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Tag 81

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30. Januar 2014

Manfred Götzl, Richter. Herbert T., 64, früherer Mitarbeiter des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Anette Greger, Vertreterin der Bundesanwaltschaft. Angelika Lex, Anwältin der Nebenklage.

Götzl Es geht uns um ein Geschehen am 25. April 2007 in Heilbronn. Sie waren mit den Ermittlungen betraut. Ich würde Sie bitten, uns erst mal einen groben Überblick zu geben.

Herbert T. Es wurde fast die ganze Stadt abgeriegelt und kontrolliert. Es waren einige Gespanne von Angehörigen reisender Familien auf der Theresienwiese, von denen auch Personalien festgestellt wurden. Es gab mehrere Zeugen, auch am Anfang schon, die angaben, blutverschmierte Männer gesehen zu haben. Nachdem der Hubschrauber bereits kreiste, wollen Zeugen einen Mann gesehen haben, der sich hinter einem Busch versteckte. Ein anderer Zeuge berichtete von einem dunklen Wagen, einem Audi, und einem Mann, der zu dem Fahrzeug gerannt sei und »Dawei! Dawei!« gerufen habe. Später meldete sich ein Zeuge, der in Höhe Otto-Konz-Brücke zwei Männer und eine Frau gesehen haben will. Einer der Männer sei mit blutverschmierten Händen zum Ufer des Neckar verschwunden. An einem der Männer fiel diesem auf, dass er einen tätowierten Arm hatte. Am 31. Mai 2007 kam ein Spur-Spur-Treffer am Dienstfahrzeug: die DNA einer unbekannten weiblichen Person. Ab diesem Zeitpunkt lief die Soko Parkplatz schwerpunktmäßig in diese Richtung. Es waren viele weitere Treffer dieser Spur an zahlreichen anderen Tatorten in Österreich und Deutschland gefunden worden. Es war das gesamte Spektrum des Strafrechts vertreten.

(Damals berichteten die Medien über ein »Phantom«, das an vielen Tatorten DNA hinterließ. Später stellte sich heraus, dass die Genspuren aus verunreinigten Wattestäbchen der Kriminaltechniker stammten – und zu einer Mitarbeiterin der Firma gehörten, die diese Stäbchen hergestellt hatte.)

Götzl Mir geht es jetzt noch um die Einsätze von Michèle Kiesewetter.

Herbert T. Insgesamt hat sie 199 Einsätze gemacht. Bei den Ermittlungen wurde festgestellt, dass sie insgesamt 14 oder 15 Mal in Heilbronn eingesetzt war zu der Aktion »Sichere City«. Und auch öfter in verdeckten Einsätzen. So hat sie bei einer Frau 2,5 Gramm Heroin gekauft und die gleiche Menge bei einem Mann, beide wurden nach der Aktion festgenommen. Dann hat sie in Zivil Einsätze gemacht in Diskotheken, sie hat die Hintertür geöffnet, um den Kollegen Zugang zu verschaffen für eine Razzia. Sie hatte noch Einsätze mit dem Zusatz »aus besonderem Anlass«. Den Grund konnte man nicht mehr in jedem Fall nachvollziehen.

Götzl Ist auch überprüft worden, ob es bei Demonstrationen Einsätze gab und ob es zu Konflikten dabei gekommen ist?

Herbert T. Irgendwelche Drohungen wurden bei den umfangreichen Vernehmungen der Kollegen nicht mitgeteilt. Auch der Familie gegenüber hat sie nie eine Mitteilung gemacht, dass sie bedroht wird. Nur einmal hat sie geschildert, dass zwei Personen ihr Lichtzeichen gegeben hätten, als sei etwas an ihrem Fahrzeug nicht in Ordnung gewesen, und hinter ihr geparkt hätten. Es sei aber nichts weiter passiert.

Götzl Gab es Berührungspunkte mit dem rechtsradikalen Bereich?

Herbert T. Mir sind keine bekannt. Aber ich weiß, dass auch nach meiner Zeit noch mal umfangreich in dieser Richtung ermittelt wurde. Es sind wohl lediglich sechs Einsätze im rechtsradikalen Bereich bekannt, aber da soll es keinerlei Probleme gegeben haben. Aber mir ist keine konkrete Zahl bekannt, wie viele Einsätze es insgesamt waren.

Götzl Wie kam es denn zu dem Einsatz von Frau Kiesewetter am 25.4.2007?

Herbert T. Normalerweise hätte die gesamte Einsatzgruppe Urlaub gehabt, aber die Beamten wollten Stunden sammeln. Am 19.4. hatte ein Kollege angerufen bei ihr und gefragt, ob es immer noch steht, dass sie an dem Einsatz teilnehmen will. Sie hat am 20.4. zugesagt. Später hat sich ergeben, dass sie am Morgen des 25.4., als sie vom Duschen kam, gesagt hat zu einer Kollegin, dass sie mit einem Kollegen getauscht hat. Martin A. hat angegeben, dass sie ihn per SMS gefragt hat, ob er mit ihr fahren will.

Götzl Haben Sie einen Überblick über Informationen aus dem familiären Umfeld?

