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Tag 112

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19. Mai 2014

Manfred Götzl, Richter. Jürgen Helbig, 38, Fahrer bei einer Spedition. Jochen Weingarten, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Wolfgang Stahl, Verteidiger von Beate Zschäpe.

(Der Zeuge Jürgen Helbig ist ein Jugendfreund von Mundlos und Böhnhardt und hat die drei nach dem Untertauchen unterstützt.)

Götzl Es geht uns um Kontakt mit Herrn Böhnhardt, Herrn Mundlos, Frau Zschäpe, überhaupt mit den Angeklagten. Es geht mir auch um die Zeit 1998/99 im Hinblick auf die Kontakte. Erzählen Sie doch erst mal von sich aus, was Sie dazu sagen können! Vielleicht beginnen Sie damit, wie Sie die Personen kennengelernt haben.

Helbig Kennengelernt – was soll ich denn sagen? Also, Herr Wohlleben: da war ich dreizehn oder vierzehn, wie wir uns kennengelernt haben. Wir haben im gleichen Stadtteil gewohnt. Und Böhnhardt: Kennengelernt halt in der Clique, da kannte man sich dann. Sein Vater und mein Vater waren Arbeitskollegen. Ja.

Götzl Und wann haben Sie sich kennengelernt?

Helbig So mit vierzehn, fünfzehn würde ich sagen. Der Kontakt war eher lose.

Götzl Ja, gehen wir die anderen Personen auch mal durch!

Helbig Holger Gerlach noch, durch Ralf, äh durch Herrn Wohlleben. Carsten Schultze, durch Herrn Wohlleben. Frau Zschäpe flüchtig und Herrn Mundlos auch nur flüchtig. Nur so vom Sehen her.

Götzl Jetzt sagen Sie: Ihr Kontakt zu Böhnhardt eher lose. Können Sie das näher schildern, wie das war?

Helbig Kontakt nicht so oft, also nur lose. Wie gesagt, kennengelernt durch die Clique. Zusammen abhauen wollten wir. Ja.

Götzl Was meinen Sie damit?

Helbig Wir hatten ein Problem mit zu Hause. Da wollten wir verschwinden.

Götzl Was hatten Sie vor?

Helbig Nichts Genaueres. Wir sind aber erwischt worden. Ich war kurz vor sechzehn, er etwas jünger, weiß nicht genau, ich glaub fünfzehn oder so.

Götzl Wie hat die Sache geendet?

Helbig Bei der Polizei.

Götzl Schauen Sie, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einfach ein bisschen erzählen würden!

Helbig Wir hatten Fahrzeuge entwendet, und dann hat man uns festgenommen.

Götzl Wie war es später, 1998?

Helbig Da hat man sich gar nicht mehr gesehen dann.

Götzl Ja, hatten Sie 1998 Kontakt zu den genannten Personen?

Helbig Nur mit Herrn Böhnhardt, telefonisch.

Götzl Erzählen Sie mal etwas näher, wie das abgelaufen ist.

Helbig (wartet, atmet ins Mikro) Wir haben uns angerufen.

Götzl Sie sich wechselseitig – oder wie soll ich mir das vorstellen?

Helbig Telefonzelle.

Götzl Ja, können Sie mir in ganzen Sätzen bitte antworten! Das wäre ein Gebot der Höflichkeit. Bitte, Herr Helbig!

Helbig (pustet wieder leicht ins Mikro)

Götzl Was hat es denn jetzt mit dem Stichwort Telefonzelle auf sich?

Helbig (schweigt)

Götzl Können Sie mir erklären, warum Sie jetzt nicht antworten auf die Frage?

Helbig Der Kontakt wurde hergestellt durch Herrn Wohlleben. Mir wurde gesagt, in welche Telefonzelle ich gehen sollte. Es ging um Sachen, die sie brauchen für ihre Flucht, die habe ich dann übergeben.

Götzl Wer hat telefoniert mit wem?

Helbig Mir wurde gesagt, in welche Telefonzelle ich gehen soll. Dann habe ich die Aufträge angenommen und habe sie bearbeitet.

Götzl Von wem gesagt?

Helbig Von Wohlleben, von Herrn Schultz.

Götzl Wenn Sie sagen Herr Schultz, können Sie den Vornamen sagen?

Helbig Carsten. Carsten Schultze, Entschuldigung.

