Читать книгу Der 31. September oder die List des Teufels - Werner Kogelnig - Страница 19
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Nachdem Jan, Tina hinter sich herziehend, die Bar verlassen hatte, begab er sich auf die Suche nach einem Taxi. Er hastete mit seiner Frau im Schlepptau die Calle della Signora hindurch und gelangte an ihrem Ende zu einem Taxiplatz. Tina folgte ihm scheinbar willenlos.
Das Verhalten ihres Mamies jagte ihr Angst ein. Sie komite sich nicht erklären, was ihn so verändert hatte. Sie verstand überhaupt nichts mehr. Vor einer Woche waren sie aufgebrochen, um dem Grau ihrer Stadt zu entfliehen, diesem feuchtkalten Klima des Nordens. Es war aber auch eine Flucht vor den drohenden geschäftlichen Schwierigkeiten, die den Rest ihrer früher so harmonisch erscheinenden Beziehung zu ersticken drohten. Es sollte der Versuch eines neuen Anfangs werden. Sie hofften auf eine vom Alltagsleben losgelöste Atmosphäre, um vernünftig miteinander reden zu können. Anfangs schien das auch möglich zu sein. Sie genoss die lang entbehrte Sonne, die ihren Körper wohlig verwöhnte, und das Wesen Jans, das sich ihr immer mehr verschlossen hatte, schien sich vorsichtig zu öffnen, je mehr er während des Angelns in tiefen Zügen die salzige, würzige Luft aufsog und dem Klang der Wellen und dem Tuckern der weit draußen kreuzenden Jachten lauschte und durch halb geöffnete Augen die lautlosen Segelboote vorbeischweben sah.
Was dann, nachdem sie den toten Mann aus dem Wasser gezogen hatten passierte, erschien ihr unerklärlich. Als wäre eine schwarze Wolke über dieses paradiesische Land gezogen, so hatte sich die Welt verdunkelt. Genauso, wie Jan sie nun durch Venedig drängte, so wurde sie am Abend zuvor von einer unbekannten Kraft in das Hotel dieses anderen Mannes gezogen, von einem unerklärlichen Verlangen getrieben, und sie war auch jetzt noch erfüllt von einer unglaublichen Selmsucht nach den Umarmungen dieser Nacht. Alles erschien unwirklich, auch das jetzt, dieses gewaltsame Hasten durch Venedig, gezogen und geschubst von ihrem Mann, der noch kein Wort mit ihr gesprochen hatte. Er drängte sie in ein Taxi, drückte sie auf einen Sitz, gab dem Fahrer eine Anweisung und setze sich ihr gegenüber.
„Hör zu“, begann er dann, und blickte an ihr vorbei auf die aufschäumenden Wellen, die das Boot verursachte, als würden diese zu ihm sprechen.
„Ja? Was soll ich hören?“
„Ach, ja“, führ er aus seinen Gedanken auf und blickte sie an. „Wir werden nach Rom fahren.“
„Nach Rom?“ Nun verstand Tina nichts mehr. Was sollten sie in Rom? Das war doch völlig verrückt. Sie hatten doch nur einen kurzen Urlaub geplant. Die Geschäfte zu Hause gingen nicht gut. Ihr kleines Unternehmen war vom Untergang bedroht. Kreditrückzahlungen waren überfällig und vieles mehr. Und Jan wollte nach Rom? Das war verrückt.
„Warum nach Rom? Was sollen wir dort?“ fragte sie noch einmal.
Jan blickte Tina eine Weile an, und seine Augen waren ihr plötzlich fremd. Sie hatten, wie sie erstaunt feststellte, eine andere Farbe angenommen. Sie waren von einem sanften Braun, diese Augen, in die sie sich damals verhebt hatte, und die Augen waren es auch, in denen sich immer wieder ihre glückliche Vergangenheit spiegelte, wenn sich auch alles andere veränderte. So erschrak sie, als diese Augen in einem unergründlichen kalten Grün in die ihren drangen, als er sagte: „Was wir dort sollen? Ich weiß es nicht Tina, ich weiß es nicht genau. Noch nicht, obwohl da schon ein Plan vorgegeben ist in mir. Aber mir ist nur der nächste Schritt bekannt, den ich zu tun habe“. Verständnislos schüttelte Tina den Kopf. „Bist du wahnsinnig geworden? Ist denn alles ine? Lass mich sofort hinaus. Ich habe genug. Ich will nach Hause. Was soll ich in Rom? Ich verstehe die Welt nicht mehr!“ Tina sprang von ihrem Sitz auf und brachte damit das Boot zum Schaukeln, so heftig, dass der Fahrer verärgerte Blicke zurückwarf. Jan drängte sie brutal auf ihren Sitz zurück und fuhr sie böse an: „Du kommst mit! Und ich werde dir auch sagen warum: als Köder! Als Köder für diesen idiotischen Österreicher. Du bist nichts anderes mehr als ein Köder!“
Entsetzt starrte Tina ihren Mann an. Sie hielt ihn nun für völlig verrückt. Was war denn da geschehen? Sie musste heraus aus diesem bösen Traum. Sie hatte Angst und suchte nach einer Möglichkeit, aus dem Boot zu entfliehen. Sie dachte daran, einfach hinaus zu springen, oder den Fahrer, der ohnehin schon alarmiert schien, um Hilfe zu bitten. Aber während sie noch überlegte, sah sie am Ufer des Kanals Karl dahineilen, und ohne einen weiteren Gedanken zu verlieren, schrie sie kreischend zu ihm hinüber.
