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Tag 78

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23. Januar 2014

Manfred Götzl, Richter. Jürgen Böhnhardt, 69, Vater von Uwe Böhnhardt. Johannes Pausch, Anwalt von Carsten Schultze.

Böhnhardt Mein Sohn Uwe ist 1977 geboren. Er hatte relativ gute Voraussetzungen, was das Zuhause anging. Irgendwann 1988/89 ging das los, da hat ihm die Schule nicht mehr gefallen. Er hat gebummelt, ist unerlaubt Auto gefahren, hat Autos geknackt. Da gingen die Probleme mit ihm los. Man ist immer schwieriger an ihn rangekommen. Er wollte nicht glauben, dass man die Schule absolvieren und gute Leistungen bringen muss, wenn man in diesem Staat was werden will. Das hat aber nicht viel genützt. Er wurde verurteilt wegen unerlauten Fahrens. Er hat dann ein gutes Vierteljahr in der JVA Hohenleuben eingesessen. Wir dachten, dass das vielleicht hilft. Als wir ihn dort einmal besuchten, da hat er wie ein kleines Kind geheult. Aber danach hatten wir das Gefühl, dass er härter geworden ist zu sich und anderen. Wir haben uns sehr bemüht, dass er doch zu einem Abschluss kommt. Er hat ein berufsvorbereitendes Jahr gemacht. Dann kam er in die Lehre und hat den Abschluss als Maurerlehrling gemacht und hat die Zeit auch fast ohne unentschuldigte Fehlstunden absolviert. Er war froh, er konnte Geld verdienen. Er wurde auch ein Vierteljahr oder so mal eingestellt bei einer Firma. Und dann musste er wieder gehen. Dann kam noch mal eine Firma, da durfte er auch wieder gehen. Er wollte eigentlich auch arbeiten. Dann war er zu einer Firma gekommen, das war eine Drückerkolonne, und wir haben ihn da wieder zurückgeholt. Schon als Maurerlehrling hat er Kontakt nach Jena-Winzerla gehabt, ich weiß nicht, ob die Zschäpe da schon mit dabei gewesen ist und der Mundlos. Das waren nette junge Leute. Mit denen konnte man reden. Das, was jetzt verhandelt wird, ist höchstens unterschwellig bei uns angekommen. Dass mein Sohn irgendwelche Waffen zu Hause gelagert hätte oder auch Kleidung, die ihn als Rechten ausgeben, das gab es bei uns nicht. Im Großen und Ganzen hat er sich an die Vorgaben, die ich gemacht habe, gehalten – zu Hause.

Götzl Was waren das für Vorgaben?

Böhnhardt Dass er sein Zimmer in Ordnung hält, dass er höflich ist, im Garten mitarbeitet und die Hausarbeit mitmacht.

Götzl Welche Kleidung hat Ihr Sohn getragen?

Böhnhardt Wenn er mit uns unterwegs gewesen ist, hat er ganz normale zivile Kleidung getragen. Wie sie jeder trägt. Stiefel durfte er bei uns auch nicht tragen, das haben wir nicht geduldet.

Götzl Wenn Sie es nicht geduldet haben, heißt es aber, dass er es versucht hat. Versuchen Sie es mal zu erklären. Zwischen Ihren Äußerungen tauchen da auch Fragen auf. Da würde ich Sie bitten, das gleich umfassend zu schildern!

Böhnhardt Wir haben Bilder gesehen, wo sie demonstriert haben, da hat er die getragen, das wurde uns auch von der Polizei gezeigt. Wir sind damit nicht einverstanden gewesen.

Götzl Wann haben Sie die Bilder gesehen?

Böhnhardt Immer zu spät. 1996,1997. Immer zu spät, um richtig eingreifen zu können.

Götzl Was waren das für Bilder?

Böhnhardt Bilder, wo die Rechten Aufzüge gemacht haben, mit Fahnen. Und der V-Mann vorneweg, der Tino Brandt in der ersten Reihe.