Götzl Waren es Telefonate ausschließlich mit Herrn Böhnhardt?

Helbig Mit einer Frauenstimme nicht. Aber ich denke, auch mal mit Herrn Mundlos.

Götzl Jetzt von der zeitlichen Einordnung: Wann gab es da 1998 den ersten telefonischen Kontakt mit Herrn Böhnhardt oder Herrn Mundlos?

Helbig Weiß ich nicht mehr genau. Ich denke, nachdem sie verschwunden waren.

Götzl Erzählen Sie doch mal, wie es dann weiterging. Welche Aufträge Sie dann entgegengenommen haben und wie Sie die bearbeitet haben.

Helbig Ich habe zum Beispiel eine Tüte nach Zwickau gefahren zum McDonald’s-Parkplatz an der Autobahn. Ich habe den Auftrag gekriegt, zur Telefonzelle zu gehen, dann haben wir telefoniert, dann wurde mir gesagt, dass ich von Herrn Wohlleben eine Tüte kriege, und die habe ich dann gefahren.

Götzl Sie fahren dorthin und wie ging es weiter?

Helbig Hingefahren, kurz ausgestiegen, die Tüte aus dem Kofferraum geholt und einem Mann gegeben.

Götzl Können Sie die Person beschreiben?

Helbig So groß wie ich. Schwarzes Kapuzen-Shirt angehabt.

Götzl Was hat diese Person zu Ihnen gesagt?

Helbig Nichts weiter. Dass er den Beutel abholen wollte – und das war’s.

Götzl Hat er sich mit irgendeinem Namen vorgestellt?

Helbig Nein.

Götzl Können Sie zum Inhalt des Beutels was sagen?

Helbig Nicht viel. Ich glaube, es waren CDs drinnen und Sachen. Anziehsachen.

Götzl Wie ging es mit den Kontaktaufnahmen weiter?

Helbig Ja, ich war dann Sachen und Papiere von Frau Zschäpe holen, aus ihrer Wohnung. Ich bin mit Herrn Schultze da abends hingefahren. Ich hab unten im Auto gewartet, und er hat Sachen geholt und Papiere. Die Polizei ist kurz danach gekommen. Gekriegt haben sie uns nicht. Wir haben sie gesehen und sind dann weg.

Götzl Gab es weitere Kontakte und Aufträge?

Helbig Ja, noch in Jena. In der Felsenkellerstraße hab ich noch mal was abgegeben. Da hab ich noch mal einen Beutel bekommen mit Sachen drin, den hab ich dann da abgegeben.

Götzl Von wem haben Sie den Beutel bekommen?

Helbig Von Herrn Wohlleben und Herrn Schultze, glaube ich.

Götzl Von beiden oder einem von beiden?

Helbig Ich weiß es nicht genau.

Götzl Und wem haben Sie den gegeben?

Helbig Kenn ich nicht. Es war ein dunkler Hauseingang. Hatte dunkle Sachen an, Kapuzen-T-Shirt.

Götzl Woher wussten Sie denn, dass Sie den Beutel an die richtige Person übergeben haben?

Helbig Weil mir gesagt wurde, dass da eine Person wartet. Es war eine Ruine, die ehemalige Brauerei in Jena.

Götzl Wissen Sie, was in dem Beutel war?

Helbig Nein, weiß ich nicht. Er war zu, oben so zugebunden. Es war ein Plastebeutel.

Götzl Hatten Sie eine Vermutung?

Helbig Nein.

Götzl Jetzt mal noch ein anderer Punkt: Sagt Ihnen »Pogromly« was?

Helbig Das ist ein verändertes Monopoly-Spiel.

Götzl Hatten Sie damit zu tun?

Helbig Ja.

Götzl Erzählen Sie doch bitte, was!

Helbig Ich hatte solche Spiele zu Hause bei mir gelagert.

Götzl Erzählen Sie doch einfach ein bisschen von sich aus.

Helbig Nur zur Lagerung. Wenn welche verkauft worden sind, die rauszugeben.

Götzl Von wem haben Sie denn die Spiele bekommen? Wie sollte es ablaufen? Bitte erzählen Sie!

Helbig Bekommen habe ich sie von Herrn Wohlleben, von Herrn Schultze.

Götzl Von wem stammten denn diese Spiele?

Helbig Von Herrn Böhnhardt und Herrn Mundlos.

Götzl Wie viele Spiele waren das?

