Читать книгу Der 31. September oder die List des Teufels - Werner Kogelnig - Страница 25

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Rom

19

Massimo stand hinter einer der dorischen Säulen, die in Kolonnaden den Petersplatz umrahmen. Er suchte Schutz vor der Sonne, die für diese Jahreszeit noch ungewöhnlich wann war, und er blickte hinüber zum Obelisk. Der Papststuhl unter dem Baldachin links vor dem Eingangsportal zum Dom und die Reihen von Stühlen davor waren leer. Eine geheimnisvolle Spannung war im ungewöhnlich stillen Verhalten der Menschen, die über den Platz spazierten, spürbar. Der Papst war erkrankt. Es bestünde keine Lebensgefahr, hieß es, und an den üblichen Abläufen des Lebens im Vatikan war nach außen hin keine Veränderung erkennbar. Der Papst erfreute sich bis vor kurzem bester Gesundheit und so nahm die Öffentlichkeit die beschwichtigenden Aussendungen des vatikanischen Pressedienstes dankbar an.

Massimo blickte auf seine Uhr. Es blieb genügend Zeit. Eine Stunde noch, um ins Innere des Doms zu gelangen. Die Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle war nicht lang. Vielleicht eine halbe Stunde, aber so sicher war das nicht. Die Kontrollen wurden drastisch verschärft, seit sich im Sicherheitsdienst unüberprüfbare Gerüchte über eine erhöhte Attentatsgefahr breit gemacht hatten. Niemand wusste etwas Genaues. Es gab weder anonyme Schreiben, noch konkrete Verdächtigungen. Es war etwas Nebeliges, Schleichendes, etwas, was man nicht benennen konnte, das wie ein dumpfes Gewicht über der sonst eher fröhlichen Betriebsamkeit im Vatikan lag. Nun kam die Erkrankung des Papstes dazu, und überall empfand man eine gewisse Beklemmung. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, spülten die Priester und ihre Diener ein Unbehagen, in das sich unbemerkt Misstrauen schlich. Aber, wie gesagt, niemand hätte ausdrücken können, was es war, was da wie ein schlechter Geruch durch die Säle und Gänge schwebte. Und auch in die von Weihrauch geschwängerten Gebete, die sich um die Genesung des Papstes drehten, drängte sich ein eigenartiges, säuerlich riechendes Fluidum, ungewohnt fremdartig, und mancher, der das Wesen dieses Geruchs zu ergründen versuchte, meinte, etwas Böses sei in die Heiligkeit des Ortes eingedrungen.

Massimo umrundete, um noch etwas Zeit verstreichen zu lassen, den nördlichen Brunnen des Platzes, bevor er die Stufen hinaufstieg. Dort reihte er sich in die Warteschlange ein. Während er nun im Schatten der Säulen stand, die das Eingangsportal umsäumten, wurde ihm von neuem die absurde Situation bewusst, in der er sich befand. Er war in einen Strudel von verwirrenden Geschehen hineingezogen worden, die ihm immer unverständlicher wurden, je mehr ihm diese unbekannten Mächte wie ein willenloses Werkzeug benutzten. Was ihm aber am meisten zu schaffen machte war, dass es ihm einfach nicht möglich war, klar zu denken und eigene Entschlüsse zu fassen. Immer wenn er versuchte, das, was da mit ihm geschah, zu durchschauen um sich dagegen zu wehren, spülte er diese Blockade im Denken. Und wie ein willenloses Tier führte er automatisch das aus, was von ihm verlangt wurde. Aber blieb ihm denn eine andere Wahl? Ständig saß ihm die Angst im Nacken, nicht mehr gebraucht und daher eliminiert zu werden. Das Gefühl, das er empfand, als er das erste Mal Paolo gegenübersaß, der ihn scheinbar aus den Zwängen seiner lebenslang gehassten, braven, bürgerlichen Gesetzlichkeit befreite, die er als Polizist zu vertreten hatte – und es auch pflichtbewusst tat –, war verschwunden. Er hatte die versprochene Belohnung wegen des Scheiterns der Mission in Venedig noch nicht erhalten. Er lebte von der Summe, die er von Paolo bekommen hatte. Nun war ihm unerklärlich, dass man ausgerechnet ihn dazu bestimmte hatte, diese Mission im Dom auszuführen. Warum er? Er wusste sehr wohl, dass er mit seiner Leibesfülle nicht zu übersehen war und auffiel. Und das gab ihm zu denken. Da muss eine bestimmte Absicht dahinter stecken, dachte er, wie schon so oft in den letzten Stunden und Tagen.

