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Tag 91

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11. März 2014

Manfred Götzl, Richter. Werner I., 56, Kriminaloberkommissar aus Kassel. Ismail Yozgat, 58, Vater des Mordopfers Halit Yozgat. Er trat bereits an den Tagen 41 und 80 auf. Jutta E., 58, Mitarbeiterin beim Landesamt für Verfassungsschutz Hessen. Herbert Diemer, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Wolfgang Heer, Verteidiger von Beate Zschäpe. Thomas Bliwier, Angela Wierig, Anwälte der Nebenklage.

(Mehrere Angehörige der Opfer sind heute selbst im Saal. Im Publikum sitzt zudem die CDU-Politikerin Barbara John, von der Bundesregierung eingesetzt als Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer. Der erste Zeuge ist Werner I., der als Kommissar den Mord an Halit Yozgat ermittelt hatte. Weil zeitweise der hessische Verfassungsschützer Andreas Temme unter Verdacht stand, wurde mit ihm damals eine Rekonstruktion der Abläufe am Tatort durchgeführt, einem Internetcafé in Kassel. Die Polizei hat diese Rekonstruktion auch gefilmt.)

Götzl Es geht uns um eine Rekonstruktion, die am 1.6.2006 durchgeführt wurde.

Werner I. Wir Beamte des Erkennungsdienstes sollten eine Videoaufzeichnung durchführen. Von einem der Internetplätze begab sich ein Mann nach vorne und verließ dann das Café. Das Wesentliche war, den Weg nachzuzeichnen und die Zeitspanne zu dokumentieren.

(Das Video wird im Gerichtssaal abgespielt. Es dauert 1:27 Minuten. Zu sehen ist, wie Andreas Temme an einem der PC-Plätze sitzt, sich schließlich erhebt und am Tresen, an dem Halit Yozgat erschossen wurde, vorbeiläuft. Dabei schaut er nicht in Richtung Tresen. Temme geht vor die Tür des Ladens und zeigt, wie er nach Halit Yozgat Ausschau gehalten haben will. Anschließend betritt er erneut das Internetcafé, geht auf den Tresen zu und legt dort ein 50-Cent-Stück ab, als Bezahlung für das Surfen im Internet. Man hört, wie die Tür quietscht und der Boden des Ladens knarzt.)

Anwalt Bliwier Gab es einen Probelauf, bevor Sie die Kamera eingeschaltet haben?

Werner I. Ich glaube, dass er gesagt hat, welchen Weg er geht, und gewisse Wegstrecken gezeigt hat. Ob es einen Probelauf gab, kann ich nicht mehr definitiv sagen. (Der Zeuge wird entlassen. Nun erhebt Ismail Yozgat, der Vater des in Kassel ermordeten Halit Yozgat, das Wort. Ein Dolmetscher übersetzt die Worte aus dem Türkischen ins Deutsche.)

Yozgat Sehr geehrter hoher Senat, Familienangehörige der Märtyrer, sehr geehrte Gäste, ich begrüße Sie alle mit Hochachtung.

Götzl (schroff) Jetzt muss ich Sie unterbrechen: Wozu wollen Sie eine Erklärung abgeben?

Anwalt Bliwier Herr Yozgat bittet, eine kurze Stellungnahme über seine Gefühle zum Gang des Verfahrens abzugeben. So viel Zeit muss sein.

Götzl Ja, gut. Sie können Ihren Mandanten ja beraten, wann der richtige Zeitpunkt für die Abgabe der Erklärung ist. Ich will hier nicht kleinlich verfahren, aber ich weise darauf hin, dass wir eine entsprechende Verfahrensordnung haben, die das regelt. Bei allem Verständnis für Herrn Yozgat.

Anwalt Bliwier Bei allem Verständnis, die Erklärung wäre längst fertig.

Götzl Das ist ungehörig. So brauchen Sie mir nicht zu kommen, Herr Rechtsanwalt Bliwier!

Anwalt Bliwier Wir werden unseren Mandanten nicht entmündigen. Familie Yozgat hat ein eigenes Erklärungsrecht. Dafür muss Raum sein.

Götzl Und worum geht es nun?

Anwalt Bliwier Ja, es geht um den Schmerz der Familie, um die Erwartungen an das Verfahren. Es ist eine sehr begrenzte Erklärung.

Götzl Wenn es eine sehr kurze Erklärung ist …

Verteidiger Heer Jetzt setzen Sie sich ja selbst in Widerspruch, Herr Vorsitzender. Sie haben doch auf die Strafprozessordnung hingewiesen – bei allem Verständnis für die Familie.

Bundesanwalt Diemer Wenn ich persönlich gefragt würde, ob Herr Yozgat eine Erklärung abgeben darf, würde ich sagen: Kann er. Aber als Bundesanwalt bin ich an die Strafprozessordnung gebunden.

Götzl Herr Yozgat, ich würde Sie einfach bitten, die Erklärung zurückzustellen, bis ein geeigneter Zeitpunkt dafür da ist.

Yozgat (hebt an)

Götzl (unterbricht) Nein! Ich habe Ihnen nicht das Wort für die Erklärung erteilt. Sie wissen ja, Herr Bliwier, wie die Rechtslage ist.

Anwalt Bliwier Die Rechtslage ist ja auslegungsfähig, das wissen wir doch beide genau.

(Nach Beratung mit seinem Mandanten sagt Bliwier, dass sie Götzls Vorschlag annähmen und die Erklärung am nächsten Tag abgäben. Nach einem weiteren Zeugen betritt die Zeugin Jutta E. den Gerichtssaal. Als Mitarbeiterin des hessischen Verfassungs schutzes war sie eine Kollegin von Andreas Temme.)