Jan sprang auf, stürzte zu Tina und hielt ihr den Mund zu. Dabei blickte er auf und sah, wie Karl, der den Schrei hörte, einen Augenblick wie angewurzelt stehen blieb, und dann den Kanal in der Fahrtrichtung des Bootes entlang rannte. Der Fahrer des Taxis stieß etliche Flüche aus und lenkte das Boot an eine kleine Anlegestelle und forderte lautstark schimpfend seine Passagiere zum Aussteigen auf, nicht ohne die Hand nach der Bezahlung auszustrecken. Jan, der Tina wieder mit schmerzhaftem Griff am Arm packte, warf ihm einige Scheine zu und riss seine Frau brutal den Steg hinauf, so dass sie stolperte und sich ein Knie blutig schlug.
Da sie nun auf der anderen Seite des Kanals waren, raste Karl, wie vom Teufel gejagt über eine Brücke, um zu den beiden zu gelangen. Es ging ihm um Tina. Er ahmte, dass sie in Gefahr war.
Als er die Treppe der Brücke hinuntersprang und sich umdrehte, sah er wie ihm Massimos Mann nachlief. Er kümmerte sich nicht weiter um ihn, denn Jan war mit Tina in eine Gasse verschwunden. Er beschleunigte seinen Lauf, stieß die Touristen, die nicht schnell genug ausweichen konnten einfach zur Seite und ließ sich auch nicht von den Trillerpfeifen zweier Carabinieri bremsen, denen sein Verhalten aufgefallen war. Das Pfeifen verstummte, als Massimos Mann die Polizisten erreichte. Er fluchte fürchterlich, weil er Karl aus den Augen verloren hatte. Wütend rannte er weiter.
Jan hatte inzwischen Tina in einen Torbogen gezerrt und wartete dort verborgen auf den heraneilenden Karl. Als dieser vorbeilief, stellte er ihm ein Bein und Karl krachte mit voller Wucht auf den Steinboden, wo er benommen liegen blieb. Als Jan Tina nun loslassen musste, um sich um Karl zu kümmern, flüchtete sie entsetzt und kopflos die Gasse entlang. Jan schrie ihr nach, musste sie aber laufen lassen, da Karl im Begriffe war, sich aufzurappeln. Er packte Karl mit einer Kraft, die ihm selbst erstaunte am Kragen und zog ihn in einen Torbogen, stieß mit einem wuchtigen Schlag die Holzpforte auf und zerrte Karl in einen kleinen Innenhof.
Ein idyllischer Ort. In der Mitte befand sich ein uralter Brunnen, an dessen Querbalken ein Seil in die Tiefe hing und um den Brunnen hemm standen hohe dünne Palmen, die über das Ende der Mauern ragten, die den Hof begrenzten. Jan warf Karl auf den Boden, setzte sich rittlings über ihn und legte seine Hände würgend um seinen Hals.
„Warum tust du das?“, keuchte Karl, dem es nicht gelang, sich aus der Umklammerung zu befreien.
„Es gibt zwei Gründe dafür.“ Jan lockerte ein wenig den Griff. „Der erste ist Rache. Du hast mit Tina geschlafen. Ich weiß das.“
„Das ist doch kein Grund, mich zu erwürgen!“, schrie Karl verzweifelt.
„Der nicht, aber der andere.“
„Welcher andere?“
„Wenn ich das so genau wüsste“, sagte Jan fast nachdenklich, „aber ich weiß es selbst nicht wirklich. Jemand in mir sagt mir, was ich zu tun habe.“
„Tu es nicht“, japste Karl, denn der Griff Jans wurde fester.
„Doch“, war das, was Karl noch hörte, denn mit unglaublicher Kraft drückte Jan seinen Hals zurück, und es hörte sich so an, als würde sein Genick mit einem hässlichen Knacksen brechen. Jan erhob sich und ohne Karl noch einmal zu beachten, verließ er den idyllischen Ort. Mit dem grauenvollen Geräusch des brechenden Genicks war auch in ihm ein Bruch geschehen. Seine Erinnerungen waren verschwunden. Seine Vergangenheit erloschen. Er wusste nun, dass er Judas war. Judas Ischariot.
Während nun Jan diese Verwandlung als Befreiung seiner Seele und seines Bewusstseins aus einer Umklammerung erlebte, die ihm in den letzten Stunden fast den Verstand geraubt hatte, ging er zielstrebig, als wäre er in Venedig zu Hause durch die Gassen und verschwand schließlich in einem alten, von einem Baugerüst umgebenen Palazzo.