Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 116
Tag 98
Оглавление26. März 2014
Manfred Götzl, Richter. Juliane W., 32, Verkäuferin in Jena. Herbert Diemer, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Wolfgang Stahl, Verteidiger von Beate Zschäpe. Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Angelika Lex, Anwältin der Nebenklage.
Götzl Wann haben Sie Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben kennengelernt?
Juliane W. Den Ralf hab ich kennengelernt, als ich fünfzehn war. Irgendwann waren wir halt zusammen. Die anderen habe ich dann halt auch kennengelernt, im Jugendklub, weil das ja auch sein Freundeskreis war. Es könnte 96 oder 97 gewesen sein. Anfang ’99 haben wir uns getrennt.
Götzl Wann war das letzte Zusammentreffen mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe?
Juliane W. Der letzte Kontakt mit Herrn Böhnhardt war am Tag des Verschwindens der drei. Da haben Böhnhardt und Henck mich bei der Schule abgeholt mit dem Satz: Du musst mitkommen, sonst muss der Ralf ins Gefängnis. Als junger Mensch geht man dann halt mit. Mit dem Volker Henck bin ich dann nach Erfurt gefahren, um den Ralf zu informieren. Das ging alles viel zu schnell an dem Tag, ich kann das nicht so wiedergeben, wie Sie das vielleicht gerne hätten.
Götzl Erzählen Sie doch einfach mal den Ablauf.
Juliane W. Ich bin mit Volker Henck nach Erfurt gefahren, um dem Ralf das mitzuteilen, dass eine Durchsuchung erfolgt, und ich bin getrennt vom Ralf wieder mit dem Volker nach Jena gefahren. Ralf ist separat gefahren.
Götzl Wie ging es dann weiter?
Juliane W. So weit ich mich erinnern kann, wurde ich zu Herrn Mundlos an die Wohnung gefahren, wo die Polizei auch schon vor Ort war. Ich sollte ursprünglich Sachen aus der Wohnung holen: T-Shirts, Pullis, keine Ahnung. Natürlich habe ich dann keine Sachen mitgenommen. Ich bin gegangen. Mir wurde dann gesagt, dass ich noch zur Beate in die Wohnung soll. An dem Tag habe ich nichts weiter gemacht.
Götzl Waren Sie denn jetzt in Beates Wohnung?
Juliane W. Ich denke schon.
Götzl Ich habe Sie belehrt, dass Sie nichts verschweigen dürfen.
Juliane W. Ich kann mich ja nur auf das berufen, was ich bei der Polizei gesagt habe.
Götzl Sie sagen mir, was Sie wissen! Und zwar vollständig!
Juliane W. Ich kann mich an zwei blaue Tüten erinnern.
Götzl Wie kamen Sie in die Wohnung?
Juliane W. Meine Vermutung: Ich hab einen Schlüssel bekommen.
Götzl Von wem?
Juliane W. Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr sagen.
Götzl Was haben Sie mitgenommen?
Juliane W. Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht.
Götzl Was haben Sie mit den Sachen gemacht?
Juliane W. Ich habe sie zu Herrn Henck ins rote Auto gebracht, das stand vor der Tür. Ich habe dann nicht mehr mitgemacht. Ich bin dann nach Hause gegangen.
Götzl Wie sind Sie nach Hause gekommen?
Juliane W. Zu Fuß. Oder mit der Linie 13.
Götzl Was haben Sie mit dem Schlüssel gemacht?
Juliane W. Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.
Götzl Noch mal zurück zu dem Zeitpunkt, als man Sie an der Schule abgeholt hat. Wie soll ich mir das Gesprach vorstellen?
Juliane W. Herr Henck und Herr Böhnhardt waren bei mir an der Schule. Sie haben mich aus dem Unterricht geholt. Ich soll mitkommen, da Ralf sonst ins Gefängnis muss. Ich bin dann wieder rein, habe dem Lehrer gesagt, dass ich krank bin. Und als ich wieder raus bin, war der Uwe Böhnhardt nicht mehr da. Ich bin dann mit Volker mitgefahren.
Götzl Wie haben Sie das denn eingeordnet mit dem Gefängnis?
Juliane W. Ich konnte das gar nicht einordnen, weil ich gar keine Informationen hatte. Auch von der Garagendurchsuchung habe ich erst aus den Medien erfahren.
Götzl Klingt nicht überzeugend, Frau W. Ich kann es auch gar nicht nachvollziehen. Ralf müsste eventuell ins Gefangnis, Sie sollten ihn informieren. Was haben Sie ihm denn gesagt?
Juliane W. Weiß ich nicht. Ich war sehr jung, ich hatte Angst um meinen Freund, ich wusste nicht, worum es geht, definitiv nicht.
Götzl Zu welchem Zweck fuhren Sie jetzt nach Erfurt?