Götzl Es geht uns um die Ereignisse nach der Tötung des Herrn Yozgat.

Jutta E. An dem Freitag, dem Tag danach, da hatte Herr Temme Urlaub. Aus dem Grund hat mich mein damaliger Vorgesetzter, Herr F., beauftragt, Herrn Temme am Montag zum Staatsschutz zu schicken und zu fragen, was da vorgefallen ist. Das hab ich auch an dem Montag gemacht. An weitere Gesprächsinhalte kann ich mich jetzt so genau nicht erinnern.

Götzl Weswegen sollten diese Erkundigungen denn eingeholt werden?

Jutta E. Es stand wohl in der Zeitung, dass es im islamistischen Bereich war, und da das zu unserem Aufgabengebiet gehört, sollte nachgefragt werden, um wen es sich da handelte und ob etwas bekannt wäre zu dem Hintergrund des Mordes.

Götzl Was meinen Sie mit islamistischem Bereich?

Jutta E. Da es hieß, dass es sich um einen türkischen Mitbewohner von Kassel handelte, war die Frage, ob es irgendwas aus dem islamistischen Bereich sein könnte, eine Straftat.

Götzl Was hatten Sie denn erfahren?

Jutta E. Es wurde in den Medien viel berichtet, Einzelheiten sind mir nicht erinnerlich.

Götz Wie hat sich Herr Temme an dem Montag verhalten?

Jutta E. Eigentlich wie immer, ohne dass er nervös wirkte. Er hat den Auftrag entgegengenommen und gesagt, dass er sich darum kümmern würde. Was er dann auch gemacht hat.

Götzl Wie hat der Auftrag konkret gelautet?

Jutta E. Nachzufragen, um wen es sich da handelte und ob es schon Hinweise gebe, wer der Täter wäre. Ob es da Hinweise gebe auf einen islamistischen Hintergrund. Herr Temme hatte wie ich schon aus den Medien von dem Mord gehört. Und ich kann mich schwach erinnern, dass er gesagt hat, es könnte sich um einen bundesweiten Reihenmord handeln. Die genaue Wortwahl weiß ich jetzt nicht mehr. Also dass es sich um die Tat eines Serientäters handeln könnte. Woher er die Information her hatte, das wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht.

Götzl Haben Sie thematisiert, wie er darauf kommt?

Jutta E. Direkt nicht. Er meinte nur, er habe das irgendwo gelesen oder gehört.

Götzl War denn von ihm die Rede davon, dass er die Örtlichkeit kennt?

Jutta E. Er hat gesagt, er weiß, wo das Internetcafé ist. Weil das auf seinem Heimweg liegt. Aber er hat nicht gesagt, dass er das besuchen würde.

Götzl Können Sie sagen, wann das Gespräch stattgefunden hat?

Jutta E. Ich denke, dass ich ihn gleich vormittags angesprochen habe, dass er den Auftrag ausführen soll. Ob er das mit der Serientat zur selben Zeit gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Oder ob er das dann gesagt hat, als er zurückkam vom Staatsschutz. Das kann auch sein.

(Wie die Ermittlungen ergaben, wurde erst am Montagnachmittag bekannt, dass es sich um einen Fall in der Česká-Mordserie gehandelt hatte. Allerdings hatten Spekulationen dar über bereits am Wochenende nach der Tat in der Presse gestanden.)

Götzl In einem Vermerk aus einer Befragung damals durch die Polizei heißt es, Sie hätten mitgeteilt, Herr Temme habe Ihnen gesagt, dass er das Opfer nicht kennen und das Internetcafé nicht aufsuchen würde.

Jutta E. Dass wir über das Opfer gesprochen haben, daran kann ich mich nicht erinnern. Dass er das Café nicht kennen würde, das hat er so erwähnt.

Götzl Hier heißt es, dass er das Café nicht aufsuchen würde.

Jutta E. Hm. Er hat nur gesagt, er wüsste, wo es wäre, aber von Aufsuchen hat er nichts gesagt, das stimmt.

Götzl Es heißt hier, Herr Temme gab an, dass der Mord offensichtlich keinen regionalen Bezug habe, weil die Waffe im ganzen Bundesgebiet eingesetzt wurde.

Jutta E. Ich gehe davon aus, dass er das gesagt hat. Aber wo er das herhat, weiß ich wirklich nicht mehr.

Götzl Können Sie Herrn Temme noch vom Verhalten her beschreiben?

Jutta E. Mir und den Kollegen gegenüber war er sehr ruhig, introvertiert. Über Privates hat er fast gar nichts erzählt. Ich habe ihn für sehr engagiert und korrekt gehalten immer. Aber von sich hat er nicht viel preisgegeben.

Anwältin Wierig Ist Herr Temme selbstbewusster aufgetreten als andere Kollegen?

Jutta E. Würde ich schon sagen. Er war sehr ehrgeizig, sehr fleißig, und das wurde von vielen Vorgesetzten auch anerkannt. Seine Arbeit wurde gelobt, er wurde Kollegen auch als Vorbild vorgestellt.

Anwältin Wierig Kann man sagen, dass er protegiert wurde?

Jutta E. Das geht vielleicht schon zu weit. Protegiert würde ich jetzt nicht sagen.

Anwalt Bliwier Herr Temme hat Ihnen an dem Montag nicht die Wahrheit gesagt? Ich hab Sie vorhin so verstanden, dass Herr Temme Ihnen gesagt hat, er sei nicht in dem Café gewesen.

Jutta E. Er wusste, dass es da eins gibt. Da wir ja eigentlich in dem Café nicht verkehren sollten, hat er es auch nicht zugegeben.

Anwalt Bliwier Er hat Ihnen also eine Geschichte erzählt.

Der NSU Prozess

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