Читать книгу Der 31. September oder die List des Teufels - Werner Kogelnig - Страница 24

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Nach drei Tagen, in denen Tina Karl aufopfernd gepflegt hatte, besserte sich sein Zustand. Er konnte das Bett verlassen. Während seines tiefen Schlafes aber wurde er von einer drängenden Unruhe erfasst und von wirren Albträumen geplagt. Da erschien ihm Jan, der sich über ihn beugte, einen Vogelkäfig in der Hand, in dem sich anstelle eines Vogels eine gefangene Seele befand, die so aussah, wie ein schwach gefüllter, schrumpeliger Luftballon, der wie ein Herz schlug und pochte. dann wieder sah er sich selbst in diesem Käfig eingepfercht und wurde so zum hilflosen Zeugen eines unglaublichen Schauspiels: In einem blutroten Himmel über einer stahlblau schimmernden Landschaft, in der Gebäude, Wiesen, Felder und Wälder in uniformer Gleichheit in einer surrenden und sirrenden Klangwolke hingestreckt lagen, flogen und schwebten unzählige höllische Hexen und Teufelsgestalten kreischend und zischend durch die Lüfte, wie verrückt gewordene Schwärme von Vögel. Er selbst war mit einem Gewehr bewaffnet und wie bei einem Tontaubenschießen zielte er und traf einen Kobold nach dem anderen, die dann mit einem knallenden Geräusch in tausend Stücke zerbarsten, aber jedes Stück sich wieder zu einem neuen höllischen Gebilde formte.

Aber nun waren diese nervlichen Überreizungen verflogen, und wenn sich die beiden Menschen nicht in dieser außergewöhnlichen Situation befunden hätten, wäre der Aufenthalt in dieser seltenen Abgeschiedenheit des sonst touristisch durchströmten Venedig durchaus idyllisch gewesen. Vor dem Fenster dümpelten im schmalen ruhigen Kanal einige vertäute Boote. Für Lastkähne war er zu eng, und auch für die Gondeln mit Touristen war die Gegend zu abgelegen. Tauben gurrten von den Dächern und von irgendwoher wehte der laue Wind eine sich ständig wiederholende Klaviersonate herüber, gewiss die Übung einer Musikstudentin. Die Tür zum kleinen Hof war geöffnet und man hörte, wie das sanfte Plätschern des Zierbrumnens mit dem entfernten Rauschen des Touristenstromes auf der Gasse verschmolz. Diese gleichmäßigen Geräusche ließen Karl immer wieder in einen kurzen Schlaf versinken und wenn er erwachte, sah er Tina neben sich, oder am Fenster stehen und nachdenklich auf die schillernden Wellen des Kanals blickten.

Bald aber wurden diese Perioden des Schlafes mit den wiederkehrenden Albträumen seltener und schließlich hörten sie auf. Karl begann im Zimmer herumzugehen, hinaus in den Hof, um dann später am Tisch mit großem Appetit zu essen. Der Kühlschrank war vollgestopft mit köstlichen, vorbereiteten Speisen und kühlen Getränken. Tina wunderte sich über diese Vorräte, wo doch ihre Gastgeber sagten, sie wollten verreisen. „Kannst du mir erklären“, fragte sie Karl, „was für ein Zusammenhang es zwischen dem, was passiert und den beiden Wesen gibt, die uns hier wie gute Geister gerettet haben?“

Karl, der gerade eine Flache Wein entkorkte, einen Lacrima Christi von den Hängen des Vesuvs, meinte nachdenklich: “Dass es einen besonderen Zusammenhang gibt, ist gewiss. Der Arzt wusste vom Pergament. Er hat mir das Leben gerettet. Sie wollten, dass ich mich erhole. Gesund werde. Ein Zusammenhang ja. Aber welchen?“

„Karl! Dieses Pergament, was ist das für ein Teufelszeug?“

„Mit dem Teufel hat es höchstwahrscheinlich nichts zu tun, aber das Zeug, wie du es nennst, hat, man möchte es nicht glauben, irgendeine geheime Kraft, aus der ich nicht klug werde. Und es scheint so, als wäre dieses Papier ein Teil von mir geworden. Oder besser, ich von ihm. Es scheint mir so, als würde mich irgendetwas benützen, irgendetwas Mächtiges. Im Guten oder im Bösen. Ich weiß es nicht.“

„Und mich benützt es mit?“

„Ja, dich mit. Da steckt ein Plan dahinter, eine Absicht. Alles was mit uns geschieht, passiert wie vorgegeben. Aber es ist mir äußerst zuwider.“