Die Warteschlange bewegte sich zaghaft voran, verweilte immer wieder vor der Sperre, vor allem dann, wenn es Diskussionen mit den Touristen gab, deren Kleidung nicht den Vorschriften entsprach. Massimo durchschritt problemlos die Kontrolle. Er ging die Halle entlang, die ins Innere des Domes führte und war dann beim Eintritt überwältigt vom Anblick, der sich ihm bot. Ziellos trieb es ihn durch die Großartigkeit dieser göttlichen Sphäre, verharrte vor der glasgeschützten Pietà Michelangelos und stand dann vor dem Hauptaltar, bestaunte den gewaltigen Baldachin aus Bronze unter dem sich das Grab Petri befindet.

Bist du, dachte er, unsterbliche Seele des Petrus hier drinnen gefangen, in diesem Marmorsarg? Oder bist du verweht, mit den anderen und späteren Verkünder der Lehre des Christentums, irgendwo in der Ewigkeit, ohne Bezug zur Gegenwart? Oder ist deine Seele lebendig, weiterwandernd, von einer Hülle in die nächste? Während sich Massimo mit diesen Gedanken der Apsis zuwandte, und den Heiligen Stuhl Petri bestaunte, war draußen vor dem Dom die Sonne weitergewandert, ließ die weiße Taube im gelben Glas des Fensters golden aufleuchten und schickte die zwölf gläsernen Strahlen der Apostel durch das samtene Licht in die Herzen der staunend schweigsamen Menschen, die sich unter der gewaltigen Kuppel andächtig bewegten. Massimo löste sich aus diesen Gedanken und suchte mit den Augen nach der Statue des heiligen Petrus und als er sie fand, fühlte er, wie sich sein Herz vor Aufregung verkrampfte, denn dort kniete, zu Füßen der Skulptur, die traditionellerweise von den Pilgern geküsst wurden, ein Priester, scheinbar ins Gebet vertieft. Massimo blickte auf seine Uhr. Der Mann ist pünktlich, dachte er, näherte sich ihm, kniete neben ihm nieder und küsste die Füße der Statue.

„Massimo?“

„Ja.“

„Folgen Sie mir.“

Der Priester erhob sich, deutete ein Kreuzzeichen vor Petrus an und schritt Massimo voran, wobei er, als er sich prüfend umsah, am Hauptaltar eine Gestalt knien sah, die er sofort erkannte und das glühende Gefühl einer höllischen Freude durchfuhr seinen Körper. Das ist er, dachte er hocherfreut, nun habe ich ihn wieder. Und eilte dann weiter. Massimo fühlte sich unbehaglich. Was war das für ein Priester? Was war das überhaupt für ein Wahnsinn, dass er am heiligsten Orte des Christentums einem Verräter folgte, der ihm das so heiß begehrte Papier übergeben und dabei einen entsetzlichen Verrat an der heiligen, seiner eigenen Kirche begehen würde? Warum tat er das? Für Geld? Aus Rache?

Das alles erschien ihm absurd. Ebenso wie die Frage danach, die er sich eben vorhin gestellt hatte, warum ausgerechnet er als Bote eingesetzt wurde. Aber wie eben immer, wenn er über Sinn oder Unsinn seiner Mission nachdachte, verwirrte sich alles in seinem Gehirn und er folgte willenlos diesem Priester, der ihn in eine Seitenkapelle führte, ihn dort in einen Beichtstuhl drängte, die Vorhänge schloss, um ihm dort scheinbar die Beichte abzunehmen. Massimo wunderte sich nicht mehr. Er blickte hinüber durch das Gitter, nahm aber nichts wahr, als den Schatten des Priesters, der schweigend und wartend in der Ecke des Beichtstuhles leimte.

„Nun?“, versuchte Massimo die Stille zu beenden, vernahm aber, anstatt einer Antwort ein leichtes Zischen, das von irgendwoher an sein Ohr drang. Er spürte die Gefahr und seine Hand griff automatisch zur Tür, um sie aufzustoßen. Wie verrückt das ist, dachte er noch, bevor er, betäubt vom geruchlosen Gas, das durch eine Düse ins Innere des Beichtstuhls strömte, in eine tiefe Ohnmacht fiel.

