eine technische Frage genauso eng fokussierte, wie der darauf folgende Bericht. Wie die amerikanischen Medien die Übertreibungen über die Konferenzen von Bethesda, Falmouth und Ascot sowie die in der Rowe-Martin-Studie unkritisch in Umlauf gesetzt hatten, so neigten sie nun dazu, die falschen Behauptungen über die NAS-Berichte vorbehaltlos zu akzeptieren und zu verbreiten, wenngleich selbst ein rasches und flüchtiges Lesen der Dokumente an sich deren engen Rahmen hätte offenbaren können – insbesondere weil die engen Grenzen schon früh ausdrücklich genannt waren.
Regal erinnert sich an etliche Situationen, in denen Wissenschaftler, die einen der Berichte falsch wiedergaben, das mit dramatischen und schwungvollen Bewegungen taten (etwa indem sie mit dem Dokument wedelten, während sie sprachen), um überzeugender zu sein. Zu einer der amüsantesten Situationen kam es bei einem Treffen einer Arbeitsgruppe, die beratschlagte, ob der Staat Minnesota Vorschriften erlassen müsse. Er erzählt: „Ein Molekularbiologe brachte einen Stapel Berichte von 1989 mit, ließ sie feierlich herumgehen und behauptete beharrlich, die Experten seien zu dem Schluss gekommen, alles sei sicher. Als ich ihn fragte, ob er den Bericht tatsächlich gelesen habe, wurde er wütend und sagte: „Nein“, aber er und seine Kollegen aus der Molekularbiologie wüssten sehr genau, was darin stehe. In diesem Fall funktionierten seine Autoritätsspielchen und seine Theatralik nicht, weil genügend Leute in unserer Arbeitsgruppe mit dem Inhalt des Berichts vertraut waren, aber wie viele Amerikaner würden diesen Bericht lesen und vermeiden, ihm auf den Leim zu gehen?“ (44) Wie sich herausstellte, nicht sehr viele.
Wegen der wissenschaftlichen Qualifikationen derer, die die Übertreibungen äußerten, ihrer Beharrlichkeit dabei und die vorbehaltlosen Wiederholungen dieser Behauptungen durch führende Institutionen und die Medien setzten sich die beabsichtigten Illusionen in den USA weithin durch. Außerdem halten sie sich sehr hartnäckig. So hartnäckig, dass der Environmental Media Service, der eine vorsichtige Herangehensweise bevorzugte und sich bemühte, aus dem Werberummel auszubrechen, sich so dauerhaft in die Irre führen ließ, dass er in dem von ihm 2000 herausgegebenen Medienführer den Bericht von 1989 darstellte, als sei der zu dem Schluss gekommen, es gebe „keinen Grund“, GVOs irgendwie anders zu behandeln als konventionelle Organismen – selbst was die Lebensmittelsicherheit anbelangt. (45)
Im Ausland waren die Illusionen jedoch schwerer zu verbreiten. Die respektvolle Haltung der amerikanischen Medien gegenüber den Biotech-Befürwortern fand in Europa keinen Anklang; und die Versuche, die die NAS-Berichte als wissenschaftliche Schlussfolgerungen über die allgemeine Sicherheit von GVOs auszugeben, scheiterten, weil Journalisten und Politikexperten auf diesem Kontinent die Werbebehauptungen regelmäßig mit den tatsächlichen Dokumenten verglichen. Regal erinnert sich, wie erfrischend es war, wenn Journalisten auf ihn zukamen, die die Berichte tatsächlich gelesen hatten, im Gegensatz zu seiner Erfahrung mit deren amerikanischen Kollegen. Und er stellt fest, dass bei diesen wachen Europäern die auffallende Diskrepanz zwischen dem konkreten Text und den aufgeblasenen Behauptungen „Ärger und Misstrauen“ hervorrief.
Die Tatsache, dass europäische Journalisten von ihrer Kritikfähigkeit Gebrauch machten, indem sie die Originaldokumente lasen (obwohl diese in einer Fremdsprache verfasst waren), während die meisten amerikanischen Journalisten das nicht taten (obwohl sie das leicht hätten tun können), ist bezeichnend für die grundlegend unterschiedliche Herangehensweise beider an die Biotechnologie – was die deutlichen Unterschiede in Bewusstsein und Einstellung der Öffentlichkeit in diesen beiden Regionen der Welt großenteils erklären mag.