Читать книгу Der 31. September oder die List des Teufels - Werner Kogelnig - Страница 20

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Tina dagegen, die in ihrer Panik weitergelaufen war, sah, als sie sich umwandte, wie Jan aus dem Torbogen kam, der zum Innenhof führt, und in die andere Richtung verschwand. Sie eilte zurück und entdeckte Karl in seltsamer Verrenkung am Boden hegen. Entsetzt kniete sie sich nieder und wollte Karls Kopf zu sich heranziehen, als sie hinter sich eine sanfte Stimme hörte und erschrak.

„Nicht berühren“, hörte sie einen Mann, der nun zu ihr hintrat und sich über Karl beugte. „Ich bin Arzt.“ Er strich über Karls Stirn und fasste vorsichtig unter seinen Nacken. Dann drehte eiseinen Kopf aus der unnatürlichen Stellung, hob ein Augenlid hoch, um nach Leben zu suchen und fühlte seinen Puls.

„Er ist nicht tot“, stellte er fest. „Wahrscheinlich wollte ihm der Angreifer das Genick brechen und hat ihn dabei mit dem Hinterkopf mit voller Wucht auf den Steinboden geschlagen. Dabei dürfte er ihm noch dazu das Schlüsselbein gebrochen haben. Er ist in tiefer Ohnmacht. Einem Koma gleich. Sie sind seine Frau?“

„Nein… Ja.“

Der Arzt lächelte und sagte: „Das ist jetzt nicht so wichtig. Aber Sie gehören zu ihm?“

„Ja.“

„Gut. Wir müssen ihn von hier wegbringen. Ich nehme ihn unter den Armen und sie versuchen ihn an den Beinen zu tragen. Wird das gehen?“

Er griff Karl vorsichtig unter die Arme und hob ihn an. Dort, wo sein Kopf lag, hatte sich eine keine Blutlache gebildet. Tina fasste Karl an den Beinen, ließ sie aber wieder los und wandte sich verwirrt an den Arzt, als wäre auch sie soeben aus einer Ohnmacht erwacht. „Aber wohin denn?“ Der Arzt deutete mit einer Kopfbewegung zu einer geöffneten Tür, die, versteckt hinter einer Palme, ins Innere führte.

„Zu mir. Ich wohne da.“

Tina gab einen überraschenden Laut von sich, als aus der Tür eine Nonne heraustrat und zu ihnen kam.

„Hilf uns, Claudia“, sagte der Arzt und wandte sich an Tina. „Das ist meine Schwester Claudia.“

Nun nahmen die beiden Frauen je ein Bein Karls, und zusammen trugen sie den leblosen Körper durch einen dunklen Korridor hinein in einen freundlichen, hellen Raum, dessen gotisch geformten Fenster auf einen schmalen Kanal führte, und durch die das letzte rosa und hellblaue Leuchten der untergehenden Sonne wie durch die Glasfenster einer Kirche eine magische Stimmung zauberte. Sie legten Karl auf ein Bett, kreuzten die Anne über seiner Brust, und da lag er nun, wie ein Toter. Während der Arzt aus einem Schrank Verbandzeug nahm und die Nonne Karls Kopf anhob, um rund um die Wunde mit einer Schere die langen Haare zu entfernen, schwiegen sie. dann aber meinte Tina, dass es wohl besser wäre, den Verletzten in eine Klinik zu bringen. Er wäre doch in einem lebensbedrohlichen Zustand. Und auch der Knochenbruch wäre zu versorgen.

„Nein“, antwortete der Arzt. „Sie können sich vorstellen, welche Komplikationen die Einlieferung mit sich brächte. Die Polizei müsste verständigt werden. Sie selbst würden einvernomnen werden. Denken Sie doch daran. Ihr Mann ist spurlos verschwunden, nachdem man ihn fast ermordet hat. Sie müssten von den Ereignissen beim Angeln berichten. Vom Leichenfund. Und ihren Freund würde man nicht in der Klinik behalten. Man würde ihn sofort verhaften. In Untersuchungshaft nehmen, um ihm sein Geheimnis zu entlocken.“

„Sein Geheimnis?“

„Das Pergament.“

„Woher wissen Sie denn davon? Woher wissen Sie überhaupt all das, was sie soeben sagten? Wer sind Sie denn?“

„Woher ich das weiß? Lassen wir es erst einmal dabei bewenden, dass man euch seit dem Augenblick, als ihr die Leiche gefunden habt, beschattet hat. Überwacht, wenn Sie so wollen. Und, wer ich bin? Ich bin ein jüdischer Arzt. Aus Israel. Ich besitze eine Praxis in Nazareth. Ich halte mich dort aber wenig auf. Wir, meine Schwester und ich, wir reisen um die Welt, um dort zu helfen, wo es nötig ist. Oft sind wir dort, wo man sagt, dass es kaum mehr Hoffnung gibt. Übrigens“, fügte er hinzu, während er bei Karl einen turbanartigen Verband anlegte,“ mein Name ist Blum. Dr. Achmed Blum.“

Tina nickte. Sie begann sich vom Zustand des Staunens und Wundems über die Geschehnisse, die unaufhörlich auf sie zukamen, zu lösen und begann den Ereignissen nicht mehr mit Unverständnis zu begegnen, sondern akzeptierte deren Notwendigkeit, auch wenn sie die Zusammenhänge noch nicht verstand. So akzeptierte sie auch, dass ihr die Nonne, während ihr Bruder sprach, die Hand sanft auf die Schulter legte. Und wie ein Wärmestrahl durchfuhr es ihren Körper und sie spürte, wie das, was sich in ihrem Inneren immer mehr verkrampft hatte, löste. Die beiden Frauen lächelten sich zu und Tina konnte sich nicht erinnern, jemals von einer derartigen Welle von Leichtigkeit erfasst worden zu sein.

„Hören Sie Tina“, - woher wusste Blum ihren Namen? – „der Patient wird in einigen Stunden aus seinem Schlaf erwachen. Bestehen Sie darauf, dass er noch einen Tag liegen bleibt und sich ruhig verhält. Beharren Sie darauf. Sonst wird alles böse enden. Sie können solange Sie wollen in dieser Wohnung bleiben. Hier sind Sie sicher. Niemand wird Sie hier entdecken und stören. Wir beide müssen Sie verlassen. Fragen sie mich nicht warum und wohin. Sie werden es später erfahren. Wechseln Sie morgen den Verband. Nehmen Sie den Turban ab. Dann genügen Pflaster. Den Arm der gebrochenen Schulter sollte er in einer Schlinge tragen. Der Bruch wird, wenn er sich nicht anstrengt, von selbst heilen. Schneller, als sie denken.“

Tina blickte Blum erstaunt an. Als gäbe es draußen vor den Fenstern etwas Besonderes zu sehen, trat sie hin und sah zwei weißen Tauben nach, die lautlos in den nun sternenübersäten Himmel schwebten. Und als sie sich zur Tür wandte, waren die beiden Menschen verschwunden. Sie war nicht erstaunt, und mit einem Lächeln schloss sie die Türe zum Hof, der nun im Dunkel lag.

Der 31. September oder die List des Teufels

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