Herbert T. Sie wurde als braves, liebes Mädchen beschrieben. Sie war im Kirmesverein in Oberweißbach aktiv und hat viel Sport getrieben, Biathlon. Sie war sehr erfolgreich. Auch im Bereich ihrer Freundinnen keine Auffälligkeiten. Zu den sonstigen Gepflogenheiten – Lokale und so weiter – gab es auch keine Auffälligkeiten. Es wurde gesagt, dass sie unheimlich gerne zur Polizei ging. Ihr Onkel war selbst bei der Polizei.

Götzl Wenn wir zu Herrn Martin A. kommen, dem Kollegen von Frau Kiesewetter. (Martin A. überlebte den Mordanschlag schwer verletzt nach einem Schuss in den Kopf. Am Tag 75 sagte er als Zeuge aus.)

Herbert T. Die erste Vernehmung war ein Gespräch von lediglich 20 Minuten, da konnte er sich nur daran erinnern, dass er in Heilbronn eingesetzt war. Er dachte in einem VW-Bus. Seine Mutter hatte ihm erzählt, er habe einen Motorradunfall gehabt. Hinzuzufügen ist, dass er gar kein Motorrad und keinen Motorradführerschein hatte. Erst nach etwa zehn Monaten und in späteren Vernehmungen, unter anderem unter Hypnose, konnte er sich daran erinnern, dass er mit Michèle Kiesewetter zwei Mal auf der Theresienwiese war, am Morgen und am Nachmittag. Er erklärte zu seinen letzten Erinnerungen, dass er sich genau dran erinnerte, er habe im Fahrzeug gesessen, und dann sah er in seinem Außenspiegel eine Person aufs Fahrzeug zugehen. Im selben Moment habe Michèle Kiesewetter gesagt: Hat man nicht mal hier seine Ruhe? Er habe sich dann zu ihr hingewandt und auf ihrer Seite auch einen Menschen gesehen. Er schloss eine Frau aus. Weiß-rote Bekleidung mit schwarzen Streifen, und es fiel ihm der Arm des Mannes auf, er sah grau-weiße Armbehaarung und schloss daraus, dass es ein älterer Mensch gewesen sein muss, zudem eine dunklere Hautfarbe. Wegen eines Geräuschs auf seiner Seite habe er sich wieder seinem Fenster zugewandt. Und dann sah er sich als dritte Person aus dem Fahrzeug fallen. Er weiß noch, dass sein Gesicht auf dem Kies lag und er sich Sorgen machte, dass seine neue Sonnenbrille zerkratzt werden könnte. Wir haben ein Phantombild gefertigt. Es war geplant, dass wir es veröffentlichen, aber dies wurde uns von der Staatsanwaltschaft untersagt. (Die Staatsanwaltschaft hielt die Erinnerungen für unzuverlässig; ein medizinisches Gutachten bestätigte diese Sichtweise.)

Oberstaatsanwältin Greger Gab es Zeugen, die Schüsse gehört haben?

Herbert T. Ja, zahlreiche. Ein Zeuge hat im Bereich der Brücke zwei Schüsse gehört. Er sah auf die Uhr und stellte fest: 13.58 Uhr. Er hat auf eine Funkzeit-Uhr auf der Theresienwiese geschaut. Und es gab drei von einer Behörde, die am Neckarufer beschäftigt waren, zudem Bahnarbeiter, die ebenfalls etwas gehört haben. Auch hier ergab sich ein Zeitpunkt von 14 Uhr, plus, minus fünf Minuten.

Oberstaatsanwältin Greger Hatte jemand Schüsse gehört und dann noch Personen in dem Umfeld gesehen?

Herbert T. Es gab eine Zeugin, die war sehr schwierig zu vernehmen, die war absolute Alkoholikerin. In der Ausnüchterung hat die um vier Uhr früh einem Kollegen gesagt, dass sie die Tat genau verfolgt habe. Sie habe den Schuss gehört und eine blutüberströmte Beamtin gesehen, danach seien drei Männer weggerannt Richtung Bahnhof. Wir haben aber festgestellt, welchen Weg sie gelaufen sein muss und dass sie über 120 Meter vom Fahrzeug entfernt gewesen sein muss und keine Chance gehabt haben kann, eine blutverschmierte Beamtin zu sehen.

Anwältin Lex Ich möchte Ihnen drei kurze Vorhalte machen. In den Aktenvermerken gibt es einen Hinweis auf eine verurteilte »Zigeunerin« in Mannheim. An anderer Stelle findet sich ein Hinweis auf einen »joggenden Neger«. Und dann wird noch ein Lügendetektortest bei einem Zeugen erwähnt, der Angehöriger einer »Roma-Sippe« sein soll. Der hinzugezogene Psychologe wird zitiert, Lügen seien »typisch« für seine Ethnie.

Herbert T. Beim Lügendetektortest war ich dabei. Das war eine Aussage von dem Psychologen.

Anwältin Lex Haben Sie das eins zu eins übernommen?

Herbert T. Ja, das habe ich so übernommen.

Anwältin Lex Mir geht es um die Diktion. Ist es der übliche Sprachgebrauch in Ihrer Dienststelle, dass man von Zigeunern und Negern spricht?

Herbert T. Mit Sicherheit nicht.

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