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Tag 99

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27. März 2014

Manfred Götzl, Richter. Norbert Wießner, 67, früherer V-Mann-Führer des Landesamts für Verfassungsschutz Thüringen.

Götzl Es geht um den V-Mann Tino Brandt, mit dessen Führung Sie betraut waren. Was können Sie uns zu seinem Verhalten berichten?

Wießner Ich war von 1993 bis 2001 beim Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen. Bis 1998 war ich zuständig für die Anwerbung von V-Personen. 1998 wurde das Landesamt neu strukturiert, ich wechselte ins Referat Beschaffung Rechtsextremismus. Dort blieb ich bis 2001. Nach der Enttarnung von Tino Brandt 2001 bin ich auf eigenen Wunsch ins LKA gewechselt. Dort blieb ich bis zu meiner Pensionierung 2011.

Götzl Vielleicht berichten Sie uns von den Umständen der Anwerbung von Tino Brandt.

Wießner Nach dem Auftauchen von Flugschriften der Anti-Antifa haben wir im Urheberkreis gesucht und sind so auf Tino Brandt gekommen. Weitere Schwerpunkte waren die Rudolf-Heß-Aufmärsche, die politisch unheimlich interessant waren und für Wirbel gesorgt haben. Ende 1994 wurde Tino Brandt der V-Mann-Führung übergeben, Mitte 1998 bis zu seiner Enttarnung wurde er wieder von mir geführt. Er war in dieser Zeit sehr kooperativ und hat ehrlich berichtet. Er hat über das gesamte Rechtsspektrum umfangreich und wahrheitsgemäß berichtet. Seine Hinweise wurden überprüft und haben sich bestätigt. Wir wurden von ihm nicht getäuscht oder hinters Licht geführt. Er ist als B2-Quelle eingestuft worden, das heißt, dass wir der Meinung waren, dass er genau und ehrlich berichtet hat.

Götzl Wie häufig hatten Sie Kontakt zu ihm?

Wießner Es gab wöchentlich mindestens ein Treffen, telefonisch war er rund um die Uhr erreichbar.

Götzl Hatte er einen besonderen Auftrag?

Wießner In erster Linie ging es um Erkenntnisse zur NPD, zum Thüringer Heimatschutz und um die Suche nach dem Trio. Brandt hatte zunächst die Kennnummer 2045 und den Decknamen Otto. Als er nach seiner Abschaltung nach einem Vierteljahr reaktiviert wurde, hatte er die Nummer 2150 und den Decknamen Oskar.

Götzl Wie war Brandts Verhalten im Umgang?

Wießner Er war unheimlich kooperativ und gut steuerbar. Für Geld hätte er vermutlich 24 Stunden lang Dienst gemacht. Er war bei allen Geschichten pünktlich. Die Nichteinhaltung von Treffen fand bei ihm nicht statt. Bei ihm war das entscheidende Führungsmittel Geld. In der Regel hat er 800 bis 1000 D-Mark im Monat bekommen, zusätzlich noch Telefon- und Fahrtkosten. Von 1998 bis 2001 hat er eine Summe von 1200 bis 1500 D-Mark monatlich erhalten.

Götzl Und vorher?

Wießner Kann ich Ihnen nicht sagen.

Götzl Sie sagten, es ging um die Suche nach dem untergetauchten Trio. War er auf bestimmte Personen angesetzt?

Wießner Nein, er hatte nur den Auftrag, Kontakt zu Wohlleben und Kapke zu halten, um über die beiden Informationen zum Trio zu bekommen. Das war der Ansatz. Das hat sich im Laufe der Zeit als sehr schwierig herausgestellt. Keiner weiß was, keiner sagt was, habe es ständig geheißen. Und wir konnten die Quelle ja auch nicht unnötig in Verdacht bringen, daher waren konkrete Nachfragen schwierig.

Götzl Welche Informationen bekamen Sie?

Wießner Wir erhielten Hinweise auf Thorsten Heise, dass er Auslandskontakte hat, über die man die Leute ins Ausland bringen kann. Aber aus diesen Kontaktaufnahmen ist nichts geworden. Und es gab Hinweise nach Niedersachsen zu Holger Gerlach. Das Landesamt für Verfassungsschutz Niedersachsen hat wohl daran gearbeitet, aber eine Spur zu dem Trio ist nicht gekommen. Es gab einen Observationsbericht, das war’s dann.

Götzl Und welche Erkenntnisse hatten Sie über André Kapke?

