Читать книгу Der 31. September oder die List des Teufels - Werner Kogelnig - Страница 11
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Als Jan zu sich kam, lag er auf einem feuchten Holztisch in einem dunklen Keller. Von irgendwoher drang Licht durch Ritzen. Er hörte Wasser in Pfützen tropfen, und von draußen drang das Tuckern von Motorbooten herein. Als er langsam zu sich fand, hörte er piepsende Töne an seinem Ohr. Das waren Ratten. Er setzte sich auf. Langsam wich die Benommenheit, und Kälte machte sich bemerkbar. Als er versuchte, von seinem hölzernen Lager herabzusteigen, bemerkte er schaudernd, dass er an Händen und Füssen angekettet war. Er konnte sich zwar bewegen, aber nicht fliehen.
Was war das? Wo war er? Die Ketten, mit denen er festgebunden war klirrten bei jeder Bewegung. Panik und Angst erfüllten ihn. Mit Entsetzen beobachtete er, wie Ratten, groß wie kleine Katzen durch den Raum huschten und übergroße Spinnentiere an den Wänden hingen. Aber noch schlimmer war der ekelerregende Gestank, der ihm erst jetzt, da er wieder bei Sinnen war, in die Nase stieg.
Dann hörte er wieder das Tuckern von Motoren, das Plätschern von Wasser an den Außenmauern des Verlieses, in welchem er sich befand und schlagartig wurde ihm seine Lage bewusst. Ein Verlies in Venedig. Die Boote, der Keller, der Gestank. Verzweifelt schrie er auf. Der Schrei hallte im Keller wieder, ging aber ungehört verloren.
„Ist da wer?“ Er flüsterte. „Ist da wer?“ Nun begann er zu schreien.
„Wer hat mich hierher gebracht? Hallo! So antwortet doch!“
Dann horchte er in die Stille hinein, zerrte an den Ketten, begann zu keuchen und schrie wieder.
„So meldet euch doch! Ich habe doch nichts getan. Was wollt ihr von mir?“
„Beruhigen Sie sich!“
Eine sanfte Stimme drang aus dem Dunkel.
„Wer sind Sie?“
„Beruhigen Sie sich“, sagte die Stimme wieder. „Sie haben den Toten aus dem Meer gefischt, nicht wahr?“
„Welchen Toten?“ Da war Gefahr dachte Jan. „Welchen Toten?“
Anstatt einer Antwort berührte ihn eine Hand.
„Wo sind Sie, und wer sind Sie?“
Er hatte panische Angst wieder allein zu sein, in diesem nassen Gefängnis, bei den Ratten und der nassen Kühle, der Düsternis.
„Wo sind Sie?“, schrie er hysterisch in den Raum. Er hörte nur das Echo seines Schreis. Dann erreichten ihn wieder die Geräusche der Motorboote, das Plätschern des Wassers an den alten Mauern und das Lärmen des Kanals. Er versuchte sich wieder von den Ketten zu lösen. Vergebens. Da hörte er von neuem diese sanfte Stimme.
„Warum geben Sie uns nicht, was Sie bei ihm gefunden haben? Wo bewahren Sie es auf? Nennen Sie uns den Aufbewahrungsort, wir holen es ab und Sie sind frei.“
Nun wurde Jan bewusst, dass der Albtraum in dem er sich zu befinden glaubte, Wirklichkeit war, dass sein Leben in Gefahr war.
Unwillkürlich lachte er auf. Das Lachen war nur ein Reflex auf das Erkennen der verrückten Lage, in der er war und dieser unwirklichen Wirklichkeit.
„Ich habe doch nichts. Ich habe ihn nicht angerührt. Ich schwöre es! Das war der andere, der…“
„Welcher andere?“ Die Stimme wirkte überrascht. „War da noch jemand? Wer?“
„Ich kenne ihn nicht. Ein Österreicher. Er fischte neben mir, wir unterhielten uns. Er war ein absoluter Laie, was Fischen anbelangt.“
„Und?“
Die Stimme kam näher,
„Als ich die Leiche am Haken hatte und sie auf die Steine zog, beugte er sich hinab und durchsuchte die Taschen des Toten.“
„Wieso er und nicht Sie?“
„Ich hielt doch die Angel, an der die Leiche hing.“
„Und was holte er aus der Tasche?“
Soweit ich mich erinnern kann, zog er die Brieftasche heraus, prüfte den Inhalt, nahm dann irgendetwas und steckte die Tasche wieder zurück.“
Es entstand eine kurze Pause und er fuhr fort:
„Mehr habe ich nicht gesehen. Verstehen Sie? Ich war doch in einer Schocksituation. Denken Sie nur, Sie hätten statt eines fetten Fisches plötzlich eine Leiche am Haken. Ich rief nach meiner Frau.“
„Ihrer Frau?“
„Ja! Meine Frau.“
„Wo ist sie jetzt?“
„Wenn ich das wüsste!“
„Sie haben nicht viel Zeit“, sagte die Stimme. „Sie haben nicht viel Zeit zu reden. In Kürze steigt das Wasser im Kanal, nicht allzu hoch, aber es genügt um Ihren Kopf zu bedecken. Wussten Sie, dass der Tisch auf dem sie liegen“, und nun wurde die Stimme fast heiter, „einst Casanova als Liebesbett diente? Allerdings waren die Ketten, an die Sie gefesselt sind, anderen Zwecken bestimmt, als sie es jetzt tun, und anstelle des Tuckems der Vaporetti hörte man das sanfte Eintauchen der Ruder der Gondolieri. Aber schon damals bezahlte man dafür mit seinem Leben, dass man unklug handelte und andere schützte, die es nicht wert waren.“
„Andere? Welche andere sollte ich denn schützen? Ich habe nichts getan und weiß auch nichts von anderen, die etwas getan haben sollten. Ich bin ahnungslos. Ich habe nur einen Toten aus dem Wasser gefischt und bin abgehauen. Und sonst nichts. Noch dazu ist mir kalt, ich habe Angst und Ihre Berührungen sind umsonst. Ich weiß nichts, verdammt noch einmal! Lassen Sie mich doch frei! Lösen Sie mir die Ketten.“
Es wurde dunkel im Raum. Die Intensität der Geräusche von draußen nahm zu. Das Wasser im Inneren des Raumes erreichte seine Schultern.
„Warum sagen Sie nichts mehr? Wo sind Sie?“
Wieder stieg Panik in ihm auf und er machte einen weiteren Versuch, sich von seinen Ketten zu lösen. Er zerrte daran. Sie waren geöffnet, er war frei und ruckartig richtete er sich auf, das Wasser reichte ihm nun bis zum Hals, er löste sich aus den Fußfesseln, glitt vom Tisch und bewegte sich schwimmend zum einzigen Ausgang des Raumes, hin zum Kanal, wo eine alte morsche schwarze Gondel befestigt war und im bewegten Wasser des Kanals schaukelte. Er zog sich auf die Stiege, die in den Kanal führte und ließ sich in das Boot gleiten. Dort legte er sich flach auf den Boden um zu atmen und seine Gedanken etwas zu ordnen. Dann spähte er über den Bootsrand hinaus, noch verwirrt, und so als wäre er betrunken, fiel er wieder zurück ins Boot und versuchte einen Sinn zu erkennen, in den Dingen, die in den letzten Stunden geschahen.