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e) Der positive Unionsbegriff des Theodoret.

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Nach Theodoret ist es überflüssig, von einer hypostatischen oder physischen Vereinigung in Christus zu sprechen; es genügt, eine Vereinigung zu bekennen, welche einerseits die Eigentümlichkeiten der Naturen erkennen läßt und andrerseits lehrt, nur einen Christus zu verehren191. Es ist überhaupt unmöglich die Einigung der beiden Naturen mit Worten zu erklären; denn sie übersteigt jegliche Fassungskraft192.

Theodoret gebraucht für diese Vereinigung neben dem Ausdruck νωσις [henōsis] noch andere Bezeichnungen: συνάφεια, νάληψις, νοίκησισ, κοινωνία, συνάπτειν, λαβεν, ναλαβεν, νοικεν, κοινωνεν [synapheia, analēpsis, enoikēsis, koinōnia, synaptein, labein, analabein, enoikein, koinōnein] und ähnliche Ausdrücke.

Wie Theodor von Mopsuestia verwendet auch Theodoret gerne die Bezeichnung νοίκησις [enoikēsis]. Diese Einwohnung begann sofort mit der Konzeption193 und ist unauflöslich194. Sie ist geheimnisvoll und um vieles gnadenvoller als bei anderen Menschen. Theodoret nennt deshalb unter Berufung auf Basilius195 und andere Kirchenväter, die er nicht nennt, Christus auch einen „Gott tragenden Menschen, θεοφόρον νθρωπον [theophoron anthrōpon].” Wir nennen aber, so sagt er, Christus einen Gott tragenden Menschen, nicht weil er die göttliche Gnade in besonders hohem Maße empfangen hat, sondern weil sich die ganze Gottheit des Sohnes mit ihm vereinigt hat. Deshalb sagt der Apostel, daß in ihm leibhaftig wohnt die ganze Fülle der Gottheit196. Wegen seines Hasses gegen die Sünde und wegen seiner Liebe zur Gerechtigkeit wurde er später gesalbt und übertrifft er an Salbung alle seine Genossen, da er alle Gnaden (χαρίσματα) [charismata] des Heiligen Geistes in sich aufgenommen hat197.

Die Einwohnung oder Vereinigung ist aber nicht eine Menschwerdung, sondern Annahme einer menschlichen Natur (und Person). Die Stelle Joh. 1, 14 ist nach Theodoret nicht so zu verstehen, daß der Logos wirklich Fleisch geworden ist, so daß er in Fleisch, d. h. in eine menschliche Natur verwandelt worden wäre, sondern er hat eine menschliche Natur angenommen und hat unter uns gewohnt. Dasselbe erklärt der Apostel Paulus im Philipperbrief198, wenn er sagt: So sollt ihr gesinnt sein, wie auch Christus Jesus gesinnt war, welcher, da er in Gottes Gestalt war, . . . sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm. Diese Stelle zeigt uns nach der Erklärung Theodorets deutlich, daß die Gottesgestalt nicht in Knechtsgestalt verwandelt wurde, sondern daß sie blieb, was sie war, und dazu die Gestalt eines Knechtes annahm. Es ist also das Wort nicht Fleisch geworden, sondern es hat ein lebendiges und vernünftiges Fleisch angenommen199. Der Logos ist nicht aus der Jungfrau geboren worden, hat nicht den Anfang seines Seins in ihr genommen, er, der doch vor allen Zeiten und Gott und bei Gott und mit dem Vater war, sondern er hat sich in dem jungfräulichen Schoß einen Tempel gebildet und war vereinigt (συνν) [synēn] mit dem, der gebildet und geboren wurde200.

