Читать книгу Praxiskommentar VOB - Teile A und B - Susanne Roth - Страница 451
2.Verhandlungen
Оглавление30a) Wesen der Verhandlungen. Sowohl der wettbewerbliche Dialog gemäß § 3 EU Abs. 4 VOB/A als auch das Verhandlungsverfahren nach § 3 EU Abs. 3 VOB/A stellen im Vergaberecht die am wenigsten formalisierten Verfahrensarten dar.36 In der Art und Weise der Durchführung der Verhandlungsphase ist der Auftraggeber weitgehend frei. Gestaltungsformen, die auf intensive mündliche oder schriftliche Verhandlungen zwischen Auftraggeber und potentiellen Auftragnehmern basieren, sind ebenso zulässig wie lediglich Annäherungen im Angebotsverfahren.37
31Aus der Bezeichnung des ausgeschriebenen Verfahrens als „Verhandlungsverfahren“ ist nicht gemeinhin zu schlussfolgern, der Auftraggeber müsse auch zwingend Verhandlungen im eigentlichen Sinne durchführen; es steht ihm vielmehr frei, Verhandlungen zu führen oder nicht.38 Anerkanntermaßen war bereits bislang auch das gänzliche Unterlassen von Verhandlungen möglich; dies gilt – wie dargelegt – nunmehr jedenfalls dann, wenn sich der öffentliche Auftraggeber in der Bekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessenbekundung vorbehält, den Zuschlag bereits auf das Erstangebot zu erteilen, § 3a Abs. 3 Nr. 7 VOB/A.
32Auch wenn der öffentliche Auftraggeber (gerade) auch im Verhandlungsverfahren die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 1, 2 GWB, § 2 EU Abs. 1, 2 VOB/A) einzuhalten hat, bedeutet dies nicht, dass er Bietern den Inhalt von Erstangeboten anderer Bieter, die ihm vorteilhafter erscheinen, mitteilen und diesen Gelegenheit geben muss, auf dieser Grundlage ein Folgeangebot zu unterbreiten. Dies würde – im Gegenteil – der ausdrücklichen Regelung in § 3b EU Abs. 3 Nr. 9 Satz 5 VOB/A (Art. 29 Abs. 5 UA 2 RL 2014/24/EU) widersprechen. Verhandelt wird vielmehr (im Rahmen eines iterativen Verhandlungsprozesses) das vom jeweiligen Bieter eingereichte Erstangebot. Dies dient dem Ziel, die Angebote, das heißt jedes für sich, zu verbessern (§ 3b EU Abs. 3 Nr. 6 VOB/A), mithin sukzessive an die spezifischen Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers anzupassen. Zwar handelt es sich beim Verhandlungsverfahren anerkanntermaßen um einen dynamischen Prozess, in dem sich sowohl auf der Auftraggeber- als auch auf der Bieterseite Veränderungen ergeben können. Der Bieter hat aber keinen Anspruch auf Verhandlungen mit dem Ziel, sich hinsichtlich einer optimalen Angebotserstellung abzusichern.
33b) Sukzessive Verringerung der Zahl der Angebote oder Lösungen, § 3b EU Abs. 3 Nr. 8 VOB/A. Gemäß § 3b EU Abs. 3 Nr. 8 Satz 2 VOB/A kann der öffentliche Auftraggeber in der öffentlichen Bekanntmachung, der Aufforderung zur Interessenbekundung oder in den Vergabeunterlagen vorsehen, dass die Verhandlungen in mehreren aufeinanderfolgenden Phasen (Runden) mit dem Ziel durchgeführt werden, die Zahl der Angebote oder Lösungen sukzessive zu verringern. Worin der Unterschied zwischen Angeboten einerseits und Lösungen andererseits liegen soll, ist nicht nachvollziehbar. Selbst dann, wenn Bieter in ihren Erstangeboten mehrere Lösungen vorschlagen, handelt es sich jeweils um (Neben-)Angebote. Erneut ist es ein Rätsel, warum der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen die Regelung des Art. 29 Abs. 6 Satz 1 RL 2014/24/EU einerseits wörtlich übernimmt, andererseits – scheinbar unmotiviert – das Merkmal „Lösungen“ einführt. Letztlich dürfte die Formulierung bestenfalls überflüssig sein. Entscheidend ist, dass die Verringerung der Angebote anhand der bekannt gemachten Zuschlagskriterien erfolgen muss. Dies bedeutet, dass der öffentliche Auftraggeber sämtliche Erst- oder Folgeangebote nach Abschluss einer Phase jeweils genauso werten muss, als handele es sich um ein endgültiges Angebot. Anhand des sich aus dieser Wertung ergebenden Rankings (Wertungsreihenfolge) erfolgt dann die Verringerung der Zahl der Angebote.
34Wie viele Angebote der öffentliche Auftraggeber nach jeder Phase von weiteren Verhandlungen ausschließt, ist weder in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen noch in der Richtlinie 2014/24/EU geregelt. Entscheidend ist, dass in der Schlussphase, das heißt vor Abgabe der endgültigen Angebote, noch ausreichend Bieter vorhanden sind, um einen echten Wettbewerb zu gewährleisten (§ 3b EU Abs. 3 Nr. 8 Satz 3 VOB/A), in der Regel also mindestens drei. Detailverhandlungen mit dem Bestplatzierten dürfen die Reihenfolge der sich nach jeder Angebotsphase ergebenden Angebotswertung nicht in Frage stellen.39