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III.Keine oder keine geeigneten Teilnahmeanträge/Angebote in einem vorangegangenen offenen oder nicht offenen Verfahren, § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A

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45Bei einem Vergleich des § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 VOB/A, des § 14 Abs. 4 Nr. 1 VgV und des Art. 32 Abs. 2 lit. a RL 2014/24/EU wird und darf der Rechtsanwender zu Recht verwirrt sein. Statt den Wortlaut des Art. 32 Abs. 2 lit. a RL 2014/24/EU zu übernehmen, sorgt die teilweise abweichende Fassung des § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A nicht nur im Hinblick auf das Verständnis der gewählten Begrifflichkeiten, sondern auch im Hinblick auf deren rechtliche Bedeutung und Einordnung für Unmut. Im Grunde ist § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A nur verständlich, wenn der Text des Art. 32 Abs. 2 lit. a RL 2014/24/EU danebengelegt wird, was nicht anwenderfreundlich ist.

46§ 3a EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 VOB/A enthält den Versuch, Art. 32 Abs. 2 lit. a RL 2014/24/EU umzusetzen. Ebenso, wie § 3a EU Abs. 3 Nr. 1 VOB/A setzt § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A die rechtmäßige (oder bestandskräftige) Aufhebung eines vorangegangenen gescheiterten (dies folgt aus dem Wort „ursprünglichen“ der Vorschrift) offenen oder nicht offenen Verfahrens voraus, wobei die Fallgestaltungen, die ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung eines Teilnahmewettbewerbes erlauben – abgesehen von der unveränderten Übernahme der ursprünglichen Vertragsunterlagen (siehe Rn. 46) – nicht kumulativ, sondern alternativ formuliert sind. § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 VOB/A setzt zudem voraus, dass entweder

– überhaupt keine Angebote oder überhaupt keine Teilnahmeanträge (§ 3a EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 lit. a VOB/A) oder

– ausschließlich ungeeignete Angebote oder ungeeignete Teilnahmeanträge in einem offenen oder einem nicht offenen Verfahren abgegeben worden sind (§ 3a EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 lit. b VOB/A) oder

– nur solche Angebote eingegangen sind, die den in den Vergabeunterlagen genannten Bedingungen nicht entsprechen, § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 lit. c VOB/A.

Auch hier gilt wieder hinsichtlich der Aufhebung des vorangegangenen offenen bzw. nicht offenen Verfahrens, dass die Aufhebungsgründe nicht vom Auftraggeber veranlasst worden sein dürfen, was auch für die Aufhebungsgründe gilt, die auf ein Marktversagen der Bieter zurückzuführen sind (vgl. insoweit Rn. 34).

