Читать книгу Praxiskommentar VOB - Teile A und B - Susanne Roth - Страница 306
II.Aufhebung als Ermessensentscheidung
Оглавление11Unabhängig davon, ob ein Aufhebungsgrund i. S. d. § 17 Abs. 1 VOB/A vorliegt, kann ein öffentlicher Auftraggeber von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Grundsätzlich gilt dies auch dann, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt.16 Es kann unabhängig von den in dieser Vorschrift aufgeführten Tatbeständen verschiedene Gründe geben, die den öffentlichen Auftraggeber daran hindern, eine einmal in die Wege geleitete Ausschreibung ordnungsgemäß mit der Erteilung eines Zuschlags an einen Bieter zu beenden. Notwendige Voraussetzung für die Aufhebung einer Ausschreibung ist deshalb nur, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, sodass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder lediglich zum Schein erfolgt.17 Denn auch im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Privatautonomie, nach dem der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages ausschließlich in der Entscheidungsgewalt des Ausschreibenden liegt. Eine Verpflichtung zur Vergabe von Aufträgen durch die Nachprüfungsinstanzen wäre zudem mit dem auch das Vergaberecht beherrschenden Grundsatz der Sparsamkeit und Effizienz bei der Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel nicht zu vereinbaren.18
12Ein Kontrahierungszwang würde der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers zuwiderlaufen. Der Vergabestelle steht bei der Entscheidung über den Zuschlag ein Wertungsspielraum zu.19
13Deshalb ist die Aufhebung eines Vergabeverfahrens eine von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung. Sie ist nur daraufhin überprüfbar, ob die Vergabestelle überhaupt ihr Ermessen ausgeübt hat (Ermessensnichtgebrauch) oder ob sie das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten, von einem nicht zutreffenden oder unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, sachwidrige Erwägungen in die Wertung mit eingeflossen sind oder der Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt worden ist (Ermessensfehlgebrauch).20 Selbst im Falle des Nachprüfungsverfahrens dürfen sich die Nachprüfungsorgane nicht an die Stelle des Auftraggebers setzen.21
14Vor diesem Hintergrund kann nur in Ausnahmefällen, in denen unter Beachtung aller Beurteilungsspielräume die Erteilung des Zuschlags an den Antragsteller eines Nachprüfungsverfahrens die einzige rechtmäßige Entscheidung ist, die Anweisung an die Vergabestelle in Betracht kommen, dem Antragsteller den Zuschlag zu erteilen.22 Im Grundsatz trägt der Bieter die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen des von ihm behaupteten Ausnahmefalls. Vom öffentlichen Auftraggeber sind aber in sich schlüssige und überprüfbare Angaben zu den sachlichen Gründen und Wertungsspielräumen zu verlangen.23 Diesen hat der Bieter sodann substantiiert entgegenzutreten. Eine weitere Konstellation kann vorliegen, wenn der öffentliche Auftraggeber durch die Aufhebung in rechtlich zu missbilligender Weise die formalen Voraussetzungen dafür schafft, den Auftrag außerhalb des bisherigen Vergabeverfahrens an einen bestimmten Bieter vergeben zu können.24 Die dargestellten Hürden sind hierbei so hoch, dass diese theoretische Möglichkeit in der Praxis kaum eine Rolle spielt.25
15Selbst wenn die Vergabestelle die Gründe, die zur Aufhebung des Vergabeverfahrens führen, selbst zu vertreten hat (bspw. weil ihre Kostenschätzung nicht ordnungsgemäß erfolgte und sie deshalb zu wenig Haushaltsmittel eingeworben hat), steht dies einer wirksamen Aufhebung nicht entgegen. Das wirtschaftliche Interesse des Bieters ist hinreichend durch einen Schadensersatzanspruch geschützt: Schließlich hat er vergeblichen Aufwand betrieben, um sich an dem Vergabeverfahren zu beteiligen, das nunmehr nicht zu Ende geführt wird, weil es auf einer fehlerhaften Ausschreibung beruht.26