Einen Augenblick noch verharrte Jan unbeweglich in seiner Ecke, einen Atemschutz an seine Nase gepresst. Dann öffnete er, indem er einen verborgenen Hebel umlegte, die hintere Wand des Beichtstuhls und trat in einen schmalen, schwach beleuchteten Gang. Dort stand er vier Männern gegenüber, die wie graue Schatten neben einer hölzernen Bahre knieten. Olme ein Wort mit ihnen zu wechseln, schob er das Gestell an den Beichtstuhl heran, stieß den leblosen Körper Massimos rückwärts von der Bank und ließ ihn auf die Bahre gleiten, auf der er nun mit dem Oberkörper lag. Zwei Männer fassten ilm unter die Arme und zogen ihn auf die Trage. Nachdem sie das Gestell in die Höhe gehoben hatten, bewegte sich die kleine Prozession durch den schmalen Gang, einem der vielen geheimen Wege des Vatikan, in denen der modrige Atem der unzähligen Tragödien, Intrigen, Verschwörungen wehte, die ungeschrieben und für die Nachwelt vergessen dort weiterlebten.

Die Schritte der Träger klangen gedämpft auf dem Steinboden, bis sie, ächzend unter der schweren Last, eine niedrige Tür erreichten. Jan öffnete sie und die Männer schoben die Trage mit Mühe in eine kleine leere Kapelle. Abseits gelegen und verborgen hatte sie ihre Funktion vergangener Zeiten verloren. Die vier Träger stellten erleichtert ihre Last ab, und ihre im dunklen Gang grau erscheinende Kleidung verwandelte sich im Licht des Raumes in die bunte Uniform der Schweizergarde. Schweigend umstanden sie nun die Bahre, auf der Massimo lag, blickten dann Jan fragend an, der sie wortlos mit einem Wink nach draußen schickte.

Er zog einen Stuhl, der irgendwo verlassen im Raum stand, zur Bahre heran und betrachtete Massimo nachdenklich. Was hat sich das Schicksal für einen Fleischberg wie dich doch Fantastisches ausgedacht, dachte Jan. Im Petersdom, gleich den verstorbenen Päpsten die ewige Ruhe zu finden? Zuvor noch aufgebahrt und beweint von tausenden am Sarg vorbeiziehender Gläubigen! Dein Antlitz von Milliarden Zusehern auf dem Bildschirm neugierig betrachtet, begleitet von unzähligen Gebeten und Bitten um Fürsprache in der anderen Welt.

Aber was für ein Hohn. Während dein Körper prunkvoll in der erlauchtesten aller Begräbnisstätten eingemauert wird, fährt deine Seele schnurstracks hinab zur Hölle, um ohne Aussicht auf Erlösung dem Bösen bis in alle Ewigkeit zu dienen.

Bei diesen Gedanken und in der Einsamkeit der stillen, verborgenen Kapelle verharrte in Jan für einen Augenblick die Macht, die sein Wesen beherrschte und erschrocken erfasste er das, was er gerade im Begriffe war, zu tun. War er selbst ein Teil der Hölle? Ein Werkzeug, als Mittel zum Zweck? War es die enorme Summe, die ihm für all das geboten wurde? War das sein eigener Wille, oder war er willenlos? Seine Handlungen vorherbestimmt? Wandelte die Seele des Judas aus diesem Grund als Ungeziefer in die Schlünde ahnungsloser Menschen, um für alle Ewigkeit das schlimmste aller Verbrechen in Gärung zu halten: den Verrat? War er nichts anderes, als eine verabscheuungswürdige Kreatur, die dafür verantwortlich war, dass der Gottessohn immer wieder neu geboren werden musste, um ihm und seinen höllischen Auftraggebern das Handwerk zu legen? War er dazu da, die Menschen immer wieder in Versuchung zu führen, in Katastrophen zu treiben, ihnen Leid, Blut und Tod zu bringen, um sie dann wieder auferstehen zu lassen, um das zu verspüren, was ihnen verloren gegangen war: Demut?

Ein tiefer Seufzer aus der Tiefe des ohmnächtigen Massimos verwehte seine Gedanken. Er griff in seine Rocktasche und holte eine Injektionsnadel hervor. Gerade in dem Augenblick, in der Massimo die Augen aufschlug und völlig verwirrt über sich an der Decke der Kapelle erstaunt einen kleinen pausbäckigen Engel sah, der kräftig in eine Posaune blies, stieß ihm Jan die Injektionsnadel in die Brust, und so lag er noch bei Bewusstsein, aber schon starr und gelähmt auf der Bahre, die Augen weit geöffnet, den Engel im Blick und panisches Entsetzen im Herzen. Er sah es nicht, hörte aber, wie eine Tür geöffnet wurde und jemand den Raum betrat. Jan wandte sich dem Eintretenden zu. Es war ein Offizier der Schweizergarde, der ihn fragend ansah.