Juliane W. Ich habe mir Sorgen um meinen Freund gemacht. Ab wann und was ich mit ihm gesprochen habe, kann ich Ihnen nicht sagen. Keine Ahnung, ob man das nachvollziehen kann. Wenn man sich Sorgen macht um seinen Freund, versucht man schon, alle Hebel in Bewegung zu setzen, dass man mit ihm spricht.
Götzl Was haben Sie denn später gemacht in der Wohnung von Herrn Mundlos?
Juliane W. Sie machen es mir echt schwer.
Götzl Ja, ich mache es Ihnen schwer. Aber Sie machen es mir auch schwer.
Juliane W. Ich konnte keine Sachen rausholen, weil die Polizei da war. Mir wurde nur gesagt, ich sollte die Sachen holen. Ich wusste nichts. Ich wusste auch nichts von der Flucht. Ich war damals sehr jung, naiv. Ich war 17. Ich habe eigentlich nur gemacht, was mir gesagt wurde.
Götzl Wie war es denn mit Herrn Kapke – hatten Sie an dem Tag mit ihm Kontakt?
Juliane W. Kann ich Ihnen nicht sagen.
Götzl (schweigt länger)
Juliane W. Sie merken ja auch selbst: Das Schildern fällt mir schwer. Deshalb habe ich auch gebeten, dass Sie konkrete Fragen stellen.
Götzl Ich stelle die ganze Zeit Fragen, Frau W.!
Verteidiger Stahl (zu Götzl) Seien Sie nicht böse, ich würde mir wünschen, dass Sie mal einen BKA-Beamten, der sich nicht erinnern kann, so befragen. Sie fragen ganz schön scharf!
Götzl Das steht Ihnen in dem Moment nicht zu! Es ist notwendig, dass man nachfragt! (Götzl schickt die Zeugin aus dem Saal.)
Verteidiger Stahl Ich denke schon, dass es mir zusteht, das zu sagen. Ich gewinne den Eindruck, dass es hier zwei unterschiedliche Zeugenbefragungen gibt. Wir haben schon BKA-Beamte gehabt, die sich nicht erinnern können, was Kern ihrer Tätigkeit war. Die werden dann mit Samthandschuhen angefasst.
Götzl Das kann ich nicht nachvollziehen. Und jetzt?
Verteidiger Stahl Ich merke ja, wie harsch Sie werden. Es wirkt nicht sehr neutral.
Bundesanwalt Diemer Ich sehe hier keinerlei prozessordnungswidriges Verhalten. Dass der Vorsitzende zur Wahrheit verhelfen will, ist respektabel.
Anwältin Lex Es ist vollkommen absurd, diese Vorwürfe. Es würde ja zur Folge haben, dass hier jeder Zeuge sich auf den Stuhl setzen und sagen kann, er könne sich nicht erinnern. Die Befragung war keineswegs harsch. Hier sind schon Zeugen aufgetreten, die es verdient hätten, harscher befragt zu werden.
Verteidiger Klemke Nach den Äußerungen von Frau Lex ist wohl die Jagdsaison auf Zeugen eröffnet. Es ist sechzehn Jahre her. Die Zeugin hatte in der Zwischenzeit andere Partner. Was früher war, ist überlagert durch andere Ereignisse. (Die Zeugin wird wieder in den Saal gerufen.)
Götzl Wo wollten Sie Herrn Wohlleben denn in Erfurt treffen?
Juliane W. An seiner Berufsschule. Ob ich da dann rein bin oder der Volker, das weiß ich nicht mehr.
Götzl Wie war denn die Situation nach diesem Tag? Haben Sie sich mit Ralf Wohlleben über die drei unterhalten?
Juliane W. Ich hab ja mitbekommen, dass die drei weg waren. Ich habe auch nachgefragt, ob er weiß, wo die drei sind. Das hat er verneint.
Götzl Haben Sie mit ihm denn darüber gesprochen, warum die drei verschwunden sind?
Juliane W. Das konnte ich dann ja der Presse entnehmen. Dass die Polizei eine Bombenwerkstatt hochgenommen hat. Ich hab den Ralf auch gefragt, ob er was davon wusste. Und da hat er gesagt, dass er das nicht wusste. Und auch nicht, wo die drei sich aufhalten.
Götzl Nun hatten Sie ja die Information von Uwe Böhnhardt, dass er fürchtet, dass Ralf Wohlleben verhaftet wird.
Juliane W. Ich hatte ja an die Demonstrationen gedacht. Ich habe ja wirklich alles mehr oder weniger aus der Presse entnommen. Ich habe nicht näher nachgehakt, weil ich mir auch gesagt hab, mich persönlich geht’s nichts an.
