Читать книгу Praxiskommentar VOB - Teile A und B - Susanne Roth - Страница 428
IV.Die Leistung kann aus bestimmten Gründen nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden, § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 lit. a bis lit. c VOB/A 1.Allgemeines
Оглавление53§ 3a EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A setzt Art. 32 Abs. 2 lit. b RL 2014/24/EU um. Danach ist ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntgabe eines Teilnahmewettbewerbs zulässig, wenn der Auftrag wegen seiner künstlerischen oder technischen Besonderheiten oder des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem ganz bestimmten Unternehmen ausgeführt werden kann (so die Vorgängerregelung des § 3 EG Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 VOB/A) und bei den technischen Besonderheiten und den Ausschließlichkeitsrechten es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist. Ein gescheitertes offenes oder nicht offenes Verfahren ist keine Voraussetzung.
54Inhaltlich entspricht § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 VOB/A nur bei oberflächlicher Betrachtung der alten Fassung des § 3 EG Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 VOB/A, die sich von der aktuellen Regelung einmal dadurch unterschied, dass die nunmehr in § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 lit. a bis c VOB/A voneinander getrennten Tatbestände in einer Ziffer zusammengefasst waren. Durch die Vergaberechtsreform im Jahre 2016 ist dieser Ausnahmetatbestand in Bezug auf die technischen Besonderheiten und die Ausschließlichkeitsrechte durch den Vorbehalt des Satzes 2 weiter verschärft worden. Die Neufassung des § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 VOB/A erfordert zusätzlich, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsbedingungen ist. Einfach ausgedrückt: Der öffentliche Auftraggeber darf nicht bewusst, also vorsätzlich die Auftragsanforderungen so manipulieren, dass es letztendlich keine Alternative oder Ersatzlösung gibt und mithin nur ein Unternehmen in Betracht kommt. Dem Ausnahmetatbestand insgesamt liegt der Gedanke zugrunde, zeit- und kostenaufwendige Vergabeverfahren den öffentlichen Auftraggebern dann nicht aufzubürden, wenn ohnehin zwingend nur ein Unternehmen den zu vergebenden Auftrag erbringen kann, also objektiv erst kein Wettbewerb entstehen kann. Der öffentliche Auftraggeber muss bei den Alternativen lit. b und lit. c nachweisbar den europäischen Markt ernsthaft daraufhin überprüft haben, ob tatsächlich nur ein – und nicht zwei – Unternehmen für die zu erbringende Leistung in Betracht kommt und es anderen Unternehmen objektiv nicht möglich ist, die Leistung zu erbringen.63 Dies bedeutet für den des öffentlichen Auftraggebers bei den Ausnahmetatbeständen der lit. b und lit. c im Ergebnis die Notwendigkeit einer, sofern im Einzelfall geeignet, ergebnisoffenen Markterkundung (§ 2 EU Abs. 7 VOB/A). § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A sieht eine Markterkundung zwar nicht ausdrücklich vor,64 aber aus dem der Vorschrift hinzugefügten Vorbehalt, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung geben darf und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung des Wettbewerbes sein darf, ist eine solche faktisch unumgänglich. Hinzu kommt, dass der EuGH – auch schon auf der Grundlage des älteren Richtlinienrechtes65 – vom öffentlichen Auftraggeber „ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene“ als Nachweis dafür verlangt, dass tatsächlich nur ein Unternehmen europaweit zur Leistungserbringung in der Lage ist, wobei es sich hier um eine objektive Anforderung handelt.66 Wie ein öffentlicher Auftraggeber diese objektive „Ausschließlichkeit“ (vgl. Erwägungsgrund (50) der RL 2014/24/EU), die vor der Entscheidung ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung eines Teilnahmewettbewerbes geprüft werden und vorliegen muss, ohne Markterkundung rechtlich belastbar herleiten will, ist schlichtweg nicht vorstellbar, zumal es bei den Ausnahmealternativen auch nicht um Standardleistungen geht, bei denen ein Blick in die Datenblätter meistens ausreichend sein dürfte. Dieses faktische „ Muss“ einer Markterkundung67 kann auch nicht dadurch in Abrede gestellt werden, dass es beim Vorbehalt des Satzes 2 „nur“ um die Darlegungs- und Beweislast negativer Tatsachen geht, die dem öffentlichen Auftraggeber auferlegt wird und die durch die Anwendung der vom BGH für den Zivilprozess geltenden entwickelten Grundsätze der sekundären Darlegungslast68 gelöst werden könne.69 Danach würde die sekundäre Darlegungslast dem Antragsteller in einem möglichen Nachprüfungsverfahren obliegen. Dieser müsste substantiiert darlegen, dass die von ihm angebotene Alternative oder Ersatzlösung die Anforderungen des Auftraggebers an den Beschaffungsgegenstand tatsächlich erfüllt.70 