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4.Durchführung des Öffnungstermins, § 14 Abs. 2

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17a) Zeitpunkt der Durchführung. Vor der Vergaberechtsreform bildete der Eröffnungstermin zugleich die Frist für die Einreichung der Angebote.19 Bis zum Abhalten des Öffnungstermins konnten noch Angebote eingereicht werden. Nach der Vergaberechtsreform (seit dem 18.4.2016) legt der Auftraggeber zwei Fristen fest: Zum einen die Angebotsabgabefrist und zum anderen den (Er-)Öffnungstermin. Der Öffnungstermin hat folglich insoweit an Bedeutung verloren, als dass er nunmehr nicht für die Zulässigkeit der Angebote im Sinne von § 10 Abs. 2 VOB/A a. F. oder für den Beginn der Zuschlagsfrist nach § 10 Abs. 3 VOB/A a. F. maßgebend ist.20 Ausgehend hiervon kann ein Eröffnungstermin auch noch verschoben werden bzw. zu einem späteren Zeitpunkt als in den Unterlagen bzw. der Bekanntmachung angegeben abgehalten werden.

18Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 hat der Öffnungstermin unverzüglich nach Ablauf der Angebotsfrist zu erfolgen. Dabei bedeutet unverzüglich „ohne schuldhaftes Zögern“, § 121 Abs. 1 BGB. Hiernach kommt es auf die Größe, die Organisationsstruktur und die internen Regeln der Vergabestelle an. Eine Frist für die Öffnung ca. 1 Stunde nach Angebotsabgabefrist ist in der Praxis geläufig und wohl nicht zu beanstanden, da diese Zeitdauer für den betrieblichen Ablauf zur Vorbereitung eines Öffnungstermins benötigt wird (z. B. für die Zusammenkunft des Verhandlungsleiters und seines Stellvertreters, für die Sichtung aller denkbaren Eingangsstellen für die Angebote etc.).

19b) Ablauf des Öffnungstermins. Der Ablauf eines Eröffnungstermins hat in einer durch § 14 Abs. 2 vorgegebenen Struktur zu erfolgen, da diese insbesondere eine Kontroll- und Beweisfunktion hinsichtlich der Frist- und Formgerechtigkeit, der Unversehrtheit und der Kennzeichnung erfüllt. Der Verhandlungsleiter stellt zunächst fest, ob die elektronischen Angebote ordnungsgemäß verschlüsselt sind. Sodann werden die Angebote geöffnet und gekennzeichnet.

20Der Verhandlungsleiter ist in der Regel ein Bediensteter der ausschreibenden Stelle. Um eine Unabhängigkeit zu wahren, soll dieser selbst mit der Vergabe nicht befasst und weder an der Bearbeitung der Vergabeunterlagen, noch an der Vergabe- oder der Vertragsabwicklung beteiligt sein.21 Eine gesetzliche Verankerung hat diese Vorgabe jedoch nicht. Zudem ist zwar nicht (mehr) vorgeschrieben, dass mindestens zwei Vertreter des Auftraggebers gemeinsam die Öffnung der Angebote durchzuführen haben. Dies bietet sich dennoch aus Beweiszwecken an.22

21c) Feststellen der Verschlüsselung, § 14 Abs. 2 Nr. 1. Der Verhandlungsleiter stellt gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 fest, ob die elektronischen Angebote verschlüsselt sind. Dies gilt selbstverständlich auch für die Feststellung, dass diese nicht zwischenzeitlich entschlüsselt wurden.23 Sinn und Zweck der Vorschrift ist, sowohl im Interesse der Bieter als auch im Interesse des öffentlichen Auftraggebers die Dokumentation, ob die Verwahrungspflichten des Auftraggebers eingehalten worden sind und ob die Kennzeichnung der Angebote wie vorgesehen vorgelegen hat.

22Wie eine Verschlüsselung des Angebotes durch den Bieter zu erfolgen hat, wird im Vorfeld durch die Vergabestelle festgelegt. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 hat der öffentliche Auftraggeber die Wahl, ob elektronische Angebote entweder in Textform oder mit einer entsprechenden Signatur (fortgeschrittene oder qualifizierte) nach dem SigG abgegeben werden sollen.24 An die einst kommunizierte Art und Weise der Verschlüsselung ist die Vergabestelle gebunden und kann aus missverständlichen oder widersprüchlichen Angaben keine negativen Konsequenzen für den Bieter herleiten (und sein Angebot z. B. ausschließen).

