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E.Das Verhandlungsverfahren I.Abgrenzung zum wettbewerblichen Dialog, § 3b EU Abs. 4 VOB/A

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23Ohne dass dies aus der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen unmittelbar hervorgeht, unterscheidet sich das Verhandlungsverfahren vom wettbewerblichen Dialog dadurch, dass es auf die Beschaffung eines bereits feststehenden Leistungsgegenstandes gerichtet ist. Verhandelt werden darf im Verhandlungsverfahren (mit Ausnahme gegebenenfalls gestellter Mindestanforderung sowie der Zuschlagskriterien, § 3b EU Abs. 3 Nr. 5 VOB/A) über sämtliche Vertragsinhalte26 einschließlich des Preises. Anders als im wettbewerblichen Dialog bildet aber der Beschaffungsgegenstand als solcher die Grenze der Verhandlungen.27 Dies ergibt sich bei europarechtskonformer Auslegung insbesondere aus einer Gegenüberstellung der Art. 29, 30 RL 2014/24/EU: Gemäß Art. 29 Abs. 1 UA 2 RL 2014/24/EU geben die öffentlichen Auftraggeber in den Auftragsunterlagen den Auftragsgegenstand an, indem sie ihre Bedürfnisse und die erforderlichen Eigenschaften der zu erbringenden Bauleistungen beschreiben. Zwar muss der öffentliche Auftraggeber den Auftragsgegenstand nicht abschließend beschreiben. Vielmehr genügt es, wenn er zur Konkretisierung des feststehenden Beschaffungsgegenstandes seine Bedürfnisse sowie die gewünschten oder geforderten Eigenschaften des Auftragsgegenstandes beschreibt. Demgegenüber legt Art. 30 Abs. 2 RL 2014/24/EU fest, dass die öffentlichen Auftraggeber eine Auftragsbekanntmachung veröffentlichen, in der sie ihre Bedürfnisse und Anforderungen formulieren, die sie in dieser Bekanntmachung und/oder in einer Beschreibung näher erläutern. Anders als bei dem in Art. 29 RL 2014/24/EU geregelten Verhandlungsverfahren sind nicht Modifikationen/Konkretisierungen des Beschaffungsgegenstandes offen, sondern dieser selbst. Entsprechend heißt es in Erwägungsgrund (42) RL 2014/24/EU:

„Der wettbewerbliche Dialog hat sich in Fällen als nützlich erwiesen, in denen öffentliche Auftraggeber nicht in der Lage sind, die Mittel zur Befriedigung ihres Bedarfs zu definieren oder zu beurteilen, was der Markt an technischen, finanziellen oder rechtlichen Lösungen zu bieten hat.“

24Gegenstand der Verhandlungen im Verhandlungsverfahren sind die auf der Grundlage einer Leistungsbeschreibung mit einem konkreten Beschaffungsgegenstand erstellten Erstangebote. Diese Erstangebote sind – entgegen dem Grundsatz des § 15 EU Abs. 3 VOB/A – hinsichtlich sämtlicher Vertragsinhalte mit Ausnahme des Beschaffungsgegenstandes selbst sowie gegebenenfalls angegebener Mindestanforderungen (§ 3b EU Abs. 3 Nr. 5 VOB/A) verhandelbar. Demgegenüber dienen Verhandlungen im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs dazu, den Bedürfnissen des öffentlichen Auftraggebers gerecht werdende Beschaffungsgegenstände zu ermitteln und so zu beschreiben, dass die Bieter für den von ihnen jeweils vorgeschlagenen Beschaffungsgegenstand endgültige Angebote abgeben können, § 3b EU Abs. 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/A. Anders als im Verhandlungsverfahren sind diese Angebote nur noch eingeschränkt verhandelbar. Gemäß § 3b Abs. 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/A darf der öffentliche Auftraggeber ausschließlich Klarstellungen und Ergänzungen von den Bietern fordern, die gemäß § 3b EU Abs. 4 Nr. 7 Satz 4 VOB/A nicht dazu führen dürfen, dass grundlegende Elemente der Angebote oder der Auftragsbekanntmachung geändert werden, der Wettbewerb verzerrt wird, oder andere am Verfahren beteiligte Unternehmen diskriminiert werden.

25Die Schwierigkeiten in der Praxis dürften bei der Abgrenzung zwischen der Konkretisierung/Modifizierung eines vorgegebenen Beschaffungsgegenstandes einerseits und der Definition lediglich der Bedürfnisse und Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers andererseits bestehen. Diese Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der beiden Verfahren werden noch dadurch erhöht, dass für beide Verfahren gemäß § 3a EU Abs. 2 und 4 VOB/A dieselben Zulässigkeitsvoraussetzungen gelten.

26Sachgerecht dürfte es daher sein, die Abgrenzung zwischen dem Verhandlungsverfahren und dem wettbewerblichen Dialog danach vorzunehmen, ob der öffentliche Auftraggeber vor Einleitung des Vergabeverfahrens ein drittes Unternehmen eingeschaltet hat, das ihn beraten oder sonst unterstützt hat,28 und ob dieses Unternehmen im Rahmen dessen insbesondere mit der Erstellung einer Leistungsbeschreibung beauftragt war oder nicht.29 Wenn ja, spricht in der Regel vieles dafür, dass es nicht um die Ermittlung des Beschaffungsgegenstandes im Rahmen eines wettbewerblichen Dialogs, sondern um die Konkretisierung eines feststehenden Beschaffungsgegenstandes im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens geht. Bei Vorliegen der in § 3a EU Abs. 2 und 4 VOB/A abschließend geregelten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens oder eines wettbewerblichen Dialogs hat der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich die freie Wahl, für welche der Varianten er sich entscheidet. Nur insoweit, das heißt bevor der öffentliche Auftraggeber diese Entscheidung getroffen hat, trifft es zu, dass beide Verfahren gleichrangig nebeneinanderstehen.30 Der Typenzwang, das heißt das Verbot, Elemente der einzelnen Vergabearten zu kombinieren,31 führt in Abhängigkeit vom Vorliegen oder Nichtvorliegen eines definierten Beschaffungsgegenstandes zur alternativen Exklusivität beider Verfahren.

27Eine Abgrenzung beider Verfahren ist daher nach wie vor erforderlich, was unmittelbar aus den Grundsätzen des § 97 Abs. 1, 2 GWB folgt: Im Verhandlungsverfahren sind aus Gründen des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung Verhandlungen im Hinblick auf die in der Bekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessenbekundung genannten Umstände, die wesentlichen Einfluss auf das Interesse eines Unternehmens an dem Auftrag haben, ausgeschlossen. Dies ist für die vom öffentlichen Auftraggeber für den Auftrag formulierten Mindestanforderungen sowie die Zuschlagskriterien ausdrücklich in § 3b EU Abs. 3 Nr. 5 VOB/A geregelt, gilt aber nach dem oben Gesagten gleichermaßen für den Beschaffungsgegenstand als solchen.32 Letzteres wird insbesondere dann virulent, wenn sich im Laufe des Verhandlungsverfahrens herausstellt, dass die vom öffentlichen Auftraggeber angeforderte Leistung objektiv unerfüllbar ist. In diesem Fall ist die Ausschreibung bei Durchführung eines Verhandlungsverfahrens nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A aufzuheben.33 Demgegenüber kann der öffentliche Auftraggeber einen wettbewerblichen Dialog in diesem Fall ohne Weiteres einstellen, § 3b EU Abs. 4 Nr. 6 lit. b VOB/A.

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