„Bin ich dir auch zuwider?“

Karl lächelte Tina an und nahm ihr Gesicht in seine Hände. „Wenn unsere Zweisamkeit auch in der Verantwortung dieser geheimnisvollen Macht liegt, dann soll sie uns willkommen sein. Ich habe noch nie so tief empfunden. Es ist nicht nur ein Gefühl von Liebe, wie man es zu keimen glaubt. Es ist mehr. Es ist eine Verbundenheit, die so ist, als hätte sie schon immer bestanden. Und du? Wie empfindest du?“

„Wie du es sagst. Ich empfinde es genauso wie du.“

Sie schwiegen und genossen den Wein, den Karl in die geschliffenen venezianischen Gläser eingeschenkt hatte, die im Licht der einfallenden Sonnenstrahlen in allen erdenklichen Farben schillerten und funkelten.

„Dieses Pergament“, flüsterte Karl dann, als könnte sie jemand hören, „hat derart geheimnisvolle Kräfte, dass man glauben muss, man unterliegt irgendwelchen Illusionen. Zaubertricks.“

„Illusionen?“

„Ja. Stell dir vor: Man liest die Namen die auf der Liste stehen und will sich diese einprägen. Ich habe es versucht. Es gelingt nicht.“

„Wie meinst du das?“

„Das Gehirn weigert sich die Namen zu behalten. dann ist das Papier, als Jan es berührte, verbrannt. Als hätte es sich selbst zerstört, um später, als Jan verschwunden war, wieder wie neu zu erscheinen. Als wäre nichts geschehen.“

„Und die Namen?“

„Das, was ich mir merken konnte, waren am linken Rand des Blattes, untereinander geschrieben, die Namen der zwölf Apostel. Die sind ja kein Geheimnis. Die kennt jeder. Aber die Namen daneben, die möchte jemand, zum Beispiel Jan, dringend keimen. Als mir Jan das Blatt entriss, schrie er, „Der Papst ist Petrus!“, und raste davon.“

„Das bedeutet, dass hinter jedem Namen eines Apostels der Name einer lebenden, jetzt existierenden Person steht.“

„So ist es.“

„Ich habe das dunkle Gefühl, dass die alle in größter Gefahr sind.“

„In allergrößter Gefahr.“

„Und wir mittendrin.“

„Genau“, sagte Karl, „wir mittendrin.“

In der folgenden Stille sahen sie, wie zwei Tauben vom Dach gegenüber zur Fensterbank flogen, sich dort niederließen und mit ihren schwarzen runden Augen ins Zimmer sahen. Es war ein Taubenpaar und Tina beobachtete gerührt wie sie sich aneinanderdrückten und der Täuberich scheinbar unabsichtlich mit seinem Schnabel gegen das Fenster klopfte.

Der schrille Ton eines Telefons war irgendwo im Raum zu hören und riss die beiden Menschen aus ihrer Versunkenheit. Karl blickte sich suchend um, fand den Apparat und hob ab.

„Ja?“ fragte er leise

„Na also, antwortete eine männliche Stimme. „Sie scheinen wieder in Ordnung zu sein. Hier spricht der Arzt, in dessen Wohnung Sie gerade sind.“

„Oh! Wo sind Sie? Sie kommen nach Hause?“

„Nein, nein, ich komme nicht. Aber ich bin nicht so weit weg, wie sie vielleicht denken. Aber lassen wir das. Das tut jetzt nichts zur Sache. Hören Sie, was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, ist von ungeheurer Wichtigkeit. Haben Sie das Pergament?“

„Nein.“

„Himmel, wo ist es?“

„An einem sicheren Ort.“ Karl war misstrauisch geworden. War das wirklich jener freundliche Arzt? Das könnte genau genommen jemand anderer sein, der es auf das Papier abgesehen hat. Jan zum Beispiel. Er wollte sich jetzt gar nicht die Frage stellen, wie so jemand an die Nummer dieses Anschlusses gekommen war. Zuviel Unglaubliches war schon geschehen.

„Sie haben Bedenken, über meine Identität?