Helbig Bei mir circa zwanzig.

Götzl Wissen Sie, wie viele Spiele insgesamt produziert wurden?

Helbig Nicht genau, so etwa hundert müssen es gewesen sein.

Götzl Wer kam zu Ihnen und hat Spiele abgeholt?

Helbig Namen weiß ich nicht. Die haben die Adresse gekriegt von Schultze oder Wohlleben.

Götzl Wie viele Spiele sind unmittelbar von den Käufern bei Ihnen abgeholt worden?

Helbig So drei bis vier Stück.

Götzl Wie hoch war denn der Preis eines Spiels?

Helbig Hundert.

Götzl Sind Sie denn mal von staatlichen Stellen angesprochen worden damals?

Helbig Ja, einmal vom Verfassungsschutz, so 1998, die wollten mich anwerben und haben mir Geld geboten.

Götzl Wozu wollte der Verfassungsschutz Angaben haben?

Helbig Zu Herrn Wohlleben.

Götzl Haben Sie mit Herrn Wohlleben darüber gesprochen?

Helbig Ja, schon nach dem ersten Kontakt mit dem Verfassungsschutz. Ich hab dann bei dem zweiten Treffen ein Tonband mitgehabt. Ich hab gesagt, dass ich es nicht mache. Dann hat er Geld geboten, immer mehr, und dann ist er gegangen.

Götzl Gab es weitere Kontakte mit staatlichen Stellen?

Helbig Ja, mit dem LKA Erfurt und dem MAD. Das war dann 1999 zu meiner Bundeswehr-Zeit in Mellrichstadt. Das LKA hat mir Vorhaltungen gemacht wegen den Kuriertätigkeiten. Die wussten das von Zwickau, von der Felsenkellerstraße, das von Zschäpe ihrer Wohnung. Die haben mich gefragt, warum ich das mache, haben mit Gefängnis gedroht. Die wollten wissen, wo die drei sind, aber das konnte ich nicht beantworten.

Götzl Kam zur Sprache, woher die Informationen des LKA stammten?

Helbig Die haben mich beschattet und haben mir Bilder vom McDonald’s-Parkplatz in Zwickau gezeigt.

Götzl War die Übergabe von Schusswaffen mal Thema zwischen Ihnen, Herrn Wohlleben und Herrn Schultze?

Helbig Nein.

Götzl Hatten Sie damals Kenntnis, wo man sich Schusswaffen besorgen konnte?

Helbig Was man so von Gesprächen gehört hat.

Götzl Und was haben Sie erfahren?

Helbig Von der Wagnergasse. Da war so ein Szeneladen, Madley, glaube ich.

Götzl Waren Sie mal dort?

Helbig Ich habe da mal Schuhe gekauft.

Götzl Von wem haben Sie erfahren, dass man dort Waffen besorgen könne?

Helbig Das habe ich so aufgeschnappt. (Nach der Mittagspause hält Götzl dem Zeugen dessen Antworten aus Vernehmungen vor.)

Götzl In einer Vernehmung beim BKA am 28.2.2012 sollen Sie zu der Übergabe eines Päckchens in der Felsenkellerstraße angegeben haben: »Ich wurde von Uwe Böhnhardt angerufen, dass ich irgendwann etwas abgeben soll und dass dort jemand auf mich wartet. Das Paket bekäme ich von Ralf und ich solle es dann in die Felsenkellerstraße bringen. Ich habe dann das Paket von Ralf bekommen und habe es der Person übergeben. Ich weiß nicht, was darin war, aber ich habe auch heute noch irgendwie ein komisches Gefühl, wenn es um diese Übergabe geht.« Was sagen Sie dazu?

Helbig Das hat mir alles nicht so richtig behagt damals.

Götzl Weiter heißt es: »Ich bin mit meiner Frau zusammen in meinem Pkw zu dem Treffpunkt und habe das Paket dann an den Fremden übergeben. Dann bin ich wieder weg. Das Paket war vielleicht etwas kleiner als ein Schuhkarton und mit einem Strick oder so ähnlich zugebunden. Das musste Ende 1998 gewesen sein.«

Helbig Richtig.

Götzl In der Vernehmung sollen Sie dann nach dem komischen Gefühl gefragt worden sein. Ich halte Ihnen vor: »Antwort: Das lag daran, dass es schwerer war. Ich hatte zwar damals schon ein komisches Gefühl, mir aber nichts groß gedacht. Mit dem heutigen Wissen vermute ich aber, dass es eine Waffe gewesen ist.« Was sagen Sie dazu?