Abgesehen von anderen Unrichtigkeiten, stellt hier Theodoret dem Bericht des Evangelisten: „Das Wort ist Fleisch geworden” seine exegetische Erklärung gegenüber: Das Wort hat eine menschliche Natur angenommen. So wahr und richtig dieser letztere Satz an sich ist, so hat er doch im Munde des Theodoret als Gegensatz zu den Worten des Evangelisten eine falsche, häretische Bedeutung. Nach der katholischen Lehre des Cyrill hat der Logos eine menschliche Natur angenommen und in seine göttliche Hypostase aufgenommen, so daß er nicht bloß Eigentümer der göttlichen Natur war und blieb, sondern auch Träger der angenommenen menschlichen Natur und somit Mensch wurde; nach Theodoret dagegen hat der Logos eine menschliche Natur zwar angenommen, aber nicht in seine göttliche Hypostase aufgenommen, sondern die angenommene menschliche Natur subsistierte für sich selbst, blieb eigenes Subjekt oder principium quod ihrer Tätigkeit und ihres Leidens, somit eine eigene Person und ist als solche mit der göttlichen Person des Logos vereinigt worden. Auf eine kurze Formel gebracht, ist der Gegensatz folgender: Nach Cyrill ist in Übereinstimmung mit dem Evangelisten Gott Mensch geworden, nach Theodoret dagegen hat Gott einen Menschen angenommen.

Indem der Logos die Knechtsgestalt annahm, ward er den Menschen gleich und im Äußeren wie ein Mensch erfunden201. Er hatte eine vollkommene menschliche Natur wie wir und namentlich eine vernünftige menschliche Seele, was Theodoret den Apollinaristen gegenüber besonders hervorhebt202. Denn wenn die angenommene Natur keinen menschlichen νος [nous] gehabt, wenn der Logos dessen Stelle eingenommen hätte, dann hätte Gott gegen den Teufel gekämpft und hätte Gott den Sieg davon getragen, ich aber hätte keinen Vorteil von dem Siege, weil ich nichts dazu beigetragen hätte. Ich hätte auch keinen Grund zur Freude darüber, weil ich mich eines fremden Triumphes rühmen würde. Der Teufel aber würde sich freuen, rühmen und brüsten, weil er von Gott bekämpft und von Gott besiegt worden wäre203. Wenn Gott die Tätigkeit der menschlichen Vernunft übernommen hätte, dann hätte Gott mit dem Körper gehungert, hätte Gott gedürstet und die Mühen und alle anderen menschlichen Leiden erduldet204.

Nach den Worten des Apostels wurde Christus im Äußeren wie ein Mensch erfunden. Das verstehen wir so, sagt Theodoret, daß unser Herr Jesus Christus, obschon er unsere Natur besaß, uns doch nicht in allem gleich geworden ist. Er wurde zwar auch von einem Weibe geboren, aber nicht wie wir; denn er ging aus einem jungfräulichen Mutterschoße hervor. Er war ein vollkommener Mensch wie wir, erfreute sich aber in höherem Grade als wir der Einwohnung und Vereinigung mit dem Gotte Logos. Er hatte ein beseeltes und vernünftiges Fleisch wie wir, aber die Regungen der Sünde hatte er nicht zu ertragen wie wir, sondern im Körper, der sonst von der Sünde bekämpft wird, machte er der Tyrannei der Sünde ein Ende205. Gott hat seinen Sohn geschickt in der Gestalt206, des sündigen Fleisches207. Derselbe war aber von jeder Sünde frei, wie der Prophet erklärt: Er hat kein Unrecht getan, und Betrug ward nicht gefunden in seinem Munde208. Christus Jesus hat wohl unsere Natur, nicht aber unsere Bosheit, nicht das Joch der Sünde, das die Menschen tyrannisiert, angenommen, sondern die Herrschaft derselben zurückgewiesen und uns damit gezeigt, daß es möglich sei, in der menschlichen Natur die Angriffe der Sünde zu überwinden209. So hat Gott durch Annahme der menschlichen Natur sein Abbild, das durch die Sünde verdorben war, erneuert und lieblicher hergestellt, als es früher war210.