23Sofern die Prüfung negativ ist und das Angebot nicht ordnungsgemäß verschlüsselt ist, wird dies vom Verhandlungsleiter festgestellt und bekannt gegeben. Dies ist zudem in der Niederschrift unter Angabe von Gründen festzuhalten.25 Hierbei ist zu beachten, dass der Öffnungstermin selbst keine Wertung der Angebote darstellt, sodass dem Verhandlungsleiter nicht zugestanden ist, die Angebote bereits im Öffnungstermin auszuschließen oder irgendeine Aussage hinsichtlich ihrer Behandlung zu treffen.26 In der Konsequenz werden aber nicht (ordnungsgemäß) verschlüsselte oder verschlossene Angebote im Rahmen des Wertungsprozesses zwingend nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 2 ausgeschlossen.

24Problematisch wird die Situation dann, wenn ein Angebot versehentlich vor dem Öffnungstermin geöffnet wird. Hierzu kann es insbesondere dann kommen, wenn ein Bieter – entgegen den Angaben des öffentlichen Auftraggebers – das Angebot nicht entsprechend gekennzeichnet hatte. Bei schriftlich zugelassenen Angeboten betrifft es die entsprechende Kennzeichnung des Umschlages. Ein nicht gekennzeichneter Umschlag kann, z. B. in der Posteingangsstelle des öffentlichen Auftraggebers oder die seiner Kontaktstelle, wie die übrige Post geöffnet werden, wenn eine Kennzeichnung fehlt oder übersehen wird. Bei der Zulassung elektronischer Angebote, welche nicht über eine eVergabe-Plattform eingereicht werden, sondern beispielsweise per E-Mail, kann dies ebenfalls passieren, wenn z. B. die (nicht zuständige) Geschäftsstelle des Auftraggebers oder seiner Kontaktstelle angeschrieben wird, ohne einen entsprechenden Betreff in der E-Mail. Wie mit einer solchen Situation umzugehen ist, ist nicht abschließend geklärt. Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass das Angebot bei unverzüglichem Verschließen bzw. Verschlüsselung nach versehentlicher Öffnung wertbar bleibt, oder aber zumindest kein Grund zur Aufhebung der Ausschreibung vorliegt.27 Diese Auffassung betont jedoch zugleich, dass ein Angebot zur Vermeidung von Manipulationen (insbesondere der Verletzung des Wettbewerbsgrundsatzes) auszuschließen bzw. das Vergabeverfahren sogar aufzuheben ist, wenn hinreichende, vom Auftraggeber zu beweisende Anhaltspunkte vorliegen, dass Manipulationsmöglichkeiten gegeben waren. Denn die Durchführung der Vergabe auf der Grundlage der Wertung von Angeboten, für die nach Ablauf der Angebotsfrist Manipulationen nicht ausgeschlossen werden können, ist mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Auftragsvergabe nicht zu vereinbaren.28 Auch ein unzureichender Vermerk über den rechtzeitigen Eingang eines Angebots sowie die unterlassene Kennzeichnung wesentlicher Bestandteile der eingegangenen Angebote bei der Angebotseröffnung hat zur Folge, dass nicht gewährleistet ist, dass die bei der Prüfung und Wertung der Angebote zugrunde liegenden Unterlagen tatsächlich alle rechtzeitig und mit dem bei der Prüfung festgestellten Inhalt vorgelegen haben. Dieser letzteren Auffassung ist zuzustimmen. Hat sich der formale Mangel faktisch nicht ausgewirkt, da der Teilnahmeantrag entsprechend bei der Kontaktstelle als solcher erkannt wurde und deren Öffnung erst im Eröffnungstermin nach Ablauf der Teilnahmefrist erfolgte, wird der Grundsatz des Geheimwettbewerbs nicht tangiert und es besteht weder ein Recht noch eine Pflicht zum Ausschluss des Angebotes von der weiteren Wertung.

25d) Öffnung und Kennzeichnung der Angebote, § 14 Abs. 2 Nr. 2. Die Angebote werden geöffnet und in allen wesentlichen Teilen im Eröffnungstermin gekennzeichnet. Die Kennzeichnung dient der Gewährleistung der Authentizität der Angebote und ist unabdingbare Grundvoraussetzung zur Sicherung eines transparenten und fairen Wettbewerbs.29 Die Kennzeichnung soll darüber hinaus verhindern, dass nachträgliche einzelne Bestandteile der Angebote ausgetauscht, entfernt und damit manipuliert werden können.30 Denn ohne eine Kennzeichnung ist es weder dem Auftraggeber, noch der Vergabekammer nachträglich möglich, zweifelsfrei festzustellen, was Angebotsbestanteil zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe war. Die hieraus resultierenden Manipulationsmöglichkeiten sind mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Auftragsvergabe nicht mehr vereinbar. Eine Zurückversetzung in den Stand vor Submission bedeutet letztlich, dass die Angebote erneut eingereicht werden müssen. Es erfordert jedoch nicht, dass das gesamte Vergabeverfahren erneut für sämtliche interessierte Unternehmen eröffnet werden muss.31

