Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 113
Tag 95
Оглавление19. März 2014
Manfred Götzl, Richter. Carsten R., 36, Personalsachbearbeiter aus München. Herbert Diemer, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Alexander Hoffmann, Gül Pinar, Alexander Kienzle, Anwälte der Nebenklage.
Götzl Was können Sie zu einer Wohnung in der Altchemnitzer Straße 12 in Chemnitz sagen? Es geht um das Jahr 1998.
Carsten R. Dass ich die Wohnung auf meinen Namen angemietet und zur Nutzung überlassen hab. Ich hab damals in Chemnitz gelebt. Und da ist man auf mich zugekommen und hat gefragt, ob die drei Personen dort unterkommen können. Ja, okay, mach ich, habe ich gesagt. Die Wohnung war schon ausgesucht. Ich musste nur noch zur Wohnungsübergabe und den Mietvertrag unterschreiben.
Götzl Sie tun so, als sei das das Selbstverständlichste der Welt.
Carsten R. Man hat mich halt gefragt, dann habe ich’s gemacht.
Götzl (Er lacht.) Praktisch zu wissen, könnte man jetzt sagen.
Carsten R. Man brauchte halt irgendjemanden, der nicht polizeibekannt ist. Da habe ich mich beziehungsweise meinen Namen entsprechend zur Verfügung gestellt.
Götzl Wer brauchte jemanden, der nicht polizeibekannt war?
Carsten R. Das weiß ich eben nicht mehr. Das kann ich nicht mehr sagen.
Götzl War das ein Passant oder sonst jemand? Ich bitte Sie!
Carsten R. Das war jemand aus dem Freundeskreis.
Götzl Ich hab Sie auch belehrt, dass Sie nichts verschweigen dürfen.
Carsten R. Ja.
Götzl Freundeskreis. Können Sie das Stichwort füllen?
Carsten R. (schweigt)
Götzl Können Sie mir erklären, wie es der Freundeskreis gewesen sein kann, wenn Sie gar keine Personen vor Augen haben?
Carsten R. Der Freundeskreis war größer.
Götzl Dann erzählen Sie mir von Ihrem größeren Freundeskreis.
Carsten R. Das kann ich nicht.
Götzl Wie viele Freunde hatten Sie damals?
Carsten R. Viele. Ich will keine Namen nennen, um niemand in Verbindung zu bringen. (Nach längerem Hin und Her, sagt er, dass ein Ralf H. ihn angesprochen habe.)
Götzl Um welche drei Personen ging es denn?
Carsten R. Um die Frau Zschäpe, den Herrn Mundlos und den Herrn Böhnhardt.
Götzl Warum benötigten die drei eine Wohnung?
Carsten R. Ich wusste nur, dass die drei abhauen mussten und Unterschlupf brauchten. Warum, hat man mir nicht gesagt. Ich habe auch nicht nachgefragt.
Götzl Warum nicht?
Carsten R. Es hat mich nicht interessiert. Es war für mich aus Kameradschaft selbstverständlich, die Wohnung anzumieten. Ich hatte auch keine Nachteile dadurch.
Götzl Waren Sie selbst in der Wohnung?
Carsten R. Ja, einmal im Monat bin ich da vorbeigegangen, um zu gucken, ob alles in Ordnung ist, ob sie irgendwas brauchen. Mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatte ich so gut wie gar nichts zu tun. Den Hauptkontakt hatte ich zu Frau Zschäpe.
Götzl Wie lange haben die drei dort gelebt?
Carsten R. Nicht ganz ein Jahr, glaube ich.
Götzl Waren Sie damals in der rechten Szene?
Carsten R. Ja.
Götzl Was verstehen Sie unter rechter Einstellung?
Carsten R. Dass nicht alles schlecht war im Dritten Reich. Dass man gegen die Asylpolitik war.
Anwalt Hoffmann In den Jahren nach dem Untertauchen des Trios gab es Fahndungsaufrufe mit Fotos. Haben Sie so was mal mitgekriegt?
Carsten R. Nein. Das Thema war für mich erledigt nach dem Auszug.
Anwältin Pinar Es ist Ihnen egal gewesen, weswegen die gesucht wurden?
Carsten R. Ja. Ich hab nicht darüber nachgedacht, ob die Schokoriegel geklaut oder jemanden umgebracht haben.
Anwältin Pinar Was waren denn Ihre Gedanken?
Bundesanwalt Diemer Ich beanstande diese Frage.
Anwältin Pinar Es ist so beachtlich, wann sich die Bundesanwaltschaft in diesem Verfahren regt und wann nicht.
Bundesanwalt Diemer Der Zeuge soll Wahrnehmungen bekunden, nicht Einstellungen rechtfertigen. Wir sind hier nicht das Jüngste Gericht. Wir sitzen über Frau Zschäpe und andere zu Gericht.
Götzl Ich lasse die Frage zu.
Anwalt Hoffmann Der Zeuge lügt uns hier die Tasche voll. Der Zeuge meint, dass er wieder lügen kann, und kriegt auch noch Unterstützung von der Bundesanwaltschaft.
Götzl Sie haben sich nicht mehr im Griff, Herr Hoffmann. Ich weiß, Sie sind sehr temperamentvoll, Frau Pinar.
Anwältin Pinar Da nehmen wir uns nichts.
Götzl Sie sind jetzt nicht dran!
(Götzl lässt eine Pause einlegen.)
Anwalt Kienzle Wir würden eine Erklärung zu Herrn Dr. Diemer abgeben. Wir verzichten hier alle auf unser Fragerecht. Es ist sinnlos geworden, nachdem …
Götzl Ich bitte, die Fragen zu stellen! Ich habe die Frage zugelassen.
Anwalt Kienzle Aber die Beanstandung steht doch im Raum. Es steht im Raum, dass wir Fragen stellen, die nur im Jüngsten Gericht zulässig wären.
Götzl Sie können das später machen.
Anwältin Pinar Ausgerechnet in dem Moment, wo der Zeuge sagt, es sei ihm egal gewesen, ob Menschen umgebracht wurden, geht Herr Diemer rein.
Götzl Ich habe Ihre Frage zugelassen, also stellen Sie sie.
(Statt einer weiteren Zeugenbefragung geht der Streit eine Weile weiter, am Ende verliest Anwalt Kienzle eine Erklärung.)
Anwalt Kienzle Herr Dr. Diemer gab zu erkennen, dass Wahrheitsfindung hier keine Rolle spielt. Der Zeuge hat zu erkennen gegeben, dass ihm die Mordserie egal ist. Sein Aussageverhalten bekommt staatliche Rückendeckung.
Bundesanwalt Diemer Inhalt meiner Beanstandung war, dass der Zeuge Wahrnehmungen zu bekunden habe und sich nicht dafür zu rechtfertigen hat, was er früher gedacht hat. Die Unterstellung, dass ich nicht an der Aufklärung der Wahrheit interessiert wäre, ist eine böswillige Unterstellung, die ich auf das Schärfste zurückweise.