Besonderes Gewicht legt Theodoret auf die Feststellung, daß die beiden Naturen in Christus durch ihre Vereinigung keinen Schaden gelitten haben, sondern vollständig unversehrt geblieben sind. Da die Hypostase des Logos vollkommen ist, vollkommen auch die von ihm angenommene Knechtsgestalt, warum soll man die Hypostasen oder Naturen nicht auseinanderhalten (διαιρεν)[diairein]? Cyrill spricht ja selbst (im dritten Anathematismus) von Hypostasen und nicht von einer Hypostase211. Und wenn jede Natur ihre Vollkommenheit besitzt und beide zusammenkommen zu einer Einheit, indem die Gottesgestalt die Knechtsgestalt annimmt, so ist es doch rechtgläubig (εσεβές) [eusebes], ein Prosopon und einen Sohn und Christus zu bekennen. Die vereinigten Hypostasen oder Naturen aber zwei zu nennen, ist nicht widersinnig, sondern wohlbegründet und folgerichtig. Wenn wir bei dem einen Menschen die zwei Naturen auseinanderhalten und die sterbliche Natur Leib und die unsterbliche Natur Seele, jede der beiden Naturen aber Mensch nennen, so wird es noch viel vernünftiger sein, die Eigentümlichkeiten der Naturen des annehmenden Gottes und des angenommenen Menschen anzuerkennen. Auch der heilige Paulus teilt den einen Menschen in zwei und spricht von einem äußeren Menschen, der aufgerieben wird, und von einem inneren Menschen, der in gleichem Maße erneuert wird212; und ein anderes Mal sagt er: Ich habe Lust am Gesetze Gottes dem inneren Menschen nach213; und wiederum schreibt er, daß im inneren Menschen Christus wohne214.

Wenn also der Apostel die physische Verbindung der gleichzeitig entstandenen Naturen215 auseinanderhält (διαιρε) [diairei], wie sollten wir der Gottlosigkeit bezichtigt werden können, wenn wir die Eigentümlichkeiten der Naturen des vorzeitlichen Gottes und des in unseren Tagen angenommenen Menschen auseinanderhalten?216

Wenn aber auch die Naturen in Christus unversehrt geblieben sind, so ist doch durch die Vereinigung eine einzige Person (ἓν πρόσωπον)[hen prosōpon] entstanden. Wir lösen, sagt Theodoret, die Vereinigung nicht auf, sondern glauben nur, daß sie ohne Vermischung (ἀσύγχυτος)* [asynchytos] erfolgt ist217. Wir trennen nicht den einen in zwei Personen, sondern glauben, daß zwei Naturen ohne Vermischung sich vereinigt haben218. Der Herr selbst hat mit seinen Worten: Brechet diesen Tempel ab und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten219, gezeigt, daß etwas anderes ist seiner Natur nach Gott und etwas anderes der Tempel, beide aber sind der eine Christus220. Und der heilige Paulus verkündet durch den ganzen Hebräerbrief sowohl die Eigentümlichkeiten der Naturen wie auch die Einheit der Person221.

Die Einheit der Person aber besteht nach Theodoret, wie schon früher erwähnt222, nicht in einer hypostatischen Vereinigung, nicht in einer Aufnahme der menschlichen Natur in die göttliche Hypostase des Logos, sondern in der moralischen Einheit der Gesinnung, des Wollens und Wirkens der beiden Naturen223. Indem der menschliche Wille sich in allem ganz und gar an den göttlichen Willen hingibt und indem der Gott Logos sich mit dem Menschen Jesus viel inniger vereinigt als mit anderen Menschen224, entsteht eine so enge, feste, unauflösliche Verbindung, daß sie, durch keine Verschiedenheit der Gesinnung und des Wollens je getrübt und gelockert, die beiden Naturen als ein einheitliches Ganzes erscheinen läßt, das mit dem Namen Prosopon (Person) bezeichnet wird.

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