26Bei elektronischen Angeboten erfolgt letztlich eine doppelte Öffnung bzw. Entschlüsselung. Zunächst wird die Verschlüsselung des öffentlichen Auftraggebers nach Eingang der Angebote entfernt, so dann wird die vom Bieter für seine Angebotsdatei vorgesehene Verschlüsselung aufgehoben.32 Wichtig ist dabei, dass die Kennzeichnung im Öffnungstermin nicht im Nachhinein erfolgen muss.

27Die Kennzeichnung soll nicht alle, sondern nur die wesentlichen Teile des Angebotes betreffen. Dies umfasst naturgemäß alle kalkulationserheblichen Gesichtspunkte. Besteht ein Angebot aus mehreren Anlagen – wie fast immer –, so ist bei der Kennzeichnung die Zugehörigkeit dieser Anlagen zum Angebot zu gewährleisten. Auch die Urkalkulation gehört nach der Rechtsprechung zu den wesentlichen Teilen eines Angebotes.33 Bei elektronischen Angeboten wird diese nicht mehr in einem separaten verschlossenen Umschlag, sondern auf einer separaten, gesondert verschlüsselten digitalen Datei abgegeben. Da das Nebenangebot ebenfalls als ein wesentlicher Angebotsbestandteil zu werten ist, ist auch dieses ebenfalls zu kennzeichnen, da diese sonst nicht wertbar und auszuschließen sind.34

28Der Verstoß gegen die Kennzeichnung stellt einen unheilbaren Vergaberechtsverstoß35 dar, welcher letztlich in der Konsequenz zur Aufhebung des gesamten Vergabeverfahrens führt.36 Eine Ausnahme hiervon wird nur in ganz seltenen Fällen einschlägig sein (z. B. bei sehr umfangreichen Angebotsunterlagen und einer hieraus resultierenden erheblichen Zeitverzögerung).37 Hinsichtlich der Beweislast kommt es auf den Einzelfall an. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Vergabestelle eine sekundäre Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast zum internen Ablauf des Vergabeverfahrens obliegt, da ein Bieter in der Regel keinen Einblick in die internen Vorgänge haben kann.38

29In der Praxis von Bedeutung sind Fälle, in denen technische Schwierigkeiten bei der Angebotsabgabe aufgrund der verwendeten elektronischen Mittel auftreten. Dabei sind die Rechtsfolgen danach zu beurteilen, wessen Sphäre sie zuzuordnen sind; Schwierigkeiten auf der Auftraggeberseite dürfen jedenfalls nicht zu Lasten der Anbieterseite gehen. Demgegenüber gehen vom Anbieter selbst zu verantwortende Schwierigkeiten zu seinen Lasten.39 Wenn elektronische Formulareingaben „verschwinden“, geht das zu Lasten des Bieters.40 Hebt der Auftraggeber ein Vergabeverfahren auf, weil er ein fehlerhaftes Formular für die elektronische Angebotsabgabe bereitgestellt hat, ist eine solche Aufhebung nicht gerechtfertigt, da diese Problematik im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegt.41 Demnach ist je nach Einzelfall zu beurteilen, in wessen Fehlersphäre der Mangel liegt, wobei die Vergabeplattformen hierzu technisch ggf. unterstützen können.

30e) Muster und Proben. Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 müssen Muster und Proben der Bieter im Termin zur Stelle sein. Diese gehören folglich erst dann zu einem Angebot und machen dies gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 vollständig, wenn diese bereits zum Zeitpunkt des Eröffnungstermins vorliegen.42 Dies gilt selbst dann, wenn der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen hierzu keine Regelung getroffen hat. Grund hierfür ist, dass ein späteres Nachschieben von solchen Mustern und Proben gegebenenfalls eine unzulässige Angebotsänderung bzw. zumindest eine Verschiebung der Wertungsgrundlage und damit einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot darstellt.43 Sind folglich verlangte Muster und Proben nicht mit dem Angebot eingereicht worden, ist das Angebot wegen Unvollständigkeit auszuschließen.

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