47Liegt eine der vorgenannten Alternativen vor, ist zusätzlich zu beachten, dass die aus dem ursprünglichen offenen oder nicht offenen Verfahren stammenden „Vertragsunterlagen“ nicht grundlegend geändert werden dürfen. Die Frage, wann eine Änderung der Vertragsunterlagen „grundlegend“ ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalles und in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH49 und analog der neuen Sonderregelung zu zulässigen und unzulässigen Vertragsänderungen in § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. a-c GWB zu entscheiden.50 Der Begriff der Vertragsunterlagen ist dabei im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 RL 2014/24/EU51 und nicht nur im Sinne von § 8 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A zu verstehen,52 auch wenn innerhalb der hier maßgeblichen Normen (§ 3a EU VOB/A, § 14 VgV sowie Art. 26 und Art. 32 RL 2014/24/EU) keine einheitliche Terminologie zu verzeichnen ist, sondern teilweise auf Bestandteile der „Auftragsunterlagen“ gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 RL 2014/24/EU Bezug genommen wird sowie eigene Wortschöpfungen des nationalen Verordnungsgebers angeboten werden. Ob Richtliniengeber und nationaler Verordnungsgeber die Begrifflichkeiten jeweils bewusst so gewählt haben oder ob mangelnde Sorgfalt hier die Feder geführt hat, mag dahingestellt bleiben. Legte man jedenfalls nur den Begriff der Vertragsunterlagen im Sinne von § 8 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A zugrunde, so wären grundlegende Änderungen nach dem Wortlaut außerhalb der Vertragsunterlagen zulässig, was mithin auch für Eignungs- und Zuschlagskriterien gelten würde.53 Diese rechtliche Einordnung stünde aber im Widerspruch zu der Rechtsprechung des EuGH,54 der Änderungen als grundlegend ansieht, „wenn damit Bedingungen eingeführt würden, die, wenn sie für das ursprüngliche Vergabeverfahren schon gegolten hätten, jeweils die Zulassung anderer Bewerber oder Bieter oder die Annahme eines anderen Angebotes ermöglicht oder das Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren geweckt hätten“. Zweifels­ohne wäre somit nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Änderung der Eignungs- und Zuschlagskriterien regelmäßig als grundlegende Änderung zu qualifizieren. Der öffentliche Auftraggeber hätte damit die Möglichkeit, die strengen Voraussetzungen des diesem Ausnahmetatbestand vorangehenden gescheiterten Erstverfahrens (offenes oder nicht offenes Verfahren) zu umgehen und auf Unternehmen seiner Wahl zuzugehen. Dass dies zum einen dem Sinn und Zweck der Ausnahmetatbestände und zum anderen dem gesamten Wettbewerbsgedanken verbunden mit den Grundsätzen der Vergabe nach § 97 GWB zuwiderläuft liegt auf der Hand. Vor diesem Hintergrund kann nur der weite Begriff der „Auftragsunterlagen“ im Sinne von Artikel 2 Abs. 1 Nr. 13 RL 2014/24/EU zugrunde zu legen sein, denn damit ist auf jeden Fall auch eine Änderung insbesondere der Zuschlagskriterien und Eignungskriterien ausgeschlossen.55 Vergaberechtlich relevante Änderungen können beispielsweise vorliegen, wenn der Leistungsumfang wesentlich erweitert wird, Finanzierungskonzepte geändert werden,56 Änderungen an den geforderten Rechtsformen von Bietergemeinschaften erfolgen,57 Eignungskriterien erweitert oder Wertungskriterien verändert oder anders gewichtet werden. Da die Frage der wesentlichen Änderung der Vergabeunterlagen die tragenden Grundsätze von Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung tangiert, empfiehlt sich für den Praktiker folgende Faustformel: Führt die Änderung der Vertragsunterlagen auch zu einer Änderung des potenziellen Bewerber- bzw. Bieterkreises, so dürfte in den meisten Fällen auch eine wesentliche Änderung der Vertragsunterlagen vorliegen. Führen die öffentlichen Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A durch, haben sie der europäischen Kommission auf deren Anforderungen hin einen Bericht vorzulegen ist.

48Im Gegensatz zu § 3a EU Abs. 3 Nr. 1 VOB/A ist es dem öffentlichen Auftraggeber nach § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A erlaubt, ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung eines Teilnahmewettbewerbes nicht nur mit den Bietern aus dem vorangegangenen gescheiterten offenen bzw. nicht offenen Verfahren durchzuführen, sondern darüber hinaus auch andere Unternehmen in das Verhandlungsverfahren mit einzubeziehen. Will der öffentliche Auftraggeber hingegen die Vergabeunterlagen grundlegend ändern und/oder den Bewerber-/Bieterkreis erweitern, kommt ein Verhandlungsverfahren oder ein wettbewerblicher Dialog mit jeweils vorheriger Bekanntmachung eines Teilnahmewettbewerbes nach § 3a EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A in Betracht. Für das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nach § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A ist der öffentliche Auftraggeber darlegungs- und beweispflichtig und hat diese gemäß § 20 EU VOB/A in Verbindung mit den §§ 8 Abs. 7, 14 Abs. 4 Nr. 1 VgV in der Vergabeakte zu dokumentieren.

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