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Tag 106
Оглавление15. April 2014
Manfred Götzl, Richter. Ismail Yozgat, Vater des Mordopfers Halit Yozgat. Er trat auch an den Tagen 41, 63, 80, 91 und 214 auf. Andreas Temme, 47, früherer Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen. Yavuz Narin, Anwalt der Nebenklage.
(Die Befragung des Zeugen Temme zum Mord in Kassel wird fortgesetzt.)
Anwalt Narin Bei Ihnen wurde bei der Durchsuchung im Jahr 2006 das Buch »Judas Schuldbuch – eine deutsche Abrechnung« gefunden. Auch ein Buch über die SS.
Temme Das waren keine Bücher, sondern Abschriften. Das Buch, aus dem das stammte, kam aus einer Gemeindebücherei und ich habe das dann abgetippt.
Anwalt Narin Wie alt waren Sie denn da?
Temme Als Teenager.
Anwalt Narin Waren Sie in Ihrer Jugend mal Skinhead oder Scheitel-Nazi?
Temme Nein.
Anwalt Narin Ist Ihnen bekannt, dass Sie als Klein-Adolf bezeichnet worden sind?
Temme Ich habe gehört, dass es Leute gibt, die mich so nennen sollen. Ich weiß nicht warum. Ich gehörte keinen solchen Gruppierungen an. Ich weiß nicht, wie einer dazu kommt, so was zu behaupten.
Anwalt Narin Waren Sie im Besitz von Waffen? Einem Schlagstock? Baseballschläger?
Temme Ich hatte damals im Besitz ein kleines Dolchmesser. Metallene Schlagstöcke nein. Ich hatte einen Baseballschläger. Ein Schulkollege hat mir mal einen geschenkt. Und ich hatte, glaube ich, auch noch einen kleineren Holzschlagstock. Aber diese Dinge wurden nie eingesetzt.
Anwalt Narin In einer Zeitung werden Sie am 5.7.2012 zitiert: »Ich war das angreifbarste Opfer.« Welches Opfer waren Sie denn?
Temme Es bezog sich wohl auf eine Frage zur Berichterstattung im November 2011.
Anwalt Narin Wessen Opfer waren Sie denn?
Temme Das Opfer der Medien. Ich musste immerhin mit meiner Familie für einige Tage fliehen.
Anwalt Narin (macht eine kurze Pause) Haben Sie auf Halit Yozgat geschossen?
Temme Nein, natürlich nicht.
(Pause.)
Götzl Herr Yozgat, haben Sie etwas zu ergänzen?
(Der Vater von Halit Yozgat beginnt auf Türkisch zu sprechen, ein Dolmetscher übersetzt.)
Yozgat Ja. Andreas Temme kennt mich, meine Ehefrau und meinen Sohn sehr gut. Er kennt sich im Internetcafé sehr gut aus. Im Film sieht man, dass Temme aufsteht und sich auf die Suche nach Halit begibt, um zu bezahlen. (Gemeint ist ein kurzer Film, den die Polizei nach dem Mord zur Rekonstruktion erstellte. Andreas Temme zeigte den Beamten am Tatort, wie er am Tag des Mordes das Internetcafé verließ. Der Film wurde am Tag 91 im Gericht gezeigt.) Als er nach Halit sucht, müsste er aber zu ihm schauen, wenn er bezahlt. Er muss dann den Halit liegen sehen, aber Temme schaut geradeaus und geht hinaus, schaut auf der Straße, kehrt zurück. Temme schaut wieder direkt nach vorne.
(Ismail Yozgat wandert durch den Gerichtssaal und demonstriert den Ablauf.)
Götzl Wären Sie bitte so freundlich und würden wieder Platz nehmen!
Yozgat Er steht also auf … (Yozgat wandert wieder umher.)
Götzl Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie wieder Platz nehmen würden!
Yozgat Er hätte auf dem Tisch die Blutstropfen sehen müssen.
(Nun stellt Ismail Yozgat, der als Nebenkläger auch ein eigenes Fragerecht hat, Fragen direkt an den Zeugen Andreas Temme.)
Yozgat Herr Temme, Sie kannten meinen Sohn, meine Frau und mich sehr gut, nicht wahr?
Temme Ja. Und ich habe Sie als sehr nette Menschen empfunden, deshalb bin ich immer wieder zu Ihnen gekommen.
Yozgat Sie kannten auch unser Internetcafé sehr gut und wussten, wie man den Computer einschaltet, wo man die Gebühr zahlt.
Temme Ich wusste, wie ich mich in den mir zugewiesenen PC einlogge und was ich bezahlen musste. Als ich am Ende der Sitzung in den vorderen Raum kam, habe ich Ihren Sohn nicht gesehen und mich deshalb nach ihm umgesehen, auch auf der Straße.
Yozgat Als Sie aus dem hinteren Raum kamen, hätten Sie doch nur nach links schauen müssen, weil dort Halit hätte sitzen müssen.
Temme Ich habe mir diese Frage in den letzten Jahren auch immer wieder gestellt. Es ist aber so: Ich habe ihn nicht gesehen.
Yozgat Haben Sie nicht nach meinem Sohn gesucht, als Sie die 50 Cent zahlen wollten?
Temme Erst habe ich nach Ihrem Sohn geschaut. Ich konnte natürlich nicht ahnen, dass etwas derartiges Entsetzliches passiert war, sodass ich unter dem Tisch gesucht hätte.
Yozgat Zwischen dem Tisch und der Wand ist ein Abstand von einem Meter. Wenn Sie in diese Richtung geschaut hätten, hätten Sie ihn gesehen. Warum geben Sie so ausweichende Antworten?
Temme Ich weiß, dass ich ihn nicht gesehen habe. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen.
Yozgat Sie sind 1,86 Meter groß und der Tisch ist 70 Zentimeter hoch. Erinnern Sie sich an die Situation, als Sie das Geld hinlegten? Halit war 1,70 Meter groß, nur seine Beine waren unter dem Tisch. Haben Sie seinen Oberkörper wirklich nicht gesehen?
Temme Ich habe ihn nicht gesehen.
Yozgat Es tut mir leid, Herr Temme, aber ich glaube Ihnen überhaupt nicht.