Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 110
Tag 92
Оглавление12. März 2014
Manfred Götzl, Richter. Lutz Irrgang, 72, ehemaliger Leiter des Verfassungsschutzes Hessen. Herbert Diemer Vertreter der Bundesanwaltschaft. Thomas Bliwier, Alexander Kienzle, Anwälte der Nebenklage.
Götzl Es geht uns um die Gespräche zwischen Andreas Temme und Ihnen, nach dem 6.4.2006. Was können Sie uns berichten?
Irrgang Im Frühsommer 2006 habe ich Andreas Temme die Suspension ausgehändigt und bei diesem Verwaltungsakt gesagt, daran erinnere ich mich noch sehr deutlich: Wenn er mir noch irgendetwas zu diesem Sachverhalt zu sagen habe, dann wäre das jetzt der letztmögliche Zeitpunkt. Wörtlich habe ich gesagt: Sie haben jetzt einen kleinen Jungen. Denken Sie daran, was Sie ihm schuldig sind. Darauf sagte er, er habe mir nichts zu sagen.
Götzl Kannten Sie Herrn Temme persönlich vor der Suspension?
Irrgang Ja, natürlich, das Amt ist ja nun nicht so groß. Ich hatte ihn allerdings nicht eingestellt. Es war damals keine einfache Situation. Zeitweise wurde das Amt sehr verkleinert, dann zeigte sich aber, dass die Personalausstattung nicht ausreichte. Und mein Vorgänger hat das Angebot aufgegriffen, dass überzählige Postbeamte eine Chance bei uns bekommen sollten. Dazu gehörte Andreas Temme.
Götzl Sie hatten die Unruhe geschildert, die herrschte nach der Verhaftung Temmes. Wie hat sich denn für Ihr Haus seine Rolle dargestellt?
Irrgang Nach der ersten Aufregung fand das Haus zu seiner Disziplin zurück. Die Polizei machte ihre Ermittlungen. Es war dann so, dass ich im Frühsommer einen Anruf bekam, ich meine von den Ermittlern selbst, man schlug ein Gespräch vor. Da habe ich mich erkundigt, ob der Polizeipräsident dabei ist und ein Staatsanwalt. Das konnte man mir nicht zusagen. Daraufhin habe ich gesagt, dann möchte ich vorerst auf das Gespräch verzichten. Eine Woche später wurde dann Herr Temme als Verdächtiger in der Öffentlichkeit genannt. Dann gab es natürlich parlamentarische Aktivitäten. Es wurde ein Gespräch mit dem Generalstaatsanwalt des Landes Hessen angesetzt, da bin ich natürlich sofort erschienen. Wir haben uns geeinigt, dass die Dinge in Frageform an uns gerichtet werden, die die Staatsanwaltschaft braucht. Die Staatsanwaltschaft wollte ja die Quellen wissen, die Andreas Temme geführt hat. Ich habe aber auf die Risiken hingewiesen: Es waren zumindest zwei Quellen von einiger Bedeutung dabei, die lagen im Ausländerbereich. Das Ministerium hat dann ein Votum der Bundesbehörde eingeholt, die wiederum von der Offenlegung abriet. Ich ging dann in Pension, die schriftliche Beantwortung der Fragen erfolgte dann durch meinen Nachfolger.
Götzl Meine Frage ist: Was war der Stand Ihrer Informationen über die Rolle des Herrn Temme bezogen auf die Ereignisse am 6.4.2006, dem Tag des Mordes im Internetcafé?
Irrgang Mit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft galt für mich uneingeschränkt die Unschuldsvermutung.
Götzl Es ist einer Ihrer Mitarbeiter als Verdächtiger in einem Mordfall verhaftet worden, wollten Sie da nicht möglichst schnell Klärung herbeiführen, welche Rolle er spielte? Es geht doch um einen Sachverhalt, der für Ihre Behörde Konsequenzen haben kann.
Irrgang Ich darf Sie erinnern, dass das Landespolizeipräsidium sich jegliche Einmischung verbat, deshalb hielten wir uns restlos zurück. Es war für uns zunächst nichts weiter zu tun. Wir mussten versuchen, unsere Quellen zu retten.
Bundesanwalt Diemer Was hätte Andreas Temme zu befürchten gehabt, wenn Sie schon früher erfahren hätten, dass er im Internetcafé war, um dort privat zu chatten?
Irrgang Ich bin noch ein alter Berufsbeamter und halte das für ein Unding. Es hat uns alle ziemlich entsetzt, dass sich Herr Temme dort aufgehalten und vergnügt hat. Ich hätte das nicht gebilligt.
Anwalt Bliwier Haben Sie eigentlich mitbekommen, dass es eine Telefonüberwachung gegeben hat bei Herrn Temme?
Irrgang Das hat uns große Schwierigkeiten gemacht, weil gleichzeitig unsere Dienstgeschäfte abgehört wurden.
Anwalt Bliwier Wann haben Sie erfahren, dass es eine Überwachung gegeben hat?
Irrgang Relativ spät. Wir haben das erfahren, weil sich Kollegen beschwert haben, dass sie observiert worden sind bei Treffen.
Anwalt Kienzle Können Sie sagen, wie Sie die Mordserie betrachtet haben?
Irrgang Die Polizei ging ja davon aus, dass es sich um ein internes Problem der betroffenen Bevölkerung handelte. Wir haben uns natürlich auch Gedanken gemacht. Für mich war es ein ganz gravierender Moment, als offenbar wurde, dass ein Verfassungsschützer ganz in der Nähe der Tat war. Weil, wer auch immer die Verantwortung für die Taten hat, sich irgendwie neu positionieren muss, weil er das vielleicht auf sich bezogen hat. Ich habe mir Gedanken gemacht, wie das auf den Täter wirkt und was das sowohl für die Aufklärung des Falles als auch für den Fortgang der Verbrechen bedeuten könnte. Ich hielt das für so brisant, dass ich das nur als handschriftlichen Vermerk zu den Akten gegeben habe. Meine persönliche Überlegung war, dass es auf Jahre hin nicht gelingen wird, das aufzuklären.
(Als nächster Zeuge betritt erneut Andreas Temme den Saal. Er bleibt dabei, dass er sich an kaum etwas erinnere. Als Verteidiger Heer sagt, seine Mandantin könne sich nicht länger konzentrieren, wird Temmes Befragung unterbrochen.)