„Der“, sagte Jan und tupfte mit dem Zeigefinger auf Massimos Bauch. „Der liegt nun im Koma. Ein Tiefschlaf. Er benötigt nur manchmal etwas Flüssigkeit.“

Dann blickte er nachdenklich auf Massimo, bevor er weitersprach. „Die Substanz, die ich ihm verabreicht habe, existiert nicht auf dem pharmazeutischen Markt. Sie ist unerprobt. Eine Erprobung wäre aus ethischen Gründen unrealistisch.“

Der Offizier sah ihn unsicher an. Er fühlte sich elend. Längst schon hatten ihn Zweifel und Reue erfasst, sich verkauft zu haben. Und dieser Verrat, den er im Begriffe war, zu begehen, war so unglaublich, dass ihn panische Furcht befiel, je mehr er sich der konkreten Erfüllung seiner eigentlichen Aufgabe näherte. Es war nicht nur Angst vor einer Aufdeckung des Verbrechens und einer irdischen Strafe, sondern auch die Angst, die sich auf sein Seelenheil bezog. Denn das, was da im Geschehen war konnte nur eine Ausgeburt der Hölle sein, die versuchte, über alle Vorstellungen hinweg, direkt im Innersten des christlichen Zentrums, die Macht zu ergreifen. Aber die Menge Geld, das ihm und seinen vier Gehilfen geboten wurde, war so enorm, dass es ihm unmöglich war, abzulehnen. Er hatte es versucht. Es gelang aber nicht. Und es schien ihm auch, als gäbe es noch eine andere Kraft, als die Gier nach dem Geld, etwas, was er nicht definieren konnte, gerade dann, wenn er mit diesem Priester, dem vatikanischen Zeremonienmeister zusammen war. Immer dann, wenn sich ihre Augen trafen.

„Aus ethischen?“, fragte er ihn.

„Ja. Aus ethischen. Das ist eine Substanz, die dazu dient, die chemische Einbalsamierung vorzubereiten. So wie es hier geschehen wird.“

Der Offizier erschauerte. Er war in die Einzelheiten der Aktion nicht eingeweiht. Er wusste nur, dass es darum ging, den Leichnam des Papstes im Augenblick seines Todes gegen einen anderen Körper auszutauschen. Ein unglaubliches Vorhaben. Aber er erinnerte sich wieder daran, was der Priester sagte. In unserer so genannten wirklichen Welt geschehen ständig die unvorstellbarsten Dinge. Und weil sie eben so unglaublich und unvorstellbar sind, nehmen wir sie nicht ernst und verdrängen sie in den Bereich der Phantasie, der Halluzinationen oder der Träume.

„Ihre Aufgabe“, fuhr Massimo fort, „besteht auch darin, dafür zu sorgen, dass ihre vier Gehilfen nichts Unüberlegtes tun, was das Unternehmen gefährden könnte. Ich weiß, dass Sie selbst von starken Zweifeln und Gewissenbissen geplagt werden. Aber Sie wissen auch gut, dass es kein Zurück mehr gibt. Sie sind schon längst zu einem festen Glied in der Kette der Aktion geworden. Überwachen Sie Ihre Leute. Sollten Sie nur den geringsten Verdacht gegen einen von ihnen hegen, dann wissen Sie, was Sie zu tun haben. Wie Sie das machen, das überlasse ich Ihnen.“

Der Offizier nickte. „Und was geschieht mit ihm?“ Er blickte auf Massimo.

„Er bleibt vorerst hier liegen. Ich selbst werde seinen Zustand überwachen. Er liegt in einem tiefen Koma und ist ohne jedes Bewusstsein.“

Aber da irrte Jan. Massimo war hellwach. Die Substanz, die ihm Jan verabreicht hatte, war ein Gift, das die Ureinwohner Brasiliens aus den Drüsen von Riesenspinnen gewinnen, die damit das in ihrem Netz gefangene Opfer lähmen, um sie so am Leben zu erhalten, von feinster Seide umwoben. Später, bei Bedarf saugten sie ihm dann das Leben aus. Ob bei der Lähmung nicht nur die Funktion der lebenswichtigen Organe, sondern auch die des Gehirns weiterbesteht, das war nicht erforscht.

Daher starrte Massimo mit weit geöffneten Augen unverändert und starr auf den pausbäckigen Engel über ihm. Nicht einmal die Wimpern zuckten und der Schmerz, der dadurch in seinen Augen entstand, wurde unerträglich. Aber das, was er mit anhören musste, war so ungeheuer schrecklich, dass er glaubte und auch hoffte, einen entsetzlichen Albtraum zu erleben. Aber die Hoffnung, dass das so wäre, verschwand, als er die Hand des Priesters spürte, der die Starre der Augen nicht mehr ertrug und ihm wie einem Verstorbenen die Lider schloss. Im Moment war er dankbar darüber, denn der Schmerz ließ nach. Nun aber lag er hilflos in der Dunkelheit.

Der 31. September oder die List des Teufels

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