„Ja.“

Das ist vernünftig von Ihnen. Aber passen Sie auf, ich werde Ihnen Gewissheit verschaffen. Gehen Sie zu dem kleinen Bücherregal neben der Eingangstüre. Auf dem obersten Brett steht das Neue Testament. Haben Sie es?“

„Ja.“

„Öffnen Sie es auf der Seite dreihundertzwei. Es ist das Kapitel über die Auferstehung. Und da steckt zwischen den Blättern ein Zettel, auf dem folgende Worte geschrieben stehen: Nun hat der Tod seinen Stachel verloren.“

Karl fand den Zettel, las die Worte und glaubte sich in seine Kindheit zurückversetzt. Nie mehr war er in seiner Erwachsenenwelt von einem solchen Gefühl von Sehnsucht und Hoffnung erfasst worden, als damals in den jungen Jahren, als alles Unmögliche noch möglich war und dem Kind das Glauben noch nicht verboten winde, bis später nur mehr Wissen seine Welt beherrschte.

„Ich glaube Ihnen“, sagte er leise und stellte das Buch an seinen Platz zurück. Den Zettel nahm er an sich.

„Gut. Aber nun zur Liste. Wo ist sie? Die Zeit drängt.“

„Am Bahnhof. In einem Schließfach.“

„Hoffen wir, dass sie noch dort ist. Haben Sie einen Schlüssel, oder ist es ein Code?“

„Ein Code.“

„Schicken Sie Tina hin um das Pergament zu holen. Es könnte sein, dass man nach Ihnen sucht. Wenn Sie die Liste haben, dann reisen Sie mit Tina damit sofort nach Rom.“

„Nach Rom?“ Karl schwankte zwischen Protest und Neugierde. Protest deswegen, weil da einfach über ihn verfügt wurde, als wäre er eine Marionette. Aber er war schon zu weit in dieses Abenteuer verstrickt, als dass ihn nicht die Lust und Neugierde an der weiteren Entwicklung der Ereignisse gepackt hätte, und dann kam da noch etwas anderes dazu, das ihn bewog, sich in diesen geheimnisvollen Sog zu begeben, der ihn mit sich riss und nicht mehr loszulassen schien.

„Ja, nach Rom. Das Pergament muss so rasch wie möglich in die Hände des Papstes!“

„Des Papstes? Wie soll denn das gehen?“ Karl schien seinen Ohren nicht zu trauen.

„Wenn sie in Rom sind“, sprach der Arzt weiter“, rufen Sie meine Schwester Claudia an. Die haben sie ja schon keimen gelernt. Sie ist eine der beiden Haushälterinnen des Papstes.“

„Ihre Schwester ist die Haushälterin des…“

„Bitte Karl! Hören Sie auf jetzt so viel zu fragen.“

„Gut. Sprechen Sie.“

„Nachdem Sie Claudia angerufen haben, wird sie mit dem Papst sprechen. Sie können mir glauben, das Papier ist für ihn von solcher Wichtigkeit, dass er Ihnen augenblicklich eine Audienz gewähren wird. Übergeben Sie ihm das Pergament. Ihm. Verstehen Sie? Ihm und sonst niemandem!“

„Ich habe Sie verstanden.“

„Die Telefonnummer von Claudia finden Sie in der kleinen Schublade im Tischchen neben dem Bett. Die Lade hat einen doppelten Boden. Nehmen Sie das obere Brett heraus. Beim Zettel liegt Bargeld. Nehmen Sie es. Es wird eine Zeit lang reichen. Verwenden Sie auf keinen Fall Ihre Kreditkarte. Das wäre viel zu gefährlich.“

„Gut, Wann höre ich wieder von Ihnen?“

„Sobald es nötig ist. Gott sei mit Ihnen.“

Dann war es still. Die beiden Tauben am Fenstersims waren verschwunden. Tina saß auf dem Bett und wartete darauf, zu erfahren, was da gesprochen wurde. Karl gab aber keine langen Erklärungen ab. Er kritzelte den Code des Schließfaches auf einen Zettel und schickte sie los, das Papier zu holen. „Man darf uns nicht zusammen sehen“, sagte er zu ihr. “Nach mir wird bestimmt gesucht. Hier ist Geld. Sobald du das Pergament zu dir genommen hast, löse ein Ticket erster Klasse nach Rom. Die Züge verkehren im Zweistundentakt.“

Tina frage verwirrt; „Nach Rom?“

„Ja! Nach Rom. Frage bitte jetzt nicht. Ich selbst folge dir in einem bestimmten Abstand. Wir treffen uns dann im Zug. Dann kann ich dir alles erklären. Geh jetzt.“

Karl drängte Tina zur Tür hinaus, als würde nicht er selbst, sondern der besorgte Arzt an seiner Stelle handeln.

Der 31. September oder die List des Teufels

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