Götzl Sie sind doch die Freundin von Ralf Wohlleben gewesen. In der Presse stand doch etwas anderes als das mit den Demonstrationen. Und da haben Sie nicht mit ihm drüber gesprochen?
Juliane W. Ich hab den Ralf so kennengelernt, dass er ein total netter junger Mann war, auch sich emotional um die Leute gekümmert hat – aber nicht, dass er etwas zu verbergen hatte.
Götzl Hatten Sie Kontakt zu Mundlos’ Eltern?
Juliane W. Der Vater stand an einem Tag vor der Tür, hat richtig Theater gemacht, hat mich auch mal verfolgt, sich verkleidet, wollte wissen, wo die drei sind. Von der Polizei habe ich gehört, dass ich mal bei der Mutti war und fragte, ob sie ein Konto einrichten könnte für die drei. Das ist auch den Akten so zu entnehmen.
Götzl War es denn so?
Juliane W. Ich wusste das nicht mehr. Es ist durchaus möglich, dass das so war.
Götzl Hatten Sie je Kontakt zum Verfassungsschutz?
Juliane W. Ich wusste zu der Zeit nicht, dass es der Verfassungsschutz ist. Ich dachte, es wäre die Polizei. Die sind mit mir zum Auto gegangen und haben mich gefragt, ob ich wüsste, wo die drei sind. Die haben mir dann hundert Mark gegeben. Dann weiß ich noch von einem zweiten Treffen, auf dem Weg nach Hause. Sie haben mich wieder gefragt, wo die drei sind. Ich konnte auch nicht sagen, ob der Ralf was weiß. Ich hab wieder hundert Mark bekommen, hab das blauäugig angenommen.
Götzl Hatten Sie nicht die Überlegung, Sie müssten den Herrn Wohlleben informieren?
Juliane W. Die haben ja zu mir gesagt, dass der Ralf das nicht erfahren soll. Und dafür haben die mir ja auch Geld gegeben, dass ich nichts sage. Beim ersten Treffen war mir auch nicht sofort bewusst, dass es der Verfassungsschutz ist. Und wie gesagt, das Geld hab ich genommen für mich. Sicherlich hätte ich mit dem Ralf drüber reden können, aber ich hab es halt nicht getan.
Götzl Im Protokoll Ihrer polizeilichen Vernehmung heißt es, Sie seien mit Volker Henck nach Erfurt gefahren. »Nach kurzer Zeit kam der Volker wieder und sagte zu mir, dass er den Ralf nicht angetroffen hat. Hierauf fuhren wir zurück nach Jena und begaben uns in die gemeinsame Wohnung von Ralf und mir.« Dort hätten Sie Ralf angetroffen, der aber gleich wieder wegging, weil er noch einiges zu erledigen hätte. Abends hätten Sie ihn gefragt, was die Aktion gesollt hätte. »Er sagte zu mir sinngemäß, die drei mussten verschwinden, ich muss mir keine Sorgen um ihn machen.« Was sagen Sie dazu?
Juliane W. (schweigt länger) Kann sein, dass das so war. Ich habe das nicht alles im Kopf. Ich rede im Moment nur um den heißen Brei herum. Sie fangen ja schon an zu grinsen. Stützen Sie sich doch einfach auf meine damalige Aussage.
Götzl Weil ich mir überlege, wie Sie sich das vorstellen – dass Sie sich einfach nur auf Ihre Aussage bei der Polizei im Jahr 2012 stützen?
Juliane W. Sie wollen mich jetzt ins Rudern bringen. Sie haben gelogen, dass sagen Sie mir doch jetzt im Prinzip durch die Blume. Soll ich mich jetzt auch noch darüber setzen? (zeigt auf die Anklagebank)
Verteidiger Stahl Herr Vorsitzender, ich muss das Zwiegespräch zwischen ihnen und der Zeugin unterbrechen. (Die Zeugin wird rausgeschickt.) Ich beanstande Ihren Vorhalt und Ihre Frage an die Zeugin: Was sagen Sie denn dazu? Im Vorhalt steht, Herr Wohlleben habe sinngemäß gesagt, die drei mussten verschwinden. Das hat die Zeugin doch heute Morgen so gesagt. Ihre Frage kann nur dem Zweck dienen, die Zeugin weiter zu verunsichern.
Götzl (wirkt empört.) Die Zeugin sagte, Herr Wohlleben habe nichts gesagt. Hier nun doch. Das ist ein Unterschied!
Verteidiger Stahl Jetzt seien Sie doch nicht mit mir grantig.
Götzl Was heißt denn jetzt grantig. Ich war heute schon harsch, jetzt bin ich grantig.
(Stahl zieht seine Beanstandung zurück, die Zeugin kommt wieder in den Saal. Ihre Befragung geht weiter und wird auch am nächsten Tag fortgesetzt.)