Helbig (leise) Ja. Es war zu, man konnte nicht reingucken. Ich weiß nicht, was drinne war.

Götzl In einer Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft am 14.3.2012 sollen Sie angegeben haben: »Weder Böhnhardt noch Wohlleben hatten mir gesagt, was in dem Päckchen war. Ich habe auch diesbezüglich keine Fragen gestellt.« Und weiter: »Ich hatte bei der Sache kein gutes Gefühl. Ich hatte bemerkt, dass das Päckchen durchaus Gewicht hatte. Es hat – soweit ich mich heute noch daran erinnern kann – ungefähr soviel gewogen wie ein Liter Milch.«

Helbig Ja.

Götzl Haben Sie Herrn Wohlleben gefragt, was drin war?

Helbig (nickt) Ja, aber da hat er nicht drauf geantwortet.

Götzl Hier steht: »Da ich am nächsten Tag sowieso mit Ralf Wohlleben verabredet war, habe ich ihn bei dieser Gelegenheit gefragt, was in dem Päckchen drin war. Ich habe keine Antwort erhalten. Er hat einfach die Frage unbeantwortet im Raum stehen lassen. Da habe ich mir denken können, was da im Päckchen drin gewesen sein könnte. Wissen tu ich es bis heute nicht. Daraufhin habe ich ihm gesagt, ich stünde für weitere Kurierfahrten nicht mehr zur Verfugung. Ich habe ihm erklärt, mir sei die ganze Sache zu riskant. Als Kontaktperson, Nachrichtenmittler stand ich weiter zur Verfügung.« Haben Sie mit Herrn Wohlleben mal über Ihre Vermutung gesprochen?

Helbig Nein.

Götzl Weiter heißt es: »Sie sollen gegenüber dem MAD ausgeführt haben, dass Sie die drei Untergetauchten ›schon auf einer Stufe mit Rechtsterroristen‹ gesehen haben. Bitte erklären Sie sich dazu. Antwort: Ich habe es daran festgemacht, dass ich ja nun den Böhnhardt schon lange kannte und er ein Waffennarr war, und mir war auch klar, Böhnhardt würde auch mit Waffen kämpfen, wenn es nicht anders ginge.« Was meinten Sie damit?

Helbig Er war ein Waffennarr, das war einfach so. Ich kann das nicht weiter beantworten.

Götzl Und weiter: »Woran machen Sie den Ausländerhass Böhnhardts fest? Antwort: Er hat halt mal gesagt, dass er gegen Ausländer ist. Vorhalt: Könnte es sein, dass sich Herr Böhnhardt etwas konkreter ausgedruckt hat? Antwort: Ja. Er hat die Auffassung vertreten, dass Ausländer nicht nur ausgewiesen gehören, sondern in einem Konzentrationslager interniert werden müssten. Am besten wäre es für die Ausländer selbst, sie würden vergast.« Was sagen Sie dazu?

Helbig Ich habe das so angegeben.

Götzl Ist das auch richtig?

Helbig Ich würde sagen, ja.

Götzl Dann heißt es hier: »Sie sagten gerade eben, Ihrer damaligen Einschätzung nach wäre Böhnhardt der bewaffnete Kampf zuzutrauen gewesen. Worauf gründet sich diese Einschätzung? Antwort: Der Böhnhardt war nicht nur ein Waffennarr, nach meinem Eindruck wäre er bereit gewesen, Waffen auch gegen Ausländer einzusetzen. Er hat Ausländer gehasst, das war klar.«

Helbig Ja, richtig.

Verteidiger Stahl Wir haben das alles gelesen, was Sie bei der staatsanwaltlichen Vernehmung gesagt haben. Dagegen war es recht einsilbig heute. Woran liegt das?

Helbig (macht eine lange Pause) Weiß nicht.

Verteidiger Stahl Sind Sie aufgeregt heute?

Helbig Ja.

Verteidiger Stahl Und wie war es in Karlsruhe?

Helbig Auch. Aber da waren es nicht ganz so viele Leute.

Oberstaatsanwalt Weingarten Ist es eine Belastung für Sie, in Anwesenheit von Herrn Wohlleben über Herrn Wohlleben zu sprechen?

Helbig Ja, auch.

Der NSU Prozess

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