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1.Fristen der §§ 10a EU bis 10c EU VOB/A können aus zwingenden Gründen nicht eingehalten werden

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62Der öffentliche Auftraggeber muss nachweisen, dass die Einhaltung der Mindestfristen (§§ 10a EU bis 10c EU VOB/A) für die Angebotserstellung und gegebenenfalls für die Einreichung der Teilnahmeanträge bei dem offenen, dem nicht offenen Verfahren sowie dem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nicht möglich ist.91 Der wettbewerbliche Dialog sowie die Innovationspartnerschaft werden in diesem Zusammenhang nicht genannt, weil diese Vergabearten für die möglichen Fallgestaltungen der „extremen Dringlichkeit“ naturgemäß von vornherein nicht in Betracht kommen. Die in den §§ 10a EU bis 10c EU VOB/A enthaltenen Mindestfristen sind nunmehr erheblich verkürzt worden und eröffnen die Möglichkeit, im Falle objektiver (einfacher) Dringlichkeit die Angebots- bzw. Teilnahmefrist auf 15 Kalendertage zu verkürzen, was die Begründung für die Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb aufgrund dringlicher und zwingender Gründe erschweren dürfte.

63Allerdings ist zu bedenken, dass die Dauer eines offenen, nicht offenen sowie eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb nicht nur auf die Mindestfristen der §§ 10 a EU bis 10 c EU VOB/A zu reduzieren ist, sondern dass Zeiten für die Auswertung der Angebote, der Teilnahmeanträge, die mögliche Nachforderung von Unterlagen, die Angebotsabgabe im Falle eines vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbes etc. sowie die Wartepflicht gemäß § 134 GWB einzukalkulieren sind. Vor diesem Hintergrund gilt der Anwendungsbereich des § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A nur für solche Fälle, die schon für die Erstellung von Vergabeunterlagen absolut keine Zeit zulassen und die Angebots- bzw. Teilnahmefrist von 15 Kalendertagen tatsächlich auch nicht abgewartet werden kann. Als dringliche und zwingende Gründe kommen daher nur akute Gefahrensituationen und höhere Gewalt in Betracht, die zur Vermeidung von Schäden für die öffentliche Sicherheit ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen ausschließendes Handeln erfordern.92 Das ist besonders bei hochrangigen Rechtsgütern, wie zum Beispiel Leben, körperliche Unversehrtheit der Fall. Darüber hinaus kommen auch Fälle von Naturkatastrophen, objektiv überraschender Insolvenz des Bestandsunternehmens oder außerordentlicher Kündigung/Aufhebung eines Bestandsauftrages93 in Betracht. Die größte Bedeutung dürfte der Ausnahmetatbestand dort erlangen, wo es um die unmittelbare Schließung von objektiv entstandenen Lücken in Bereichen existentieller Daseinsvorsorge geht (Interims­vergabe). Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt der öffentliche Auftraggeber.94 Er darf sich insoweit nicht mit pauschalen Ausführungen begnügen, sondern muss prüfbare Tatsachen anführen.95 Tatsachen umfassen alle der äußeren Wahrnehmung zugänglichen Geschehnisse oder Zustände, aus denen das objektive Recht Rechtswirkungen herleitet, wovon unter anderem auch sogenannte innere Tatsachen wie Wille, Vorsatz und Einverständnis umfasst sind.96 Darüber hinaus muss der öffentliche Auftraggeber die Gründe bzw. Umstände, die die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung eines Teilnahmewettbewerbes rechtfertigen, gemäß § 20 EU VOB/A in Verbindung mit den §§ 8 Abs. 2 Nr. 7, 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV in der Vergabeakte dokumentieren.

Praxiskommentar VOB - Teile A und B

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