Götzl Welche Rolle Ihres Sohnes haben Sie wahrgenommen?

Böhnhardt Er war mittendrin. Und dann hat man es in der Zeitung gesehen. Das waren auch krasse Bilder. Da hat er den Mund auf und brüllt. Vielleicht war das auch auf dem Sportplatz. Man kann ja Schnappschüsse machen und die ganz anders kommentieren.

Götzl War es auch zu spät, um insgesamt zu reagieren?

Böhnhardt Na, wir haben ja versucht zu reagieren. Dass er ein ganz normaler Bürger wird. Ich weiß auch nicht, woher er so ein Gedankengut herhat. Ich kenne keinen aus der Verwandtschaft oder Freunde, die so eine Meinung vertreten haben. Und er hat auch nicht mit uns diskutiert. Keiner von seinen Freunden, die mit bei uns gewesen sind.

Götzl Welche politische Meinung hat Ihr Sohn denn vertreten?

Böhnhardt Das, was ihm hier angekreidet wird, dass er ein radikaler rechter Neonazi sein soll – das haben wir überhaupt nicht geahnt.

Götzl Sie sagten, es wäre nicht diskutiert worden …

Böhnhardt Wir haben diskutiert, als wir die Bilder sahen. Was machst du da? Was willst du da? – Ach, das darfst du nicht so ernst nehmen! – Da ist nicht viel rausgekommen. Wenn man ihn in die Enge getrieben hat, dann könnte ich mir vorstellen, dass er einfach gesagt hat: Ich gehe in mein Zimmer. Das kann auch sein. Da habe ich den Ernst der Lage aber immer noch nicht erkannt.

Götzl 1987 wurde Ihr Sohn zu zwei Jahren Haft verurteilt. Worum ging es da, was hat Ihr Sohn gesagt?

Böhnhardt Dass das alles ein bisschen übertrieben wurde, mit seinen Messern und seinen Waffen, die er angeblich hat. Ich bin überhaupt kein Freund von Waffen. Aber ein Taschenmesser würde ich nicht als Waffe bezeichnen.

Götzl Ging es um ein Taschenmesser oder etwas anderes?

Böhnhardt Es ging auch um eine Zwille, das ist etwas, wo man auf Vögel schießen kann mit einem Gummi oder so was. Da wusste ich auch nicht, dass das eine Waffe sein kann.

Götzl Meinen Sie, man hat Ihren Sohn zu hart angefasst?

Böhnhardt Das will ich nicht unbedingt sagen. Aber wenn ich die Bilder von den Waffen sehe, die sie aus unserer Wohnung rausgeholt haben, dann kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die alle ihm gehört haben. Ich kann mir schon vorstellen, dass ihm mal die Hand ausgerutscht ist, vielleicht auch ein bisschen mehr. Find ich nicht richtig, ich bin absolut gegen Gewalt. Rechtsradikalismus und Waffen, das war immer das Thema der Vorwürfe der Polizei.

Götzl Haben Sie ihn darauf angesprochen?

Böhnhardt Die Antwort war so: Ach das ist nicht so schlimm, alles harmlos. Das ist so ein bisschen negiert worden. Ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte. Gefunden wurde bis auf Kleinigkeiten eigentlich nichts. Wir haben auch das Gefühl gehabt, dass die Polizei auch in der Zeit da gewesen ist, als wir nicht da waren.

Götzl Wie oft gab es Durchsuchungsmaßnahmen?

Böhnhardt Vier oder fünf Mal. Und es war uns immer ein bisschen unangenehm, wenn so ein Haufen Leute auftauchte. Aber es ist uns nie ein direkter Vorwurf gemacht worden im Haus. Wir wurden auch gefragt: Warum haben Sie Ihren Sohn nicht rausgeschmissen, an die Luft gesetzt? Ich weiß nicht, ob das die Lösung gewesen wäre. Wenn es dann genauso gekommen wäre, hätte man uns vorgeworfen, dass wir uns nicht gekümmert hätten.