Diesem Ansatz dürfte die Annahme zugrunde liegen, dass die Unternehmen den Markt besser kennen als der öffentliche Auftraggeber und mithin auch eher in der Lage sind festzustellen, ob es für die nachgefragte Leistung tatsächlich einen Monopolisten gibt. In der Tat ist diese Überlegung nicht von der Hand zu weisen. Allerdings ist dieser Ansatz nicht mit dem absoluten Ausnahmecharakter dieser Vorschrift vereinbar, deren Sinn und Zweck sich ganz klar aus dem Erwägungsgrund (50) der Richtlinie 2014/24/EU und den europarechtlichen Vorgaben und nationalen Vorschriften ergibt. Der öffentliche Auftraggeber darf erst auf das Verhandlungsverfahren ohne Bekanntgabe eines Teilnahmewettbewerbes Rückgriff nehmen, wenn er vorab die jeweiligen Voraussetzungen für die Ausnahmealternativen festgestellt hat. Er hat die Ausnahmeumstände im Vergabevermerk zu dokumentieren und in einem möglichen Nachprüfungsverfahren darzulegen und ggf. zu beweisen. Die Darlegungslast trifft also den öffentlichen Auftraggeber, nicht aber potentielle Antragsteller eines möglichen Nachprüfungsverfahrens. Es geht auch nicht darum, nachträglich die Ausnahmevoraussetzungen zu liefern,71 sondern die öffentlichen Auftraggeber haben im Vorfeld dafür Sorge zu tragen, dass die Entscheidung, ein Verhandlungsverfahren ohne Bekanntgabe eines Teilnahmewettbewerbes durchzuführen, in rechtlich belastbarer Weise in einem möglichen Nachprüfungsverfahren dargelegt und gegebenenfalls bewiesen werden kann. Andernfalls wäre die Vorschrift ein Türöffner für die Umgehung der eigentlich vorgesehenen Regelverfahren (offenes und nicht offenes Verfahren), deren Sanktionierung nur möglich wäre, wenn potentielle Antragsteller im Nachprüfungsverfahren erst einmal substantiiert dargelegt hätten, dass die von ihnen angebotene Alternative oder Ersatzlösung die Anforderungen des Auftraggebers an den Beschaffungsgegenstand tatsächlich erfüllt.72 Erst wenn ein substantiierter Vortrag vorliegt, muss der öffentliche Auftraggeber einen entsprechenden Gegenbeweis erbringen, der darüber hinaus auch noch misslingen muss.
55Aus dem Umstand, dass mit diesem Tatbestand jeglicher Wettbewerb ausgeschlossen ist, eben weil es sich um eine Direktvergabe handelt, ergibt sich eine abschließende und besonders restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A, was Art. 26 Abs. 6 unter Einbeziehung des Erwägungsgrundes (50) der RL 2014/24/EU verdeutlichen.73 Da der öffentliche Auftraggeber für das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen dieses Ausnahmetatbestandes darlegungs- und beweispflichtig ist und diese auch zu dokumentieren hat,74 empfiehlt sich eine sehr sorgfältige Dokumentation, weshalb die Leistung nur von einem einzigen Unternehmen erbracht werden kann und weshalb bei den technischen Besonderheiten und den Ausschließlichkeitsrechten keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung vorhanden ist, der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsparameter ist.
56Aufgrund der dem öffentlichen Auftraggeber zustehenden Beschaffungsautonomie, die auf der immer noch national bestehenden Vertragsfreiheit beruht, kann der Auftraggeber seinen Bedarf grundsätzlich frei bestimmen. Der öffentliche Auftraggeber entscheidet, welche Leistung und mit welchen Anforderungen er diese auf dem freien Markt beschaffen möchte und ist grundsätzlich auch nicht gehalten, eine europaweite Markterforschung durchzuführen. Die Beschaffungsautonomie unter Einbeziehung des Leistungsbestimmungsrechtes des öffentlichen Auftraggebers sind dem eigentlichen Vergabeverfahren auch vorgelagert. Das Vergabeverfahren regelt nur die Art und Weise der Beschaffung, aber nicht was der öffentliche Auftraggeber beschafft.75 Da der öffentliche Auftraggeber allerdings auf Steuergelder zurückgreift, ist er gesetzlich nur der Kontrolle der Aufsichtsbehörden und Rechnungshöfe unterworfen. Will der öffentliche Auftraggeber aber den Beschaffungsbedarf an besondere technische Konzeptionen oder Leistungsmerkmale knüpfen, die im Ergebnis den Wettbewerb einschränken bzw. auf nur ein Unternehmen zu laufen, so muss er nach der Rechtsprechung hierfür tatsächlich vorhandene sachgerechte und auftragsbezogene Gründe anführen, die nicht auf sachfremden, willkürlichen oder diskriminierenden Erwägungen beruhen76 Diese Beschaffungsautonomie ist bei § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A eingeschränkt, denn zum einen muss die Beschaffungsleistung durch nur ein Unternehmen sachlich gerechtfertigt sein, d. h. der öffentliche Auftraggeber muss dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe angeben77 und zum anderen darf, wie oben unter Rn. 53 ausgeführt, für die Ausnahmetatbestände unter lit. b und lit. c keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung existieren und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter sein.78