Читать книгу Der 31. September oder die List des Teufels - Werner Kogelnig - Страница 9
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Wieder versank die Sonne blutrot hinter der Lagune. Jan und Tina saßen in der kleinen Trattoria, die direkt am Kanal lag und deren Terrasse vor Insekten durch ein feinmaschiges Gitter geschützt war. Sie aßen marinierte Meeresfrüchte und tranken einen herrlich kühlen Weißwein. Es wahr angenehm wann um diese Jahreszeit und die Vaporetti die im Sommer mit Obst und Gemüse beladen waren, blieben nun aus. Die Arbeiter standen um die Theke, müde vom Sommer. Sie genossen den milden Abend, verfolgten mit einem Auge das Fußballspiel am Bildschirm, spielten Karten und diskutierten lautstark über Politik.
„Wie schön“, sagte Tina und blickte in die untergehende Sonne.
„Mir liegt das alles im Magen“, bemerkte Jan mürrisch. „Man angelt nicht jeden Tag einen Toten aus dem Meer. Ich habe davon geträumt. Ich träumte, er würde sich aufblasen wie ein Luftballon, größer werden, immer dicker und plötzlich …“
„Und plötzlich?“, fragte sie.
„Und plötzlich war er mit einem mit lautem Knall zerplatzt!!“
„Du hast aufgeschrien!“
„Habe ich?“
„Ja hast du!“
Während die Dämmerung in der Lagune Einzug hielt, wurde das Leben in der Bar immer fröhlicher und lauter.
Das Paar schwieg und blickte in das vorbeifließende Wasser, hinüber zu den Möwen, die versuchten, noch einen letzen Bissen zum Abendessen zu ergattern, und es hörte die Glocken von Treporti, hell und verloren im Abendwind.
In diesem Gewirr von Stimmen und dem Möwengekreische, gab sich Jan der Sehnsucht und der Melancholie hin, die ihm die Kraft gab, mit dieser Frau hier zu sitzen, die er so geliebt hatte. Nun war alles anders geworden, aber es konnte keine Trennung geben, kein Auseinander, wie es beide eigentlich wünschten.
„Wir hätten nicht hierher kommen dürfen, nicht hierher. Ein Unglück zieht das andere nach.“
Sie nippte an ihrem Glas und blickte an ihm vorbei in die angebrochene Dunkelheit im Kanal.
„Wir hätten uns trennen sollen Jan. Und es nicht noch einmal versuchen. So ist alles noch schlimmer geworden!“
Sie sprang auf, und stürzte hinaus zum Parkplatz. Er versuchte nicht, sie zu halten. Er blickte ihr nach, hörte den Motor aufheulen, und sah dann wie das Auto in der dunklen Straße verschwand.
Er bestellte sich noch ein Bier und eine Grappa und versuchte zu ergründen, wie aus einer leidenschaftlichen Liebe diese Gleichgültigkeit entstehen konnte.
Und doch waren sie untrennbar aneinander gekettet, des Geldes wegen und des Geheimnisses, das sie umgab. Er trank den Schnaps in einem Zug aus und wartete auf die Wärme im Körper und blieb still sitzen um zu spüren, wie diese vom Magen langsam in ihm aufstieg, das Gehirn erreichte und gleichzeitig ein Gefühl von Leichtigkeit erzeugen würde.
Mehr als zwanzig Jahre war es nun her, dass er Tina, kennengelemt hatte, in einer wannen Frühlingsnacht, auf der Terrasse des Grand Cafe in San Remo. Er musste lächeln, bei dem Gedanken an die komischen Umstände die sie zueinander geführt hatten, und gleichzeitig empfand er Wehmut über das Unwiederbringliche, das Endgültige und bezog diese Empfindung nicht nur auf sein vergangenes Glück, seine verlorene Liebe, sondern auch auf alles andere, auf das Ende aller Hoffnungen, aller Sehnsüchte, einfach auf das Ende von allem, wofür es sich lohnte zu leben.
Tina war Anfang zwanzig und äußerst attraktiv gewesen. Natürlich war sie blond, dachte er spöttisch, und hatte azurblaue Augen. Sie alle sind blond, mit blauen Augen, und seine Gedanken gingen in ein kurzes schallendes Gelächter über. Die Italiener an der Theke drehten sich um, und einer kam auf ihn zu, schlug ihm mit seiner schweren Arbeiterhand auf den Rücken und rief:
„Ubriaco?“
Alle, auch Jan lachte, und sie zerrten ihn von seinem Stuhl hoch, zu sich an die Bar.
„Wein für alle“, schrie er. „Und zwar soviel sie wollen, die Papagalli!“
Es wurde ruhig.
„Papagalli?“ Fragte einer.
„Ist doch nur Spaß“, schrie ein anderer.
Der junge Wirt reihte die Gläser entlang der Theke und füllte sie.
„Cin Cin“, riefen alle und tranken.
Darauf war es ruhig, bis auf dem Bildschirm des Fernsehers etwas Besonderes zu sehen war, was Jan nicht mitbekam und alle Italiener wild zu gestikulieren begannen und ihn vergaßen.
Er fand keinen Gefallen am billigen Wein. Mit Mühe konnte er den Kellner hinter der Bar, der ebenfalls vom Geschehen am Bildschirm gefesselt war, dazu bewegen, ihm noch eine Grappa und ein Bier einzuschenken. Mit den Getränken zog er sich wieder auf seinen alten Platz zurück, trank, und starrte in die Dunkelheit, über die Straße, in die Lagune hinein.
Wie Geister aus der Unterwelt standen plötzlich zwei aus dem Nichts aufgetauchte Gestalten vor ihm, rissen ihn an den Armen hoch und zerrten ihn, bevor Jan überhaupt registrieren konnte, was geschah, zu einem Auto, warfen ihn auf den Rücksitz und einer drückte ihm ein nasses Tuch auf den Mund und über die Nase und augenblicklich versank er in eine angenehme, fast beglückende Ohnmacht.