Götzl Wie hat sich die Beziehung zu Beate Zschäpe und Uwe Mundlos entwickelt?

Böhnhardt Ich habe es erst mitgekriegt, als unser Uwe und Beate ein Pärchen gewesen sind und er sie mitgebracht hat. Das war 1996 oder 1997, ich weiß es nicht genauer. Eine nette, freundliche junge Frau, zurückhaltend, war bereit, was zu lernen, was eine Frau eben machen muss: backen, kochen. (Lachen im Publikum.) Sie lachen, ist aber so. Sie war sich nicht zu fein, mitzumachen.

Götzl Können Sie auch Uwe Mundlos beschreiben?

Böhnhardt Ein netter, freundlicher, intelligenter junger Mann, der auch von technischen Dingen, gerade Computerdingen, relativ viel Ahnung hat. Das hatte der andere Uwe, also mein Uwe, gar nicht.

Götzl Wie sind die drei miteinander umgegangen?

Böhnhardt Wie gute Freunde, höflich, sie haben sich gegenseitig akzeptiert, es gab keinen Krach.

Götzl Wie ging es weiter nach dem Verschwinden Ihres Sohnes?

Böhnhardt Die Polizei kam und hat uns ausgehorcht. Wir haben auch gefragt: Wissen Sie, wo er ist? Er kann doch nicht einfach so verschwinden. Wir haben uns auch mal mit dem Ehepaar Mundlos unterhalten. Der Herr Mundlos, der Herr Professor Mundlos, so viel Zeit muss sein, war der Meinung, dass sein Sohn damit nichts zu tun hat. Und allein unser Sohn ihn auf die schräge Bahn gebracht hat. Wir konnten das nicht so ganz akzeptieren, aber wir kamen auch nicht zu Wort.

Götzl Haben Sie dann wieder Informationen von Ihrem Sohn bekommen?

Böhnhardt Wir hatten eine Nachricht im Briefkasten, dass wir uns in einer Telefonzelle einfinden sollten, da werden wir angerufen. Wir wussten gar nicht, dass es diese Möglichkeit gibt. Meine Frau und ich haben uns an einen Hörer geklemmt. Unsere Forderung war: Kommt zurück, stellt euch, ihr macht es nicht besser! Aber sie waren nicht zu bewegen.

Götzl Kam es dann auch zu Treffen?

Böhnhardt 1999, 2000 und 2002 haben wir uns getroffen. Zuerst in Chemnitz, nahe der Kaufhalle. Das war für uns eine schwierige Situation: Machen wir das oder nicht? Und wir hatten Angst, erwischt zu werden. Das hat mir gar nicht behagt. Wir haben mit allen dreien gesprochen. Direkt schlecht sahen sie nicht aus, aber auch nicht sehr gut. Ich nehme an, der Untergrund hat ihnen zu schaffen gemacht.

Götzl Haben Sie erfahren, wie sie leben?

Böhnhardt Sie haben nur gesagt, sie haben Arbeit, sie können Geld verdienen. Womit kann ich Ihnen nicht sagen. Unsere einzige Forderung war: Stellt euch, es kann nicht gut gehen! Der Verfassungsschutz war ja immer an uns dran, wo sie sind. Und dass man einen Deal machen könnte, wenn sie sich stellen. Der Deal ist aber geplatzt.

Götzl Warum?

Böhnhardt Wir sollten noch mal mit den Kindern sprechen, ich sage jetzt mal Kinder, das waren alles unsere Kinder. Und sie sagten: Nein, nicht ums Verrecken! Sie sagten, wir bleiben zusammen.

Götzl Waren sich da alle einig?