Wießner Kapke galt als sehr unzuverlässig. Ihm ist ja Geld zugeschoben worden, zur Passbeschaffung für die drei. Dass es nicht angekommen ist, hat natürlich das Misstrauen noch erhöht.

Götzl Welche Kenntnisse hatten Sie zur Stellung Brandts in der rechten Szene und im Thüringer Heimatschutz?

Wießner Der THS war ein loser Verband von sechs bis sieben Kameradschaften, gegründet wohl von Mario Brehme und Tino Brandt. Es war keine geschlossene Vereinigung.

Götzl Welche Erkenntnisse hatten Sie zu Juliane W., der damaligen Freundin von Ralf Wohlleben?

Wießner Über die Zielfahndung kam der Hinweis, dass sie mit Wohlleben liiert ist. Wir haben gemeinsam beschlossen, sie zu befragen. Das ist geschehen. Es wurde Geld übergeben und sie hat es angenommen. Aber sie konnte unsere Erwartungen nicht erfüllen. Wir wollten speziell wissen: Wie viele Handys werden von Wohlleben genützt? Wo sind noch SIM-Karten vorhanden? Wir wollten, wie gesagt, den Aufenthaltsort der drei wissen. Das war der Auftrag. Sie war nicht bereit, in der Szene irgendwelche Infos zu beschaffen. Da wurde der Kontakt abgebrochen.

Götzl Wieviele Treffen gab es mit ihr?

Wießner In etwa eineinhalb Monaten gab es drei bis sechs Treffen. Das war Anfang 1998. Pro Treff hat sie, glaube ich, 200 D-Mark bekommen.

Götzl Hatten Sie Kontakt zu den Familien Böhnhardt und Mundlos?

Wießner Ich hatte zweimal Kontakt zur Familie Böhnhardt. Andere Kollegen hatten Kontakt mit Familie Mundlos. Bei Familie Böhnhardt ging es darum, die drei mit Strafmilderung aus dem Untergrund zu holen. Eine Reduzierung von Strafe musste mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt werden. Im Grunde genommen sind wir vom ersten bis zum letzten Gespräch angelogen worden. Als dann ein Anwalt ins Spiel kam, haben wir den Kontakt beendet.

Götzl Zurück zu Herrn Brandt. Wie war da die Arbeitsweise?

Wießner Wir haben ihn meist donnerstags getroffen. Er arbeitete ja in Coburg und hatte nur eineinhalb Stunden Zeit für Treffen. Donnerstagnachmittags gab es die Sicherheitslage im Innenministerium, da wurden die Einsätze für das kommende Wochenende besprochen. Durch Brandt hatten wir da konkrete Informationen.

Götzl Wann wurde Brandt als Quelle zum ersten Mal abgeschaltet?

Wießner Das muss im Sommer 2000 gewesen sein. Da gab es die Besonderheit, dass mir die Abschaltung entzogen wurde. Das musste der Kollege Bode machen. Ich hatte mich geweigert, da Knall auf Fall hinzufahren und die Zusammenarbeit mit Brandt zu beenden.

Götzl Was war der Grund für die Abschaltung?

Wießner Der Referatsleiter hatte sich unglaublich gestört an einem NDR-Interview und daran, dass sich Brandt zum stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden in Thüringen wählen ließ. Im September oder Oktober 2000 wurde er wieder aktiviert. Tino Brandt war eigentlich die wichtigste Quelle des Amtes. Es wurden ständig Informationen abgefragt, aber ohne Brandt konnte das Amt überhaupt keine Auskunft geben.

Götzl Wie waren die Umstände der zweiten Abschaltung?

Wießner Der neue Präsident hatte entschieden, Führungskräfte in den Organisationen nicht mehr als Quelle zu führen. So kam es im Januar 2001 zur Abschaltung. Es sollte sechs Nachversorgungstreffen geben. Am 1. Mai 2001 war ein NPD-Aufmarsch in Frankfurt am Main, unter Beteiligung der Thüringer Leute. Das hat relativ hohe Wellen geschlagen. Vom Präsidenten hieß es: Wir brauchen Informationen zu der Veranstaltung. Und dieser Treff mit Brandt am 6. Mai ist dann vom Amt aus verraten worden. Der Referatsleiter hat einen Trupp zusammengestellt, um mit eigenen Leuten den eigenen Treff zu observieren. Ein unmöglicher Vorgang. So ist es zur Veröffentlichung gekommen und das Amt hatte keine Chance mehr, Brandt als Quelle zu behalten.

Götzl Wir unterbrechen an dieser Stelle Ihre Einvernahme und werden Sie erneut laden. Vielen Dank, Herr Wießner.

Der NSU Prozess

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