Böhnhardt Wir haben auch einzeln mit den Kindern gesprochen, auch mit Beate. Nein, wir bleiben zusammen, hieß es.

Götzl Wurde eine Begründung angegeben?

Böhnhardt Nein, die wollten nicht in den Bau. Ich sag noch was zu 2002: Wir haben sie am Wochenende getroffen und waren zwei Stunden zusammen. Sie wollten uns noch mal sehen. Mein Sohn hat Fragen zur Enkeltochter gestellt, die in die Schule kam. Der war er sehr zugetan. Sonst war er so hart, und da konnte er so zahm sein, sich mit ihr freuen und spielen. Wir haben sie wieder aufgefordert: Kommt zurück. Aber sie meinten: Nein, wir gehen jetzt fort, wir treffen uns nicht wieder. Da war das Heulen groß, von beiden Seiten. Dann sind wir weggefahren und haben nie wieder was gehört – bis zum November 2011.

Götzl Können Sie zum Telefonat vom 5.11.2011 etwas sagen?

Böhnhardt Ja. Das war in der Früh gegen sieben Uhr. Ich war zu Hause noch im Bett, als wir erfahren haben, dass die Uwes tot sind. Und dass unser Uwe es gewünscht hat, dass die Beate Zschäpe uns anruft und es mitteilt, falls was passiert. Sie hatte nicht viel Zeit. Meine Frau sagte: Was ist los, was ist los? Dann sagte sie, dass die beiden Uwe tot sind. Und dass wir uns die Nachrichten im Fernsehen anschauen sollten. Sie müsse jetzt noch Familie Mundlos anrufen. Und dann haben wir ja mitbekommen, dass sie erschossen worden sind und dass der Wohnwagen gebrannt hat. Darf ich da mal in dem Zusammenhang mein Beileid ausdrücken den Leuten, die Opfer geworden sind von den Uwes. Dass mir das unendlich leidtut, was da passiert ist. Ich kann mich da gut reinversetzen. Beim Uwe Böhnhardt war es ja auch so, dass er erschossen wurde. Er hat böse Sachen gemacht, gemeingefährliche Sachen, wenn das alles so gewesen ist. Was ich nicht abstreiten kann.

Verteidiger Pausch Ich möchte besser verstehen, wie die Interaktion mit Ihrem Sohn war. Wie viel Zeit haben Sie mit ihm verbracht?

Böhnhardt Ich habe nicht übermäßig viel Zeit gehabt für meinen Sohn. Aber nach Vorfällen haben wir schon abends geredet, da hat er uns versprochen, sich zu bessern. Aber nach einiger Zeit ging es dann wieder los.

Verteidiger Pausch Erzählen Sie, wie haben Sie argumentiert? Sie schildern immer nur einen Satz.

Böhnhardt Sie haben Recht, ich bin da kürzer angebunden. Meine Frau hat da einen längeren Atem. Ich habe versucht zu sagen, so geht das einfach nicht. Man kann sich nicht einfach über die Gesetze hinwegsetzen. Doch, kann ich, hat er gesagt. Er hat zum Beispiel mal ein Auto oben in Mecklenburg in den Sand gesetzt, im Wortsinne. Dann ist er mit der Bahn zurückgekommen und die Bahnpolizei hat ihn zurückgebracht. Dann sind wir mit ihm hochgefahren und haben das der Polizei gemeldet. Dann hat der Besitzer gesagt: Taschenlampe, Computer und Fernglas fehlen. Da hat Uwe gesagt: Taschenlampe stimmt, der Rest nicht. Und ich habe gesagt: Siehst Du, und ein Auto nimmt man auch nicht.

Pausch Hat er Sie in der Zeit ohne Arbeit mal um Rat gefragt?

Böhnhardt Um Rat gefragt, würde ich nicht sagen. Aber wenn ich gesagt habe: Heute wird im Garten gearbeitet oder das Auto gewaschen, dann hat er das gemacht.

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